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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Entschädigung selbst in dem Gebiete der gesellschaftlichen Gegensätze zur
Gültigkeit bringt, in denen ohne sie die gesellschaftlichen Bewegungen
als wilde, allen verderbliche, und von der Unfreiheit zu noch größerer
Unfreiheit führende Bürgerkriege auftreten. Sie ist eben dadurch die
Signatur eines wahrhaft lebensfähigen Staates; denn kein Staat ist
fähig, dem dauernden Fortschritt zu dienen, wenn er ein Recht verletzt,
das zu verletzen nicht eine unabweisbare Bedingung seine eigenen Exi-
stenz war. Das ist dasjenige, was wir neben der formalen Bestimmung
der Grundentlastung als die höhere, der Verwaltungslehre angehörende
Idee derselben bezeichnen müssen. Und auf dieser Grundlage entsteht die
Aufgabe der folgenden Darstellung.

Diese nun wird zuerst die großen, für ganz Europa gemeinsamen
Elemente der Geschlechterherrschaft und ihrer Unfreiheit charakterisiren,
nicht um etwas Neues zu sagen, sondern um die Grundlage für die
gesellschaftliche Rechtsbildung der einzelnen Culturvölker zu geben, auf
der die gesellschaftliche und legislative Individualität der letzteren in
ihrem rechten Lichte erscheinen kann.

II. Die Geschichte der Unfreiheit der Geschlechterordnungen Europa's in der
Grundherrlichkeit. Die Grundverhältnisse der Befreiung durch die Staatsidee.
Der Begriff der Selbstverwaltung.

Wenn wir es wagen, im Folgenden mit kurzen Zügen die Gestalt
der Unfreiheit der Geschlechterordnung in der Grundherrlichkeit für die
Darstellung der Entlastung voraufzusenden, so ist dieß nur dadurch
möglich, daß wir jede quellenmäßige Begründung im Einzelnen weg-
lassen, und die Kenntniß derselben auf allen Punkten voraussetzen.
Wir müssen dabei das Recht in Anspruch nehmen, daß das Ganze
den ungültigen Beweis für das Einzelne darbieten dürfe. Dieß ist das
Verhältniß des Folgenden zur bisherigen Rechtsgeschichte, die leider
noch immer statt nach organischem Verständniß nur nach Thatsachen
und Quellen zu suchen versteht.

Da die Verwaltungslehre endlich sich nicht auf Deutschland be-
schränken soll und kann, so müssen wir schließlich darauf aufmerksam
machen, daß wir bei dieser Darstellung Kategorien aufzustellen haben,
welche für die europäischen und nicht mehr bloß für die deutschen rechts-
geschichtlichen Verhältnisse gültig sind. Wir können daher auch uns nicht
an streng deutsche Ausdrücke binden, sondern müssen mehr die Sache selbst
als die einzelnen oft sehr zufälligen Gestaltungen derselben ins Auge
fassen.

I. Die germanische Geschichte beginnt mit derjenigen Gestalt der
Geschlechterordnung, welche wir in der Dorf- und Gauverfassung finden.

Entſchädigung ſelbſt in dem Gebiete der geſellſchaftlichen Gegenſätze zur
Gültigkeit bringt, in denen ohne ſie die geſellſchaftlichen Bewegungen
als wilde, allen verderbliche, und von der Unfreiheit zu noch größerer
Unfreiheit führende Bürgerkriege auftreten. Sie iſt eben dadurch die
Signatur eines wahrhaft lebensfähigen Staates; denn kein Staat iſt
fähig, dem dauernden Fortſchritt zu dienen, wenn er ein Recht verletzt,
das zu verletzen nicht eine unabweisbare Bedingung ſeine eigenen Exi-
ſtenz war. Das iſt dasjenige, was wir neben der formalen Beſtimmung
der Grundentlaſtung als die höhere, der Verwaltungslehre angehörende
Idee derſelben bezeichnen müſſen. Und auf dieſer Grundlage entſteht die
Aufgabe der folgenden Darſtellung.

Dieſe nun wird zuerſt die großen, für ganz Europa gemeinſamen
Elemente der Geſchlechterherrſchaft und ihrer Unfreiheit charakteriſiren,
nicht um etwas Neues zu ſagen, ſondern um die Grundlage für die
geſellſchaftliche Rechtsbildung der einzelnen Culturvölker zu geben, auf
der die geſellſchaftliche und legislative Individualität der letzteren in
ihrem rechten Lichte erſcheinen kann.

II. Die Geſchichte der Unfreiheit der Geſchlechterordnungen Europa’s in der
Grundherrlichkeit. Die Grundverhältniſſe der Befreiung durch die Staatsidee.
Der Begriff der Selbſtverwaltung.

