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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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commissariat in Leipzig: Ludwig. Vom kaiserlichen Generalsuperinten-
denten aller Buchdrucker des römischen Reiches 1740. Literatur bei Pütter
(Literatur des Staatsrechts III. S. 593). Mit welcher rücksichtslosen
Gewalt und wie systematisch die Jesuiten in Oesterreich die Bücher reli-
giösen Inhalts verfolgten: Wiesner a. a. O.; die Grundauffassung
über das Recht blieb aber (Berg, Polizeirecht II. S. 353, 359). Das
waren die Grundzüge des Zustandes. Der Geist des damaligen Rechts
hat sich auch in der zweiten Epoche erhalten. Die Grundsätze sind im
Großen und Ganzen: Freiheit der Presse für alles, was nicht den
Staat und die Religion betrifft; Recht der Polizei, die Bücher zu er-
lauben und zu verbieten; Mittel: Concession, Angabe des Druckers,
Pflichtexemplar; Strafrecht: rein polizeilich, meist ohne gesetzliche
Gränze; Beschlagnahme, Vernichtung, Verbrennung der Exemplare;
polizeiliche Aufhebung der Druckereiconcession nebst Strafe gegen den
Drucker; die spezielle Bezeichnung der unsittlichen Druckwerke ist schon
vorhanden, so wie die der Schmähschriften, auch des Druckes und der
Bilder ("Gedrucktes oder Gemähletes"); aber von einem Unterschied des
einzelnen Satzes und des Geistes der Druckwerke, also von einem be-
sondern Rechte des letztern ist noch gar keine Rede. Es giebt daher
zwar den Namen der Censur, aber sie geht noch nicht auf die einzelnen
Theile des Inhalts, sondern auf das ganze Werk; und das Haupt-
mittel ist nicht die Streichung einzelner Theile, sondern das Verbot des
Ganzen. Die Rechtsfolgen endlich sind kein peinliches Recht, obwohl
die Strafen "peinlich" sein können, sondern sie sind ein Theil des Poli-
zeirechts und daher ganz dem Ermessen der Polizei -- der Obrigkeit --
überlassen; sie sind in kein Strafgesetzbuch übergegangen; das Verfahren
ist daher auch kein gerichtliches, sondern ein polizeiliches; die Auffassung
des Preßrechts ist daher gut, aber eudämonistisch, die Freiheit eng be-
gränzt, aber vorhanden, die Durchführung willkürlich, zufällig, ohne feste
Ordnung. Das Ganze ist daher kein Recht, sondern eine Polizei. Und
das entscheidet für die folgende Epoche.

c) Das Präventivsystem.

Hält man nun für den Begriff des Preßrechts den Kern der
früheren Zeit fest, so ist das Präventivsystem leicht verständlich. Es
ist die Anwendung der obigen Grundsätze statt auf Werke im Ganzen
vielmehr auf die einzelnen Aeußerungen derselben. Die Form,
in der die Preßpolizei gegen die letzteren kämpft, ist die eigentliche Censur;
die Aufgabe und das Recht der Preßpolizeibehörde: mit dem Geiste der
Druckwerke in ihren einzelnen Aeußerungen einen Kampf zu beginnen,

commiſſariat in Leipzig: Ludwig. Vom kaiſerlichen Generalſuperinten-
denten aller Buchdrucker des römiſchen Reiches 1740. Literatur bei Pütter
(Literatur des Staatsrechts III. S. 593). Mit welcher rückſichtsloſen
Gewalt und wie ſyſtematiſch die Jeſuiten in Oeſterreich die Bücher reli-
giöſen Inhalts verfolgten: Wiesner a. a. O.; die Grundauffaſſung
über das Recht blieb aber (Berg, Polizeirecht II. S. 353, 359). Das
waren die Grundzüge des Zuſtandes. Der Geiſt des damaligen Rechts
hat ſich auch in der zweiten Epoche erhalten. Die Grundſätze ſind im
Großen und Ganzen: Freiheit der Preſſe für alles, was nicht den
Staat und die Religion betrifft; Recht der Polizei, die Bücher zu er-
lauben und zu verbieten; Mittel: Conceſſion, Angabe des Druckers,
Pflichtexemplar; Strafrecht: rein polizeilich, meiſt ohne geſetzliche
Gränze; Beſchlagnahme, Vernichtung, Verbrennung der Exemplare;
polizeiliche Aufhebung der Druckereiconceſſion nebſt Strafe gegen den
Drucker; die ſpezielle Bezeichnung der unſittlichen Druckwerke iſt ſchon
vorhanden, ſo wie die der Schmähſchriften, auch des Druckes und der
Bilder („Gedrucktes oder Gemähletes“); aber von einem Unterſchied des
einzelnen Satzes und des Geiſtes der Druckwerke, alſo von einem be-
ſondern Rechte des letztern iſt noch gar keine Rede. Es giebt daher
zwar den Namen der Cenſur, aber ſie geht noch nicht auf die einzelnen
Theile des Inhalts, ſondern auf das ganze Werk; und das Haupt-
mittel iſt nicht die Streichung einzelner Theile, ſondern das Verbot des
Ganzen. Die Rechtsfolgen endlich ſind kein peinliches Recht, obwohl
die Strafen „peinlich“ ſein können, ſondern ſie ſind ein Theil des Poli-
zeirechts und daher ganz dem Ermeſſen der Polizei — der Obrigkeit —
überlaſſen; ſie ſind in kein Strafgeſetzbuch übergegangen; das Verfahren
iſt daher auch kein gerichtliches, ſondern ein polizeiliches; die Auffaſſung
des Preßrechts iſt daher gut, aber eudämoniſtiſch, die Freiheit eng be-
gränzt, aber vorhanden, die Durchführung willkürlich, zufällig, ohne feſte
Ordnung. Das Ganze iſt daher kein Recht, ſondern eine Polizei. Und
das entſcheidet für die folgende Epoche.

