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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868.

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Sinne die Ausfüllung desselben mit dem, was die Gegenwart bietet.
Aber dabei ist es gewiß, daß jedes tiefere Eindringen in diesen histo-
rischen Proceß erst dann zu einem abgeschlossenen Resultat führt und
dadurch aus einer Zusammenstellung eine wahre Vergleichung möglich
macht, wenn man alle einzelnen Angaben und Thatsachen des Bildungs-
wesens auf die drei großen Kategorien der Elementar-, der Berufs-
und der allgemeinen Bildung zurückführt. Denn die ethische Natur
des Staats bringt es mit sich, daß er der natürliche Vertreter nicht
etwa Einer, sondern aller dieser drei Kategorien zugleich ist, während
jedes rein gesellschaftliche Bildungswesen stets nur Eines dieser Ge-
biete zur Entwicklung bringt. Das öffentliche Bildungswesen erfüllt
daher nicht die Aufgabe, die Wissenschaft als solche zu heben und zu
veredeln; das ist und bleibt Sache des lebendigen und arbeitenden
Geistes der Menschen, sondern vielmehr die, das von der Wissenschaft
je nach ihrem Standpunkt Errungene zum Gemeingut zu machen.
Und es ist gar kein Zweifel, daß gerade in diesem Sinne unsere Zeit
weit höher über der ganzen Vergangenheit steht, als in den Ergebnissen
irgend einer einzelnen Wissenschaft und Kunst.

Von diesem Standpunkt erscheinen nun folgende Hauptstadien der
Geschichte des öffentlichen Bildungswesens.

I. Im Orient ist die staatliche Gewalt ganz in den Händen der
gesellschaftlichen Gewalten. Das Princip der ersteren geht daher voll-
ständig in dem des letzteren unter. Es gibt nicht bloß keine allgemeine
Bildung, und daher auch nicht ihre Bedingung, die Elementar-
bildung, sondern es darf auch keine geben. Die Gesammtbildung ist
eine, aber grundsätzlich unfreie Berufsbildung und das Sonderinteresse
der herrschenden Kasten macht diese Sonderbildung jeder einzelnen heilig,
so daß der Erwerb derselben für andere Kasten selbst zu einem gesell-
schaftlichen Verbrechen wird. Damit jeder in seiner Kaste bleibe, darf
er gar nicht lernen, was die Bildung der andern ausmacht. Die
Staatsgewalt im Dienste der gesellschaftlichen Herrschaft verliert dabei
ihr höheres ethisches Wesen und wird zu einer dienstbaren Vollzieherin
der gesellschaftlichen Forderungen. Die Bildung selbst wird dabei eine
zwar große, aber einseitige; die Bildung durch das freie Element der
thätigen Individualität fehlt, und mit der geistigen Stagnation geht das
Leben des Staats selbst zu Grunde.

II. Die alte Welt und zwar Griechenland sowohl als Rom, be-
ruht fast ausschließlich auf der Geschlechterordnung. Sie will daher
die Erhaltung der herrschenden Geschlechter, mithin in ihrer Bildung
die Entwicklung desjenigen Theiles der geistigen Güter, welche diese
Herrschaft enthalten. Diese sind nun die möglichste Entwicklung der

Sinne die Ausfüllung deſſelben mit dem, was die Gegenwart bietet.
Aber dabei iſt es gewiß, daß jedes tiefere Eindringen in dieſen hiſto-
riſchen Proceß erſt dann zu einem abgeſchloſſenen Reſultat führt und
dadurch aus einer Zuſammenſtellung eine wahre Vergleichung möglich
macht, wenn man alle einzelnen Angaben und Thatſachen des Bildungs-
weſens auf die drei großen Kategorien der Elementar-, der Berufs-
und der allgemeinen Bildung zurückführt. Denn die ethiſche Natur
des Staats bringt es mit ſich, daß er der natürliche Vertreter nicht
etwa Einer, ſondern aller dieſer drei Kategorien zugleich iſt, während
jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen ſtets nur Eines dieſer Ge-
biete zur Entwicklung bringt. Das öffentliche Bildungsweſen erfüllt
daher nicht die Aufgabe, die Wiſſenſchaft als ſolche zu heben und zu
veredeln; das iſt und bleibt Sache des lebendigen und arbeitenden
Geiſtes der Menſchen, ſondern vielmehr die, das von der Wiſſenſchaft
je nach ihrem Standpunkt Errungene zum Gemeingut zu machen.
Und es iſt gar kein Zweifel, daß gerade in dieſem Sinne unſere Zeit
weit höher über der ganzen Vergangenheit ſteht, als in den Ergebniſſen
irgend einer einzelnen Wiſſenſchaft und Kunſt.

Von dieſem Standpunkt erſcheinen nun folgende Hauptſtadien der
Geſchichte des öffentlichen Bildungsweſens.

