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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Bedingung ihres Erfolges ist. Diese innere Einheit aller auf das öffent-
liche Bildungswesen bezüglichen Maßregeln und Thätigkeiten nennen
wir das Princip des öffentlichen Bildungsrechts.

Dieses Princip, für den Staat geltend, wird daher auch durch
das Wesen des Staats gegeben. Er selber ist, der Verwaltung ange-
hörend, im Grunde nur die Anwendung des höchsten und allgemeinsten
Verwaltungsprincips auf das geistige Leben des Staats.

Das höhere Wesen aller menschlichen Gemeinschaft beruht darauf,
daß das Maß der Entwicklung des Einzelnen die Grundlage und Be-
dingung des Maßes der Entwicklung Aller wird. Der Staat nun, als
diese zur individuellen Persönlichkeit erhobene Gemeinschaft, bringt dieses
gegenseitige Bedingtsein Aller durch jeden und jedes durch Alle zum Be-
wußtsein, und muß daher mit den ihm zu Gebote stehenden Mitteln
allerdings für die Bildung sorgen. Allein das Wesen der geistigen Güter
fordert, daß sie durch denjenigen selbst erworben sein müssen, für den sie
gelten sollen. Der Staat kann daher so wenig die Bildung als die wirth-
schaftlichen Güter geben, sondern das leitende Princip der Verwaltung
ist, daß der Staat auch für die Bildung nur diejenigen Bedingungen
herzugeben hat, welche der Einzelne sich nicht selbst zu schaffen
vermag
; während die Benützung dieser Bedingungen oder die wirkliche
Bildung Sache des Einzelnen und seiner individuellen Thätigkeit ist.

So einfach und fast negativ nun dieß Princip an sich erscheint, so
bleibt doch hier, wo sich das System der Verwaltung zu entwickeln
beginnt, der Inhalt desselben kein einfacher mehr. Das worauf es
ankommt ist nämlich die Frage, was denn als Bedingung der gegen-
seitigen geistigen Entwicklung der Gesammtheit anzusehen sei. Und hier
nun erscheinen die drei großen Gebiete des Bildungswesens in einem
sehr verschiedenen Verhältniß.

Was zuerst die Elementarbildung betrifft, so ist sie auf den ersten
Blick nur die Bedingung für die Bildung des Einzelnen. Allein sie ist
zugleich die absolute Voraussetzung des ganzen geistigen Verkehrs, der
ganzen gegenseitigen Bewegung des geistigen Fortschrittes; denn die in
ihr gegebene Möglichkeit der Weiterbildung des Einzelnen ist die Be-
dingung für die lebendige geistige Thätigkeit Aller. Die Elementar-
bildung verliert dadurch ihren Charakter als freie Bildung; sie wird
allmälig zu einer Pflicht des Einzelnen gegen die Gesammtheit, und
der Staat ist es, der diese im Wesen der Sache liegende Pflicht zum
objectiv geltenden Recht macht. So entsteht das Princip des Ele-
mentarbildungsrechts
, das wir als die Schulpflicht bezeichnen,
und das aus den obigen Gründen erst in den vorgeschrittenen Staaten
zur öffentlich rechtlichen Geltung kommt.

Bedingung ihres Erfolges iſt. Dieſe innere Einheit aller auf das öffent-
liche Bildungsweſen bezüglichen Maßregeln und Thätigkeiten nennen
wir das Princip des öffentlichen Bildungsrechts.

Dieſes Princip, für den Staat geltend, wird daher auch durch
das Weſen des Staats gegeben. Er ſelber iſt, der Verwaltung ange-
hörend, im Grunde nur die Anwendung des höchſten und allgemeinſten
Verwaltungsprincips auf das geiſtige Leben des Staats.

Das höhere Weſen aller menſchlichen Gemeinſchaft beruht darauf,
daß das Maß der Entwicklung des Einzelnen die Grundlage und Be-
dingung des Maßes der Entwicklung Aller wird. Der Staat nun, als
dieſe zur individuellen Perſönlichkeit erhobene Gemeinſchaft, bringt dieſes
gegenſeitige Bedingtſein Aller durch jeden und jedes durch Alle zum Be-
wußtſein, und muß daher mit den ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln
allerdings für die Bildung ſorgen. Allein das Weſen der geiſtigen Güter
fordert, daß ſie durch denjenigen ſelbſt erworben ſein müſſen, für den ſie
gelten ſollen. Der Staat kann daher ſo wenig die Bildung als die wirth-
ſchaftlichen Güter geben, ſondern das leitende Princip der Verwaltung
iſt, daß der Staat auch für die Bildung nur diejenigen Bedingungen
herzugeben hat, welche der Einzelne ſich nicht ſelbſt zu ſchaffen
vermag
; während die Benützung dieſer Bedingungen oder die wirkliche
Bildung Sache des Einzelnen und ſeiner individuellen Thätigkeit iſt.

