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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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VI. Bildungsvereinswesen.

Wir umfassen nun mit dem Ausdruck Bildungsvereinswesen die
Gesammtheit dessen, was ohne Unterstützung von Seiten der Regierung
von den gesellschaftlichen Elementen selbst für die allgemeine Bildung
geschieht. Dieß ganze Gebiet ist sehr leicht in seinem Princip, aber
sehr schwer in seinen einzelnen Grenzen und in seinem Recht aufzufassen
und zu bestimmen. Das erste ist schon angedeutet. Es enthält den-
jenigen Proceß, durch welchen die Hebung der niederen Klasse durch die
Theilnahme und Hülfe der höheren, oder durch eigene Anstrengungen
vermöge der Entwicklung des geistigen Lebens vor sich geht. Dieser
Proceß aber umfaßt zugleich das Vorbildungswesen in den Sonntags-
und das Fachbildungswesen in den Fortbildungsschulen, so daß es
äußerst schwierig ist, hier den Punkt zu bezeichnen, auf welchem das
allgemeine Bildungswesen sich von dem Berufsbildungswesen scheidet.
Eben deßhalb läßt sich auch schwer von einem selbständigen öffentlichen
Recht desselben reden. Das ganze Gebiet ist für die Verwaltungslehre
wichtiger als für das Verwaltungsrecht. Es ist kaum etwas anderes
hier thunlich, als die zu Tage tretenden Erscheinungen festzustellen und
ihre Bedeutung klar zu machen.

Diese Erscheinungen nun zeigen uns zwei Dinge, welche gemeinsam
den Kern des gesellschaftlichen Lebens unserer Zeit bezeichnen; einerseits
daß die hohen Klassen selbstthätig eingreifen, um den niederen zu helfen,
andererseits daß die letzteren beginnen, sich werkthätig selbst zu helfen.
Das, was in diesem Sinne im Gebiete des allgemeinen Bildungs-
wesens geschieht, ist nur ein Theil und Glied des großen Processes,
der unser Jahrhundert charakterisirt, und den wir die gesellschaftliche
Verwaltung nennen können. Die Verwaltungslehre hat in ihrem letzten
Gebiete sich spezieller damit zu beschäftigen; hier kommt es nur darauf
an, die betreffenden einzelnen Erscheinungen zu bezeichnen.

Wir rechnen dahin zunächst das ganze Gebiet der wirthschaft-
lichen
Bildungsvereine, die zwar stets einen nächstliegenden wirthschaft-
lichen Zweck haben, aber andererseits eben so sehr zur allgemeinen
Bildung beitragen (Gewerbevereine, landwirthschaftliche Vereine u. a.).
In hohem Grade beachtenswerth aber ist das, was in dem geselligen
Verein in der neueren Zeit vor sich geht. Fast allenthalben ist das
Element der reinen Geselligkeit von der bildenden Aufgabe derselben durch-
drungen, namentlich indem sich dieselben zu Lesevereinen theils geradezu
umgestalten, theils die letztern an sich anschließen. An dieß Vereinswesen
knüpfen sich die öffentlichen Vorträge aller Art, die trotz vieler ver-
kehrten Versuche dennoch von Jahr zu Jahr ein wichtigeres Element der

VI. Bildungsvereinsweſen.

Wir umfaſſen nun mit dem Ausdruck Bildungsvereinsweſen die
Geſammtheit deſſen, was ohne Unterſtützung von Seiten der Regierung
von den geſellſchaftlichen Elementen ſelbſt für die allgemeine Bildung
geſchieht. Dieß ganze Gebiet iſt ſehr leicht in ſeinem Princip, aber
ſehr ſchwer in ſeinen einzelnen Grenzen und in ſeinem Recht aufzufaſſen
und zu beſtimmen. Das erſte iſt ſchon angedeutet. Es enthält den-
jenigen Proceß, durch welchen die Hebung der niederen Klaſſe durch die
Theilnahme und Hülfe der höheren, oder durch eigene Anſtrengungen
vermöge der Entwicklung des geiſtigen Lebens vor ſich geht. Dieſer
Proceß aber umfaßt zugleich das Vorbildungsweſen in den Sonntags-
und das Fachbildungsweſen in den Fortbildungsſchulen, ſo daß es
äußerſt ſchwierig iſt, hier den Punkt zu bezeichnen, auf welchem das
allgemeine Bildungsweſen ſich von dem Berufsbildungsweſen ſcheidet.
Eben deßhalb läßt ſich auch ſchwer von einem ſelbſtändigen öffentlichen
Recht deſſelben reden. Das ganze Gebiet iſt für die Verwaltungslehre
wichtiger als für das Verwaltungsrecht. Es iſt kaum etwas anderes
hier thunlich, als die zu Tage tretenden Erſcheinungen feſtzuſtellen und
ihre Bedeutung klar zu machen.

