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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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II.
Die einzelnen Entwährungen.
Die Grundentlastung.
I. Der formale Begriff derselben.

Die Grundentlastung bildet nun, dem Obigen zufolge, den ersten
und wichtigsten Theil der Entwährung, die erste große Anwendung des
Princips der staatsbürgerlichen Gesellschaft und damit Anfang und Ende
ihres Sieges in den Völkern Europas.

Ihr formaler Begriff ist zunächst folgender:

Die Grundentlastung ist dem formalen Begriffe nach diejenige
Entwährung, welche die Gesammtheit aller, mit historisch bestimmten
einzelnen Grundbesitzungen verbundenen öffentlichen Rechte aufhebt,
indem sie die Besitzer für den wirthschaftlichen Werth dieser Rechte
nach gesetzlich bestimmten Vorschriften wenigstens zum Theil entschädigt.

Das Grundentlastungsrecht enthält seinerseits die Gesammtheit
von Bestimmungen, nach welchen die aufzuhebenden Rechte festgestellt,
und das Entschädigungsverfahren geordnet wird.

Es ist daher kein Zweifel, daß das gesammte Grundentlastungs-
wesen dem öffentlichen, und speciell dem innern Verwaltungsrechte an-
gehört. Es ist eine bestimmte Anwendung des allgemeinen Entwährungs-
rechts des Staats. Allerdings aber ist es nicht zu verkennen, daß es
eine zweifache Natur hat. Es gehört einerseits der Verwaltung der
gesellschaftlichen Entwicklung an, indem es die öffentliche Stellung der
Grundherrlichkeiten beseitigt, und das gleiche Recht jedes Grundbesitzes
herstellt. Andererseits aber gehört es der inneren Verwaltung, indem
es jene öffentlichen Rechtszustände der Grundherrlichkeiten, welche ein
unbesiegbares Hinderniß für den Einzelnen waren, aufhebt, und da-
mit die freie volkswirthschaftliche Entwicklung Aller möglich macht. Faßt
man es in seinem Verhältniß zur gesellschaftlichen Ordnung, so gehört
es der Gesellschaftslehre; faßt man es in seinem Verhältniß zum Privat-
recht des Einzelnen, so gehört es der Volkswirthschaftspflege. Man
muß es daher formell als Uebergang beider Gebiete in einander an-
sehen. Wir nun stellen es an die Spitze der volkswirthschaftlichen Ver-
waltung, weil es mit dem Element, mit welchem es der Gesellschafts-
lehre angehört, ein nur einmaliges und historisches, mit dem jedoch,
mit welchem es in der Volkswirthschaftspflege erscheint, ein dauerndes
und organisches Moment der Verwaltung ist.


II.
Die einzelnen Entwährungen.
Die Grundentlaſtung.
I. Der formale Begriff derſelben.

Die Grundentlaſtung bildet nun, dem Obigen zufolge, den erſten
und wichtigſten Theil der Entwährung, die erſte große Anwendung des
Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und damit Anfang und Ende
ihres Sieges in den Völkern Europas.

Ihr formaler Begriff iſt zunächſt folgender:

Die Grundentlaſtung iſt dem formalen Begriffe nach diejenige
Entwährung, welche die Geſammtheit aller, mit hiſtoriſch beſtimmten
einzelnen Grundbeſitzungen verbundenen öffentlichen Rechte aufhebt,
indem ſie die Beſitzer für den wirthſchaftlichen Werth dieſer Rechte
nach geſetzlich beſtimmten Vorſchriften wenigſtens zum Theil entſchädigt.

Das Grundentlaſtungsrecht enthält ſeinerſeits die Geſammtheit
von Beſtimmungen, nach welchen die aufzuhebenden Rechte feſtgeſtellt,
und das Entſchädigungsverfahren geordnet wird.

