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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868.

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b) Das Preßstrafrecht, sein Begriff und seine Stellung.

Stehen nun diese Grundlagen fest, so folgt, daß die erste und
wichtigste Aufgabe aller positiven Rechtsbildung der geistigen, verletzen-
den That und speziell der Presse als der Hauptform ihrer Erscheinung
die ist, eine feste Unterscheidung und Gränze für denjenigen Punkt zu
finden, wo sich diese That von der Arbeit scheidet. Denn nur durch
diese Gränzbestimmung kann natürlich, ganz abgesehen von Psychologie
und Philosophie, das Recht der That sein Objekt finden.

Wir verstatten uns hier wieder, auf das bürgerliche Recht zurück-
zugreifen.

Das bürgerliche Recht hat auf diesem Punkte seine eigene, höchst
merkwürdige Geschichte. Dieselbe enthält von dem altrömischen Recht
der legisactio und dann der stipulatio an bis zum neuesten Recht die
allmählige, aber sicher fortschreitende Entwicklung des Grundsatzes, daß
die That -- das ist die Zustimmung zu dem Vortrage -- geschehen ist,
so wie die Selbstbestimmung äußerlich erkennbar ist. Es ist Sache der
Geschichte des Privatrechts, dieß im Einzelnen zu entwickeln. Wichtig
für das Folgende ist dabei nur der Grundsatz, daß der Richter ent-
scheidet, ob jene Zustimmung geschehen ist oder nicht.

Das Strafrecht dagegen beruht auch hier auf andern Grundlagen.
Das peinliche Recht hat mit einer jeden That überhaupt nur dann zu
thun, wenn sie ein Recht verletzt. Dasselbe wird daher stets damit be-
ginnen, die That nach dem Wesen des verletzten Rechts zu bestimmen;
das ist, statt des Begriffes der verletzenden That vielmehr die Fälle
der Rechtsverletzung aufzustellen. Keine Rechtswissenschaft und kein
Strafrecht der Welt hat nun jemals daran gezweifelt, daß es solche
Rechtsverletzungen durch selbständig dastehende, auch äußerlich definir-
bare geistige Thaten gebe; und man darf hinzufügen, daß im Großen
und Ganzen auch die Hauptfälle zu allen Zeiten als die gleichen aner-
kannt worden sind. Nur hat das alte Strafrecht sich ganz auf die
Bestimmung dieser Fälle beschränkt; erst die deutsche Wissenschaft hat
in ihrem allgemeinen Theil des Strafrechts das Wesen der That in
seine Momente zerlegt; doch ist das eine Frage, die nicht hierher gehört.
Auf diese Weise nun hat sich von jeher ein sehr einfaches System des
Strafrechts für die geistige That gebildet, und bis auf die neueste Zeit
hat man sich dabei vollkommen genügen lassen. Man meinte, und bis
zu einem gewissen Grade mit Recht, wenn man auch über Wesen und
Definition von That und Arbeit des Geistes mit keinem Worte redete,
daß die Gränzbestimmung zwischen beiden einer allgemein abstrakten
Feststellung gar nicht bedürfe, sondern daß die möglichst genaue

b) Das Preßſtrafrecht, ſein Begriff und ſeine Stellung.

Stehen nun dieſe Grundlagen feſt, ſo folgt, daß die erſte und
wichtigſte Aufgabe aller poſitiven Rechtsbildung der geiſtigen, verletzen-
den That und ſpeziell der Preſſe als der Hauptform ihrer Erſcheinung
die iſt, eine feſte Unterſcheidung und Gränze für denjenigen Punkt zu
finden, wo ſich dieſe That von der Arbeit ſcheidet. Denn nur durch
dieſe Gränzbeſtimmung kann natürlich, ganz abgeſehen von Pſychologie
und Philoſophie, das Recht der That ſein Objekt finden.

Wir verſtatten uns hier wieder, auf das bürgerliche Recht zurück-
zugreifen.

Das bürgerliche Recht hat auf dieſem Punkte ſeine eigene, höchſt
merkwürdige Geſchichte. Dieſelbe enthält von dem altrömiſchen Recht
der legisactio und dann der stipulatio an bis zum neueſten Recht die
allmählige, aber ſicher fortſchreitende Entwicklung des Grundſatzes, daß
die That — das iſt die Zuſtimmung zu dem Vortrage — geſchehen iſt,
ſo wie die Selbſtbeſtimmung äußerlich erkennbar iſt. Es iſt Sache der
Geſchichte des Privatrechts, dieß im Einzelnen zu entwickeln. Wichtig
für das Folgende iſt dabei nur der Grundſatz, daß der Richter ent-
ſcheidet, ob jene Zuſtimmung geſchehen iſt oder nicht.

