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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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fordert das Verständniß der äußeren und inneren Natur der Presse,
diese aber ist eben die rechtliche Consequenz derselben. Eine Reihe von
Gründen hat bewirkt, daß die Verwaltungslehre sich mit der erstern so
gut als gar nicht beschäftigt, und bloß beim Recht stehen geblieben ist.
Daher stammt unserer Ueberzeugung nach der Mangel einer Geschichte,
auch des Preßrechts, und das theilweise sich Verlieren der Literatur
des letzteren in Einzelheiten. Uebrigens aber fehlt, so viel wir sehen
-- wohl eng mit dem obigen zusammenhängend -- das theoretische Ver-
ständniß der Presse als eines organischen Bildungsmittels, das im
vorigen Jahrhundert viel klarer und bewußter als im gegenwärtigen ist;
auch in der Staatswissenschaft, z. B. Berg, Polizeirecht Bd. II. Buch 3,
S. 336 ff.; sie erscheint später beinahe ausschließlich als ein Faktor der
Entwicklung der Verfassung; daher auch die polizeiliche Anschauung
bei der Behandlung der Presse vorwaltet.

II. Die ethische und die sociale Funktion der Presse.

Obwohl nämlich jede einzelne Erscheinung der Presse zunächst als
freie Aeußerung des Einzelnen, als der höchste Ausdruck der Indi-
vidualität auftritt, und obgleich sie sich vermöge ihrer vollkommenen
Freiheit in Umfang, Form und Inhalt in so verschiedenen Gebieten
bewegt, daß sogar die innere geistige Verbindung für das Bewußtsein
des Einzelnen verschwindet, so ist sie dennoch im Großen und Ganzen
von einem und demselben Gesetze beherrscht, das aus dem Zusammen-
wirken ihres geistigen Inhalts und ihrer äußeren Form entsteht. Alles
was sie producirt, producirt sie für alle
. Sie kann gar nicht
anders, als die geistigen Güter, die sie enthält, allen Persönlichkeiten,
ohne Unterschied der Vorbildung, des Ranges und Standes, darbieten.
Sie ist das einzige Mittel, die geistigen Güter des Einzelnen zum
Gemeingut aller zu machen, und zwar in der einzigen Form, in der
ein jeder fähig ist, fast ohne Unterschied seiner Lebensverhältnisse, sich
dieselben anzueignen. Sie ist daher, mag sie erscheinen, wie und wor-
unter sie will, ein organischer Theil, ja der eigentliche Träger des
allgemeinen Bildungswesens. Allein sie ist nicht bloß das. Je
weiter unsere Erkenntniß menschlicher Dinge schreitet, um so klarer wird
es uns, daß die geistigen Güter die erste Bedingung des wahren Fort-
schrittes sind. Durch die Presse gelangt daher die eigentliche höchste
Gewalt der geistigen, und mit ihr der volkswirthschaftlichen und gesell-
schaftlichen Entwicklung zum Ausdruck; ohne sie ist dieselbe gar nicht
zu erreichen; jede Arbeit für sie, mag sie in was immer für einer
Form erscheinen, ist eine Arbeit für diesen Fortschritt, und jede in ihr

fordert das Verſtändniß der äußeren und inneren Natur der Preſſe,
dieſe aber iſt eben die rechtliche Conſequenz derſelben. Eine Reihe von
Gründen hat bewirkt, daß die Verwaltungslehre ſich mit der erſtern ſo
gut als gar nicht beſchäftigt, und bloß beim Recht ſtehen geblieben iſt.
Daher ſtammt unſerer Ueberzeugung nach der Mangel einer Geſchichte,
auch des Preßrechts, und das theilweiſe ſich Verlieren der Literatur
des letzteren in Einzelheiten. Uebrigens aber fehlt, ſo viel wir ſehen
— wohl eng mit dem obigen zuſammenhängend — das theoretiſche Ver-
ſtändniß der Preſſe als eines organiſchen Bildungsmittels, das im
vorigen Jahrhundert viel klarer und bewußter als im gegenwärtigen iſt;
auch in der Staatswiſſenſchaft, z. B. Berg, Polizeirecht Bd. II. Buch 3,
S. 336 ff.; ſie erſcheint ſpäter beinahe ausſchließlich als ein Faktor der
Entwicklung der Verfaſſung; daher auch die polizeiliche Anſchauung
bei der Behandlung der Preſſe vorwaltet.