Wenn wir es wagen, im Folgenden mit kurzen Zügen die Geſtalt
der Unfreiheit der Geſchlechterordnung in der Grundherrlichkeit für die
Darſtellung der Entlaſtung voraufzuſenden, ſo iſt dieß nur dadurch
möglich, daß wir jede quellenmäßige Begründung im Einzelnen weg-
laſſen, und die Kenntniß derſelben auf allen Punkten vorausſetzen.
Wir müſſen dabei das Recht in Anſpruch nehmen, daß das Ganze
den ungültigen Beweis für das Einzelne darbieten dürfe. Dieß iſt das
Verhältniß des Folgenden zur bisherigen Rechtsgeſchichte, die leider
noch immer ſtatt nach organiſchem Verſtändniß nur nach Thatſachen
und Quellen zu ſuchen verſteht.

Da die Verwaltungslehre endlich ſich nicht auf Deutſchland be-
ſchränken ſoll und kann, ſo müſſen wir ſchließlich darauf aufmerkſam
machen, daß wir bei dieſer Darſtellung Kategorien aufzuſtellen haben,
welche für die europäiſchen und nicht mehr bloß für die deutſchen rechts-
geſchichtlichen Verhältniſſe gültig ſind. Wir können daher auch uns nicht
an ſtreng deutſche Ausdrücke binden, ſondern müſſen mehr die Sache ſelbſt
als die einzelnen oft ſehr zufälligen Geſtaltungen derſelben ins Auge
faſſen.

I. Die germaniſche Geſchichte beginnt mit derjenigen Geſtalt der
Geſchlechterordnung, welche wir in der Dorf- und Gauverfaſſung finden.

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[96/0114] Entſchädigung ſelbſt in dem Gebiete der geſellſchaftlichen Gegenſätze zur Gültigkeit bringt, in denen ohne ſie die geſellſchaftlichen Bewegungen als wilde, allen verderbliche, und von der Unfreiheit zu noch größerer Unfreiheit führende Bürgerkriege auftreten. Sie iſt eben dadurch die Signatur eines wahrhaft lebensfähigen Staates; denn kein Staat iſt fähig, dem dauernden Fortſchritt zu dienen, wenn er ein Recht verletzt, das zu verletzen nicht eine unabweisbare Bedingung ſeine eigenen Exi- ſtenz war. Das iſt dasjenige, was wir neben der formalen Beſtimmung der Grundentlaſtung als die höhere, der Verwaltungslehre angehörende Idee derſelben bezeichnen müſſen. Und auf dieſer Grundlage entſteht die Aufgabe der folgenden Darſtellung. Dieſe nun wird zuerſt die großen, für ganz Europa gemeinſamen Elemente der Geſchlechterherrſchaft und ihrer Unfreiheit charakteriſiren, nicht um etwas Neues zu ſagen, ſondern um die Grundlage für die geſellſchaftliche Rechtsbildung der einzelnen Culturvölker zu geben, auf der die geſellſchaftliche und legislative Individualität der letzteren in ihrem rechten Lichte erſcheinen kann. II. Die Geſchichte der Unfreiheit der Geſchlechterordnungen Europa’s in der Grundherrlichkeit. Die Grundverhältniſſe der Befreiung durch die Staatsidee. Der Begriff der Selbſtverwaltung. Wenn wir es wagen, im Folgenden mit kurzen Zügen die Geſtalt der Unfreiheit der Geſchlechterordnung in der Grundherrlichkeit für die Darſtellung der Entlaſtung voraufzuſenden, ſo iſt dieß nur dadurch möglich, daß wir jede quellenmäßige Begründung im Einzelnen weg- laſſen, und die Kenntniß derſelben auf allen Punkten vorausſetzen. Wir müſſen dabei das Recht in Anſpruch nehmen, daß das Ganze den ungültigen Beweis für das Einzelne darbieten dürfe. Dieß iſt das Verhältniß des Folgenden zur bisherigen Rechtsgeſchichte, die leider noch immer ſtatt nach organiſchem Verſtändniß nur nach Thatſachen und Quellen zu ſuchen verſteht. Da die Verwaltungslehre endlich ſich nicht auf Deutſchland be- ſchränken ſoll und kann, ſo müſſen wir ſchließlich darauf aufmerkſam machen, daß wir bei dieſer Darſtellung Kategorien aufzuſtellen haben, welche für die europäiſchen und nicht mehr bloß für die deutſchen rechts- geſchichtlichen Verhältniſſe gültig ſind. Wir können daher auch uns nicht an ſtreng deutſche Ausdrücke binden, ſondern müſſen mehr die Sache ſelbſt als die einzelnen oft ſehr zufälligen Geſtaltungen derſelben ins Auge faſſen. I. Die germaniſche Geſchichte beginnt mit derjenigen Geſtalt der Geſchlechterordnung, welche wir in der Dorf- und Gauverfaſſung finden.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/114>, abgerufen am 29.03.2024.