Das Strafrecht dagegen beruht auch hier auf andern Grundlagen.
Das peinliche Recht hat mit einer jeden That überhaupt nur dann zu
thun, wenn ſie ein Recht verletzt. Daſſelbe wird daher ſtets damit be-
ginnen, die That nach dem Weſen des verletzten Rechts zu beſtimmen;
das iſt, ſtatt des Begriffes der verletzenden That vielmehr die Fälle
der Rechtsverletzung aufzuſtellen. Keine Rechtswiſſenſchaft und kein
Strafrecht der Welt hat nun jemals daran gezweifelt, daß es ſolche
Rechtsverletzungen durch ſelbſtändig daſtehende, auch äußerlich definir-
bare geiſtige Thaten gebe; und man darf hinzufügen, daß im Großen
und Ganzen auch die Hauptfälle zu allen Zeiten als die gleichen aner-
kannt worden ſind. Nur hat das alte Strafrecht ſich ganz auf die
Beſtimmung dieſer Fälle beſchränkt; erſt die deutſche Wiſſenſchaft hat
in ihrem allgemeinen Theil des Strafrechts das Weſen der That in
ſeine Momente zerlegt; doch iſt das eine Frage, die nicht hierher gehört.
Auf dieſe Weiſe nun hat ſich von jeher ein ſehr einfaches Syſtem des
Strafrechts für die geiſtige That gebildet, und bis auf die neueſte Zeit
hat man ſich dabei vollkommen genügen laſſen. Man meinte, und bis
zu einem gewiſſen Grade mit Recht, wenn man auch über Weſen und
Definition von That und Arbeit des Geiſtes mit keinem Worte redete,
daß die Gränzbeſtimmung zwiſchen beiden einer allgemein abſtrakten
Feſtſtellung gar nicht bedürfe, ſondern daß die möglichſt genaue

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[62/0078] b) Das Preßſtrafrecht, ſein Begriff und ſeine Stellung. Stehen nun dieſe Grundlagen feſt, ſo folgt, daß die erſte und wichtigſte Aufgabe aller poſitiven Rechtsbildung der geiſtigen, verletzen- den That und ſpeziell der Preſſe als der Hauptform ihrer Erſcheinung die iſt, eine feſte Unterſcheidung und Gränze für denjenigen Punkt zu finden, wo ſich dieſe That von der Arbeit ſcheidet. Denn nur durch dieſe Gränzbeſtimmung kann natürlich, ganz abgeſehen von Pſychologie und Philoſophie, das Recht der That ſein Objekt finden. Wir verſtatten uns hier wieder, auf das bürgerliche Recht zurück- zugreifen. Das bürgerliche Recht hat auf dieſem Punkte ſeine eigene, höchſt merkwürdige Geſchichte. Dieſelbe enthält von dem altrömiſchen Recht der legisactio und dann der stipulatio an bis zum neueſten Recht die allmählige, aber ſicher fortſchreitende Entwicklung des Grundſatzes, daß die That — das iſt die Zuſtimmung zu dem Vortrage — geſchehen iſt, ſo wie die Selbſtbeſtimmung äußerlich erkennbar iſt. Es iſt Sache der Geſchichte des Privatrechts, dieß im Einzelnen zu entwickeln. Wichtig für das Folgende iſt dabei nur der Grundſatz, daß der Richter ent- ſcheidet, ob jene Zuſtimmung geſchehen iſt oder nicht. Das Strafrecht dagegen beruht auch hier auf andern Grundlagen. Das peinliche Recht hat mit einer jeden That überhaupt nur dann zu thun, wenn ſie ein Recht verletzt. Daſſelbe wird daher ſtets damit be- ginnen, die That nach dem Weſen des verletzten Rechts zu beſtimmen; das iſt, ſtatt des Begriffes der verletzenden That vielmehr die Fälle der Rechtsverletzung aufzuſtellen. Keine Rechtswiſſenſchaft und kein Strafrecht der Welt hat nun jemals daran gezweifelt, daß es ſolche Rechtsverletzungen durch ſelbſtändig daſtehende, auch äußerlich definir- bare geiſtige Thaten gebe; und man darf hinzufügen, daß im Großen und Ganzen auch die Hauptfälle zu allen Zeiten als die gleichen aner- kannt worden ſind. Nur hat das alte Strafrecht ſich ganz auf die Beſtimmung dieſer Fälle beſchränkt; erſt die deutſche Wiſſenſchaft hat in ihrem allgemeinen Theil des Strafrechts das Weſen der That in ſeine Momente zerlegt; doch iſt das eine Frage, die nicht hierher gehört. Auf dieſe Weiſe nun hat ſich von jeher ein ſehr einfaches Syſtem des Strafrechts für die geiſtige That gebildet, und bis auf die neueſte Zeit hat man ſich dabei vollkommen genügen laſſen. Man meinte, und bis zu einem gewiſſen Grade mit Recht, wenn man auch über Weſen und Definition von That und Arbeit des Geiſtes mit keinem Worte redete, daß die Gränzbeſtimmung zwiſchen beiden einer allgemein abſtrakten Feſtſtellung gar nicht bedürfe, ſondern daß die möglichſt genaue

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 6. Stuttgart, 1868, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre06_1868/78>, abgerufen am 25.04.2024.