II. Die ethiſche und die ſociale Funktion der Preſſe.

Obwohl nämlich jede einzelne Erſcheinung der Preſſe zunächſt als
freie Aeußerung des Einzelnen, als der höchſte Ausdruck der Indi-
vidualität auftritt, und obgleich ſie ſich vermöge ihrer vollkommenen
Freiheit in Umfang, Form und Inhalt in ſo verſchiedenen Gebieten
bewegt, daß ſogar die innere geiſtige Verbindung für das Bewußtſein
des Einzelnen verſchwindet, ſo iſt ſie dennoch im Großen und Ganzen
von einem und demſelben Geſetze beherrſcht, das aus dem Zuſammen-
wirken ihres geiſtigen Inhalts und ihrer äußeren Form entſteht. Alles
was ſie producirt, producirt ſie für alle
. Sie kann gar nicht
anders, als die geiſtigen Güter, die ſie enthält, allen Perſönlichkeiten,
ohne Unterſchied der Vorbildung, des Ranges und Standes, darbieten.
Sie iſt das einzige Mittel, die geiſtigen Güter des Einzelnen zum
Gemeingut aller zu machen, und zwar in der einzigen Form, in der
ein jeder fähig iſt, faſt ohne Unterſchied ſeiner Lebensverhältniſſe, ſich
dieſelben anzueignen. Sie iſt daher, mag ſie erſcheinen, wie und wor-
unter ſie will, ein organiſcher Theil, ja der eigentliche Träger des
allgemeinen Bildungsweſens. Allein ſie iſt nicht bloß das. Je
weiter unſere Erkenntniß menſchlicher Dinge ſchreitet, um ſo klarer wird
es uns, daß die geiſtigen Güter die erſte Bedingung des wahren Fort-
ſchrittes ſind. Durch die Preſſe gelangt daher die eigentliche höchſte
Gewalt der geiſtigen, und mit ihr der volkswirthſchaftlichen und geſell-
ſchaftlichen Entwicklung zum Ausdruck; ohne ſie iſt dieſelbe gar nicht
zu erreichen; jede Arbeit für ſie, mag ſie in was immer für einer
Form erſcheinen, iſt eine Arbeit für dieſen Fortſchritt, und jede in ihr

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[47/0063] fordert das Verſtändniß der äußeren und inneren Natur der Preſſe, dieſe aber iſt eben die rechtliche Conſequenz derſelben. Eine Reihe von Gründen hat bewirkt, daß die Verwaltungslehre ſich mit der erſtern ſo gut als gar nicht beſchäftigt, und bloß beim Recht ſtehen geblieben iſt. Daher ſtammt unſerer Ueberzeugung nach der Mangel einer Geſchichte, auch des Preßrechts, und das theilweiſe ſich Verlieren der Literatur des letzteren in Einzelheiten. Uebrigens aber fehlt, ſo viel wir ſehen — wohl eng mit dem obigen zuſammenhängend — das theoretiſche Ver- ſtändniß der Preſſe als eines organiſchen Bildungsmittels, das im vorigen Jahrhundert viel klarer und bewußter als im gegenwärtigen iſt; auch in der Staatswiſſenſchaft, z. B. Berg, Polizeirecht Bd. II. Buch 3, S. 336 ff.; ſie erſcheint ſpäter beinahe ausſchließlich als ein Faktor der Entwicklung der Verfaſſung; daher auch die polizeiliche Anſchauung bei der Behandlung der Preſſe vorwaltet. II. Die ethiſche und die ſociale Funktion der Preſſe. Obwohl nämlich jede einzelne Erſcheinung der Preſſe zunächſt als freie Aeußerung des Einzelnen, als der höchſte Ausdruck der Indi- vidualität auftritt, und obgleich ſie ſich vermöge ihrer vollkommenen Freiheit in Umfang, Form und Inhalt in ſo verſchiedenen Gebieten bewegt, daß ſogar die innere geiſtige Verbindung für das Bewußtſein des Einzelnen verſchwindet, ſo iſt ſie dennoch im Großen und Ganzen von einem und demſelben Geſetze beherrſcht, das aus dem Zuſammen- wirken ihres geiſtigen Inhalts und ihrer äußeren Form entſteht. Alles was ſie producirt, producirt ſie für alle. Sie kann gar nicht anders, als die geiſtigen Güter, die ſie enthält, allen Perſönlichkeiten, ohne Unterſchied der Vorbildung, des Ranges und Standes, darbieten. Sie iſt das einzige Mittel, die geiſtigen Güter des Einzelnen zum Gemeingut aller zu machen, und zwar in der einzigen Form, in der ein jeder fähig iſt, faſt ohne Unterſchied ſeiner Lebensverhältniſſe, ſich dieſelben anzueignen. Sie iſt daher, mag ſie erſcheinen, wie und wor- unter ſie will, ein organiſcher Theil, ja der eigentliche Träger des allgemeinen Bildungsweſens. Allein ſie iſt nicht bloß das. Je weiter unſere Erkenntniß menſchlicher Dinge ſchreitet, um ſo klarer wird es uns, daß die geiſtigen Güter die erſte Bedingung des wahren Fort- ſchrittes ſind. Durch die Preſſe gelangt daher die eigentliche höchſte Gewalt der geiſtigen, und mit ihr der volkswirthſchaftlichen und geſell- ſchaftlichen Entwicklung zum Ausdruck; ohne ſie iſt dieſelbe gar nicht zu erreichen; jede Arbeit für ſie, mag ſie in was immer für einer Form erſcheinen, iſt eine Arbeit für dieſen Fortſchritt, und jede in ihr

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/63>, abgerufen am 23.04.2024.