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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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Vorwort.

Ich habe das allgemeine Bildungswesen von der Elementar-
und Berufsbildung geschieden, und selbständig herausgegeben, weil
mich bei dieser Arbeit ein Gedanke begleitete, dem ich so viel ich
vermocht, im Folgenden Form und Ausdruck gegeben habe.

Die Presse hat in unsrer Zeit eine Bedeutung erlangt, die
sie nie gehabt. Sie ist, namentlich in Deutschland, im Begriff,
das zu werden, was sie sein soll, der gewaltige, allthätige, von
keinem Sonderinteresse beherrschte Organismus der Selbstbildung des
Volkes. Es ist nicht mehr möglich, von dem Bildungswesen über-
haupt zu reden, ohne diese hohe Stellung und Aufgabe der Presse
zu erkennen. Es ist deßhalb auch für die Wissenschaft, welche sich
dem inneren organischen, sich selbsterzeugenden Leben der Staaten
und Völker widmet, nicht mehr möglich, die Presse, wie es bisher
geschehen, wesentlich nur als politische und Tagespresse aufzufassen.
Derselbe Proceß, der durch das ganze Leben Europas geht und
uns alle erfaßt, hat auch die Presse ergriffen. Bis auf die neueste
Zeit lebte in ihr der alte ständische Unterschied in seiner Weise
fort. Der Unterschied zwischen Buch und Tagesliteratur war
und ist zum Theil noch kein bloß äußerer und formeller. Er war
und ist vielmehr ein tiefgehender. Der Ernst des Buches schied
sich in jeder Beziehung von der elastischen Gewandtheit des Tages-
blattes; die Stoffe für beide schienen wesentlich andre und ein andres
war oder schien das Publikum, an das sich beide wendeten. Es
herrschte die Vorstellung, als ob eben deßwegen die Aufgabe, und
vor allem damit auch die geistige und ethische Verantwortlichkeit
für beide Gruppen von geistigen Arbeiten und Arbeitern eine nicht
minder tief verschiedene sei, und als ob diese höhere Verantwortlich-
keit vorzugsweise auf dem Buche ruhe. Nur der, der Bücher schreibt,

Vorwort.

Ich habe das allgemeine Bildungsweſen von der Elementar-
und Berufsbildung geſchieden, und ſelbſtändig herausgegeben, weil
mich bei dieſer Arbeit ein Gedanke begleitete, dem ich ſo viel ich
vermocht, im Folgenden Form und Ausdruck gegeben habe.

Die Preſſe hat in unſrer Zeit eine Bedeutung erlangt, die
ſie nie gehabt. Sie iſt, namentlich in Deutſchland, im Begriff,
das zu werden, was ſie ſein ſoll, der gewaltige, allthätige, von
keinem Sonderintereſſe beherrſchte Organismus der Selbſtbildung des
Volkes. Es iſt nicht mehr möglich, von dem Bildungsweſen über-
haupt zu reden, ohne dieſe hohe Stellung und Aufgabe der Preſſe
zu erkennen. Es iſt deßhalb auch für die Wiſſenſchaft, welche ſich
dem inneren organiſchen, ſich ſelbſterzeugenden Leben der Staaten
und Völker widmet, nicht mehr möglich, die Preſſe, wie es bisher
geſchehen, weſentlich nur als politiſche und Tagespreſſe aufzufaſſen.
Derſelbe Proceß, der durch das ganze Leben Europas geht und
uns alle erfaßt, hat auch die Preſſe ergriffen. Bis auf die neueſte
Zeit lebte in ihr der alte ſtändiſche Unterſchied in ſeiner Weiſe
fort. Der Unterſchied zwiſchen Buch und Tagesliteratur war
und iſt zum Theil noch kein bloß äußerer und formeller. Er war
und iſt vielmehr ein tiefgehender. Der Ernſt des Buches ſchied
ſich in jeder Beziehung von der elaſtiſchen Gewandtheit des Tages-
blattes; die Stoffe für beide ſchienen weſentlich andre und ein andres
war oder ſchien das Publikum, an das ſich beide wendeten. Es
herrſchte die Vorſtellung, als ob eben deßwegen die Aufgabe, und
vor allem damit auch die geiſtige und ethiſche Verantwortlichkeit
für beide Gruppen von geiſtigen Arbeiten und Arbeitern eine nicht
minder tief verſchiedene ſei, und als ob dieſe höhere Verantwortlich-
keit vorzugsweiſe auf dem Buche ruhe. Nur der, der Bücher ſchreibt,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. [V]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/11>, abgerufen am 29.03.2024.