Dieſe Erſcheinungen nun zeigen uns zwei Dinge, welche gemeinſam
den Kern des geſellſchaftlichen Lebens unſerer Zeit bezeichnen; einerſeits
daß die hohen Klaſſen ſelbſtthätig eingreifen, um den niederen zu helfen,
andererſeits daß die letzteren beginnen, ſich werkthätig ſelbſt zu helfen.
Das, was in dieſem Sinne im Gebiete des allgemeinen Bildungs-
weſens geſchieht, iſt nur ein Theil und Glied des großen Proceſſes,
der unſer Jahrhundert charakteriſirt, und den wir die geſellſchaftliche
Verwaltung nennen können. Die Verwaltungslehre hat in ihrem letzten
Gebiete ſich ſpezieller damit zu beſchäftigen; hier kommt es nur darauf
an, die betreffenden einzelnen Erſcheinungen zu bezeichnen.

Wir rechnen dahin zunächſt das ganze Gebiet der wirthſchaft-
lichen
Bildungsvereine, die zwar ſtets einen nächſtliegenden wirthſchaft-
lichen Zweck haben, aber andererſeits eben ſo ſehr zur allgemeinen
Bildung beitragen (Gewerbevereine, landwirthſchaftliche Vereine u. a.).
In hohem Grade beachtenswerth aber iſt das, was in dem geſelligen
Verein in der neueren Zeit vor ſich geht. Faſt allenthalben iſt das
Element der reinen Geſelligkeit von der bildenden Aufgabe derſelben durch-
drungen, namentlich indem ſich dieſelben zu Leſevereinen theils geradezu
umgeſtalten, theils die letztern an ſich anſchließen. An dieß Vereinsweſen
knüpfen ſich die öffentlichen Vorträge aller Art, die trotz vieler ver-
kehrten Verſuche dennoch von Jahr zu Jahr ein wichtigeres Element der

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[43/0059] VI. Bildungsvereinsweſen. Wir umfaſſen nun mit dem Ausdruck Bildungsvereinsweſen die Geſammtheit deſſen, was ohne Unterſtützung von Seiten der Regierung von den geſellſchaftlichen Elementen ſelbſt für die allgemeine Bildung geſchieht. Dieß ganze Gebiet iſt ſehr leicht in ſeinem Princip, aber ſehr ſchwer in ſeinen einzelnen Grenzen und in ſeinem Recht aufzufaſſen und zu beſtimmen. Das erſte iſt ſchon angedeutet. Es enthält den- jenigen Proceß, durch welchen die Hebung der niederen Klaſſe durch die Theilnahme und Hülfe der höheren, oder durch eigene Anſtrengungen vermöge der Entwicklung des geiſtigen Lebens vor ſich geht. Dieſer Proceß aber umfaßt zugleich das Vorbildungsweſen in den Sonntags- und das Fachbildungsweſen in den Fortbildungsſchulen, ſo daß es äußerſt ſchwierig iſt, hier den Punkt zu bezeichnen, auf welchem das allgemeine Bildungsweſen ſich von dem Berufsbildungsweſen ſcheidet. Eben deßhalb läßt ſich auch ſchwer von einem ſelbſtändigen öffentlichen Recht deſſelben reden. Das ganze Gebiet iſt für die Verwaltungslehre wichtiger als für das Verwaltungsrecht. Es iſt kaum etwas anderes hier thunlich, als die zu Tage tretenden Erſcheinungen feſtzuſtellen und ihre Bedeutung klar zu machen. Dieſe Erſcheinungen nun zeigen uns zwei Dinge, welche gemeinſam den Kern des geſellſchaftlichen Lebens unſerer Zeit bezeichnen; einerſeits daß die hohen Klaſſen ſelbſtthätig eingreifen, um den niederen zu helfen, andererſeits daß die letzteren beginnen, ſich werkthätig ſelbſt zu helfen. Das, was in dieſem Sinne im Gebiete des allgemeinen Bildungs- weſens geſchieht, iſt nur ein Theil und Glied des großen Proceſſes, der unſer Jahrhundert charakteriſirt, und den wir die geſellſchaftliche Verwaltung nennen können. Die Verwaltungslehre hat in ihrem letzten Gebiete ſich ſpezieller damit zu beſchäftigen; hier kommt es nur darauf an, die betreffenden einzelnen Erſcheinungen zu bezeichnen. Wir rechnen dahin zunächſt das ganze Gebiet der wirthſchaft- lichen Bildungsvereine, die zwar ſtets einen nächſtliegenden wirthſchaft- lichen Zweck haben, aber andererſeits eben ſo ſehr zur allgemeinen Bildung beitragen (Gewerbevereine, landwirthſchaftliche Vereine u. a.). In hohem Grade beachtenswerth aber iſt das, was in dem geſelligen Verein in der neueren Zeit vor ſich geht. Faſt allenthalben iſt das Element der reinen Geſelligkeit von der bildenden Aufgabe derſelben durch- drungen, namentlich indem ſich dieſelben zu Leſevereinen theils geradezu umgeſtalten, theils die letztern an ſich anſchließen. An dieß Vereinsweſen knüpfen ſich die öffentlichen Vorträge aller Art, die trotz vieler ver- kehrten Verſuche dennoch von Jahr zu Jahr ein wichtigeres Element der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/59>, abgerufen am 18.04.2024.