c) Das Präventivſyſtem.

Hält man nun für den Begriff des Preßrechts den Kern der
früheren Zeit feſt, ſo iſt das Präventivſyſtem leicht verſtändlich. Es
iſt die Anwendung der obigen Grundſätze ſtatt auf Werke im Ganzen
vielmehr auf die einzelnen Aeußerungen derſelben. Die Form,
in der die Preßpolizei gegen die letzteren kämpft, iſt die eigentliche Cenſur;
die Aufgabe und das Recht der Preßpolizeibehörde: mit dem Geiſte der
Druckwerke in ihren einzelnen Aeußerungen einen Kampf zu beginnen,

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[106/0122] commiſſariat in Leipzig: Ludwig. Vom kaiſerlichen Generalſuperinten- denten aller Buchdrucker des römiſchen Reiches 1740. Literatur bei Pütter (Literatur des Staatsrechts III. S. 593). Mit welcher rückſichtsloſen Gewalt und wie ſyſtematiſch die Jeſuiten in Oeſterreich die Bücher reli- giöſen Inhalts verfolgten: Wiesner a. a. O.; die Grundauffaſſung über das Recht blieb aber (Berg, Polizeirecht II. S. 353, 359). Das waren die Grundzüge des Zuſtandes. Der Geiſt des damaligen Rechts hat ſich auch in der zweiten Epoche erhalten. Die Grundſätze ſind im Großen und Ganzen: Freiheit der Preſſe für alles, was nicht den Staat und die Religion betrifft; Recht der Polizei, die Bücher zu er- lauben und zu verbieten; Mittel: Conceſſion, Angabe des Druckers, Pflichtexemplar; Strafrecht: rein polizeilich, meiſt ohne geſetzliche Gränze; Beſchlagnahme, Vernichtung, Verbrennung der Exemplare; polizeiliche Aufhebung der Druckereiconceſſion nebſt Strafe gegen den Drucker; die ſpezielle Bezeichnung der unſittlichen Druckwerke iſt ſchon vorhanden, ſo wie die der Schmähſchriften, auch des Druckes und der Bilder („Gedrucktes oder Gemähletes“); aber von einem Unterſchied des einzelnen Satzes und des Geiſtes der Druckwerke, alſo von einem be- ſondern Rechte des letztern iſt noch gar keine Rede. Es giebt daher zwar den Namen der Cenſur, aber ſie geht noch nicht auf die einzelnen Theile des Inhalts, ſondern auf das ganze Werk; und das Haupt- mittel iſt nicht die Streichung einzelner Theile, ſondern das Verbot des Ganzen. Die Rechtsfolgen endlich ſind kein peinliches Recht, obwohl die Strafen „peinlich“ ſein können, ſondern ſie ſind ein Theil des Poli- zeirechts und daher ganz dem Ermeſſen der Polizei — der Obrigkeit — überlaſſen; ſie ſind in kein Strafgeſetzbuch übergegangen; das Verfahren iſt daher auch kein gerichtliches, ſondern ein polizeiliches; die Auffaſſung des Preßrechts iſt daher gut, aber eudämoniſtiſch, die Freiheit eng be- gränzt, aber vorhanden, die Durchführung willkürlich, zufällig, ohne feſte Ordnung. Das Ganze iſt daher kein Recht, ſondern eine Polizei. Und das entſcheidet für die folgende Epoche. c) Das Präventivſyſtem. Hält man nun für den Begriff des Preßrechts den Kern der früheren Zeit feſt, ſo iſt das Präventivſyſtem leicht verſtändlich. Es iſt die Anwendung der obigen Grundſätze ſtatt auf Werke im Ganzen vielmehr auf die einzelnen Aeußerungen derſelben. Die Form, in der die Preßpolizei gegen die letzteren kämpft, iſt die eigentliche Cenſur; die Aufgabe und das Recht der Preßpolizeibehörde: mit dem Geiſte der Druckwerke in ihren einzelnen Aeußerungen einen Kampf zu beginnen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/122>, abgerufen am 25.04.2024.