So einfach und faſt negativ nun dieß Princip an ſich erſcheint, ſo
bleibt doch hier, wo ſich das Syſtem der Verwaltung zu entwickeln
beginnt, der Inhalt deſſelben kein einfacher mehr. Das worauf es
ankommt iſt nämlich die Frage, was denn als Bedingung der gegen-
ſeitigen geiſtigen Entwicklung der Geſammtheit anzuſehen ſei. Und hier
nun erſcheinen die drei großen Gebiete des Bildungsweſens in einem
ſehr verſchiedenen Verhältniß.

Was zuerſt die Elementarbildung betrifft, ſo iſt ſie auf den erſten
Blick nur die Bedingung für die Bildung des Einzelnen. Allein ſie iſt
zugleich die abſolute Vorausſetzung des ganzen geiſtigen Verkehrs, der
ganzen gegenſeitigen Bewegung des geiſtigen Fortſchrittes; denn die in
ihr gegebene Möglichkeit der Weiterbildung des Einzelnen iſt die Be-
dingung für die lebendige geiſtige Thätigkeit Aller. Die Elementar-
bildung verliert dadurch ihren Charakter als freie Bildung; ſie wird
allmälig zu einer Pflicht des Einzelnen gegen die Geſammtheit, und
der Staat iſt es, der dieſe im Weſen der Sache liegende Pflicht zum
objectiv geltenden Recht macht. So entſteht das Princip des Ele-
mentarbildungsrechts
, das wir als die Schulpflicht bezeichnen,
und das aus den obigen Gründen erſt in den vorgeſchrittenen Staaten
zur öffentlich rechtlichen Geltung kommt.

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[14/0042] Bedingung ihres Erfolges iſt. Dieſe innere Einheit aller auf das öffent- liche Bildungsweſen bezüglichen Maßregeln und Thätigkeiten nennen wir das Princip des öffentlichen Bildungsrechts. Dieſes Princip, für den Staat geltend, wird daher auch durch das Weſen des Staats gegeben. Er ſelber iſt, der Verwaltung ange- hörend, im Grunde nur die Anwendung des höchſten und allgemeinſten Verwaltungsprincips auf das geiſtige Leben des Staats. Das höhere Weſen aller menſchlichen Gemeinſchaft beruht darauf, daß das Maß der Entwicklung des Einzelnen die Grundlage und Be- dingung des Maßes der Entwicklung Aller wird. Der Staat nun, als dieſe zur individuellen Perſönlichkeit erhobene Gemeinſchaft, bringt dieſes gegenſeitige Bedingtſein Aller durch jeden und jedes durch Alle zum Be- wußtſein, und muß daher mit den ihm zu Gebote ſtehenden Mitteln allerdings für die Bildung ſorgen. Allein das Weſen der geiſtigen Güter fordert, daß ſie durch denjenigen ſelbſt erworben ſein müſſen, für den ſie gelten ſollen. Der Staat kann daher ſo wenig die Bildung als die wirth- ſchaftlichen Güter geben, ſondern das leitende Princip der Verwaltung iſt, daß der Staat auch für die Bildung nur diejenigen Bedingungen herzugeben hat, welche der Einzelne ſich nicht ſelbſt zu ſchaffen vermag; während die Benützung dieſer Bedingungen oder die wirkliche Bildung Sache des Einzelnen und ſeiner individuellen Thätigkeit iſt. So einfach und faſt negativ nun dieß Princip an ſich erſcheint, ſo bleibt doch hier, wo ſich das Syſtem der Verwaltung zu entwickeln beginnt, der Inhalt deſſelben kein einfacher mehr. Das worauf es ankommt iſt nämlich die Frage, was denn als Bedingung der gegen- ſeitigen geiſtigen Entwicklung der Geſammtheit anzuſehen ſei. Und hier nun erſcheinen die drei großen Gebiete des Bildungsweſens in einem ſehr verſchiedenen Verhältniß. Was zuerſt die Elementarbildung betrifft, ſo iſt ſie auf den erſten Blick nur die Bedingung für die Bildung des Einzelnen. Allein ſie iſt zugleich die abſolute Vorausſetzung des ganzen geiſtigen Verkehrs, der ganzen gegenſeitigen Bewegung des geiſtigen Fortſchrittes; denn die in ihr gegebene Möglichkeit der Weiterbildung des Einzelnen iſt die Be- dingung für die lebendige geiſtige Thätigkeit Aller. Die Elementar- bildung verliert dadurch ihren Charakter als freie Bildung; ſie wird allmälig zu einer Pflicht des Einzelnen gegen die Geſammtheit, und der Staat iſt es, der dieſe im Weſen der Sache liegende Pflicht zum objectiv geltenden Recht macht. So entſteht das Princip des Ele- mentarbildungsrechts, das wir als die Schulpflicht bezeichnen, und das aus den obigen Gründen erſt in den vorgeſchrittenen Staaten zur öffentlich rechtlichen Geltung kommt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/42>, abgerufen am 28.03.2024.