I. Im Orient iſt die ſtaatliche Gewalt ganz in den Händen der
geſellſchaftlichen Gewalten. Das Princip der erſteren geht daher voll-
ſtändig in dem des letzteren unter. Es gibt nicht bloß keine allgemeine
Bildung, und daher auch nicht ihre Bedingung, die Elementar-
bildung, ſondern es darf auch keine geben. Die Geſammtbildung iſt
eine, aber grundſätzlich unfreie Berufsbildung und das Sonderintereſſe
der herrſchenden Kaſten macht dieſe Sonderbildung jeder einzelnen heilig,
ſo daß der Erwerb derſelben für andere Kaſten ſelbſt zu einem geſell-
ſchaftlichen Verbrechen wird. Damit jeder in ſeiner Kaſte bleibe, darf
er gar nicht lernen, was die Bildung der andern ausmacht. Die
Staatsgewalt im Dienſte der geſellſchaftlichen Herrſchaft verliert dabei
ihr höheres ethiſches Weſen und wird zu einer dienſtbaren Vollzieherin
der geſellſchaftlichen Forderungen. Die Bildung ſelbſt wird dabei eine
zwar große, aber einſeitige; die Bildung durch das freie Element der
thätigen Individualität fehlt, und mit der geiſtigen Stagnation geht das
Leben des Staats ſelbſt zu Grunde.

II. Die alte Welt und zwar Griechenland ſowohl als Rom, be-
ruht faſt ausſchließlich auf der Geſchlechterordnung. Sie will daher
die Erhaltung der herrſchenden Geſchlechter, mithin in ihrer Bildung
die Entwicklung desjenigen Theiles der geiſtigen Güter, welche dieſe
Herrſchaft enthalten. Dieſe ſind nun die möglichſte Entwicklung der

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[23/0051] Sinne die Ausfüllung deſſelben mit dem, was die Gegenwart bietet. Aber dabei iſt es gewiß, daß jedes tiefere Eindringen in dieſen hiſto- riſchen Proceß erſt dann zu einem abgeſchloſſenen Reſultat führt und dadurch aus einer Zuſammenſtellung eine wahre Vergleichung möglich macht, wenn man alle einzelnen Angaben und Thatſachen des Bildungs- weſens auf die drei großen Kategorien der Elementar-, der Berufs- und der allgemeinen Bildung zurückführt. Denn die ethiſche Natur des Staats bringt es mit ſich, daß er der natürliche Vertreter nicht etwa Einer, ſondern aller dieſer drei Kategorien zugleich iſt, während jedes rein geſellſchaftliche Bildungsweſen ſtets nur Eines dieſer Ge- biete zur Entwicklung bringt. Das öffentliche Bildungsweſen erfüllt daher nicht die Aufgabe, die Wiſſenſchaft als ſolche zu heben und zu veredeln; das iſt und bleibt Sache des lebendigen und arbeitenden Geiſtes der Menſchen, ſondern vielmehr die, das von der Wiſſenſchaft je nach ihrem Standpunkt Errungene zum Gemeingut zu machen. Und es iſt gar kein Zweifel, daß gerade in dieſem Sinne unſere Zeit weit höher über der ganzen Vergangenheit ſteht, als in den Ergebniſſen irgend einer einzelnen Wiſſenſchaft und Kunſt. Von dieſem Standpunkt erſcheinen nun folgende Hauptſtadien der Geſchichte des öffentlichen Bildungsweſens. I. Im Orient iſt die ſtaatliche Gewalt ganz in den Händen der geſellſchaftlichen Gewalten. Das Princip der erſteren geht daher voll- ſtändig in dem des letzteren unter. Es gibt nicht bloß keine allgemeine Bildung, und daher auch nicht ihre Bedingung, die Elementar- bildung, ſondern es darf auch keine geben. Die Geſammtbildung iſt eine, aber grundſätzlich unfreie Berufsbildung und das Sonderintereſſe der herrſchenden Kaſten macht dieſe Sonderbildung jeder einzelnen heilig, ſo daß der Erwerb derſelben für andere Kaſten ſelbſt zu einem geſell- ſchaftlichen Verbrechen wird. Damit jeder in ſeiner Kaſte bleibe, darf er gar nicht lernen, was die Bildung der andern ausmacht. Die Staatsgewalt im Dienſte der geſellſchaftlichen Herrſchaft verliert dabei ihr höheres ethiſches Weſen und wird zu einer dienſtbaren Vollzieherin der geſellſchaftlichen Forderungen. Die Bildung ſelbſt wird dabei eine zwar große, aber einſeitige; die Bildung durch das freie Element der thätigen Individualität fehlt, und mit der geiſtigen Stagnation geht das Leben des Staats ſelbſt zu Grunde. II. Die alte Welt und zwar Griechenland ſowohl als Rom, be- ruht faſt ausſchließlich auf der Geſchlechterordnung. Sie will daher die Erhaltung der herrſchenden Geſchlechter, mithin in ihrer Bildung die Entwicklung desjenigen Theiles der geiſtigen Güter, welche dieſe Herrſchaft enthalten. Dieſe ſind nun die möglichſte Entwicklung der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 5. Stuttgart, 1868, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre05_1868/51>, abgerufen am 29.03.2024.