Es iſt daher kein Zweifel, daß das geſammte Grundentlaſtungs-
weſen dem öffentlichen, und ſpeciell dem innern Verwaltungsrechte an-
gehört. Es iſt eine beſtimmte Anwendung des allgemeinen Entwährungs-
rechts des Staats. Allerdings aber iſt es nicht zu verkennen, daß es
eine zweifache Natur hat. Es gehört einerſeits der Verwaltung der
geſellſchaftlichen Entwicklung an, indem es die öffentliche Stellung der
Grundherrlichkeiten beſeitigt, und das gleiche Recht jedes Grundbeſitzes
herſtellt. Andererſeits aber gehört es der inneren Verwaltung, indem
es jene öffentlichen Rechtszuſtände der Grundherrlichkeiten, welche ein
unbeſiegbares Hinderniß für den Einzelnen waren, aufhebt, und da-
mit die freie volkswirthſchaftliche Entwicklung Aller möglich macht. Faßt
man es in ſeinem Verhältniß zur geſellſchaftlichen Ordnung, ſo gehört
es der Geſellſchaftslehre; faßt man es in ſeinem Verhältniß zum Privat-
recht des Einzelnen, ſo gehört es der Volkswirthſchaftspflege. Man
muß es daher formell als Uebergang beider Gebiete in einander an-
ſehen. Wir nun ſtellen es an die Spitze der volkswirthſchaftlichen Ver-
waltung, weil es mit dem Element, mit welchem es der Geſellſchafts-
lehre angehört, ein nur einmaliges und hiſtoriſches, mit dem jedoch,
mit welchem es in der Volkswirthſchaftspflege erſcheint, ein dauerndes
und organiſches Moment der Verwaltung iſt.


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[93/0111] II. Die einzelnen Entwährungen. Die Grundentlaſtung. I. Der formale Begriff derſelben. Die Grundentlaſtung bildet nun, dem Obigen zufolge, den erſten und wichtigſten Theil der Entwährung, die erſte große Anwendung des Princips der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaft und damit Anfang und Ende ihres Sieges in den Völkern Europas. Ihr formaler Begriff iſt zunächſt folgender: Die Grundentlaſtung iſt dem formalen Begriffe nach diejenige Entwährung, welche die Geſammtheit aller, mit hiſtoriſch beſtimmten einzelnen Grundbeſitzungen verbundenen öffentlichen Rechte aufhebt, indem ſie die Beſitzer für den wirthſchaftlichen Werth dieſer Rechte nach geſetzlich beſtimmten Vorſchriften wenigſtens zum Theil entſchädigt. Das Grundentlaſtungsrecht enthält ſeinerſeits die Geſammtheit von Beſtimmungen, nach welchen die aufzuhebenden Rechte feſtgeſtellt, und das Entſchädigungsverfahren geordnet wird. Es iſt daher kein Zweifel, daß das geſammte Grundentlaſtungs- weſen dem öffentlichen, und ſpeciell dem innern Verwaltungsrechte an- gehört. Es iſt eine beſtimmte Anwendung des allgemeinen Entwährungs- rechts des Staats. Allerdings aber iſt es nicht zu verkennen, daß es eine zweifache Natur hat. Es gehört einerſeits der Verwaltung der geſellſchaftlichen Entwicklung an, indem es die öffentliche Stellung der Grundherrlichkeiten beſeitigt, und das gleiche Recht jedes Grundbeſitzes herſtellt. Andererſeits aber gehört es der inneren Verwaltung, indem es jene öffentlichen Rechtszuſtände der Grundherrlichkeiten, welche ein unbeſiegbares Hinderniß für den Einzelnen waren, aufhebt, und da- mit die freie volkswirthſchaftliche Entwicklung Aller möglich macht. Faßt man es in ſeinem Verhältniß zur geſellſchaftlichen Ordnung, ſo gehört es der Geſellſchaftslehre; faßt man es in ſeinem Verhältniß zum Privat- recht des Einzelnen, ſo gehört es der Volkswirthſchaftspflege. Man muß es daher formell als Uebergang beider Gebiete in einander an- ſehen. Wir nun ſtellen es an die Spitze der volkswirthſchaftlichen Ver- waltung, weil es mit dem Element, mit welchem es der Geſellſchafts- lehre angehört, ein nur einmaliges und hiſtoriſches, mit dem jedoch, mit welchem es in der Volkswirthſchaftspflege erſcheint, ein dauerndes und organiſches Moment der Verwaltung iſt.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/111>, abgerufen am 18.04.2024.