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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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den Unfreien scheidet. Die letztere ist das unterste Glied der damaligen
Gesellschaft geworden. Das Element der Freiheit ist faktisch daraus
verschwunden; die letzten Reste des alten Rechts der unfreien Bauern
unterliegen fast ausnahmslos der grundherrlichen Gerichtsbarkeit, und
jetzt kam es nur noch darauf an, auch wissenschaftlich und juristisch
durch Gesetz, Theorie und Praxis im Einzelnen zu sanktioniren, was
der Entwicklungsgang der sich selbst überlassenen Geschlechterordnung
thatsächlich hervorgebracht hatte.

Setzt man nun, daß im Allgemeinen das 17. Jahrhundert jene
Unfreiheit des Bauernstandes faktisch vollendete, so kann man sagen,
daß sie im 18. Jahrhunderte juristisch und zum Theil historisch in der
Wissenschaft formulirt ward. Es ist von großem Interesse, dieß ins
Auge zu fassen.

III. Der Uebergang der bäuerlichen Unfreiheit in die Rechtswissenschaft und
das Privateigeuthum der Grundherrlichkeit an ihren öffentlichen Rechten.

(Estor. Hauschild, das "deutsche Privatrecht" des 18. Jahrhunderts.)

Als nun mit dem 18. Jahrhundert die Jurisprudenz begann, neben
der Interpretation des Corpus Juris auch das deutsche Privatrecht nach
französischem Vorbilde selbständig zu behandeln, mußten jene Rechts-
verhältnisse der Unterthänigen ein Hauptgebiet desselben bilden. Die
Entscheidung, welche diese neue Wissenschaft des deutschen Privatrechts
hier traf, war natürlich für dieß Rechtsverhältniß von durchgreifender
Bedeutung.

Es ist nun wohl überflüssig zu beweisen, daß diese Entscheidung
von der historischen Bildung der damaligen Juristen abhängig werden
mußte, da ohne eine geschichtliche Anschauung jene Verhältnisse und der
sie beherrschende Proceß schwer verständlich sind. Nun kann man nicht
sagen, daß die Juristen ohne eine solche geschichtliche Kunde gewesen
sind. Das 17. Jahrhundert hatte in Heineccius seinen Eichhorn, in
Conring seinen Mittermaier, anderer nicht zu gedenken. Allein es ist
charakteristisch, daß die Quellenkunde und daher das Verständniß wenig
über das 13. Jahrhundert hinausging, und daher von den freien
Bauern des Cäsar und Tacitus nichts wußte. Die juristische Auf-
fassung ließ sich daher von den gegebenen Zuständen überwältigen, und
wer weiß, ob nicht die Sonderinteressen der Herrscher laut und leise
nachhalfen und mit Lob und Lohn schürten und schoben, bis man
als ursprüngliche Thatsache und Recht annahm, was erst durch die
Unbill der Zeiten im Leben der ländlichen Geschlechterordnung entstanden
war? Jedenfalls wird mit dem 18. Jahrhundert ein der früheren

den Unfreien ſcheidet. Die letztere iſt das unterſte Glied der damaligen
Geſellſchaft geworden. Das Element der Freiheit iſt faktiſch daraus
verſchwunden; die letzten Reſte des alten Rechts der unfreien Bauern
unterliegen faſt ausnahmslos der grundherrlichen Gerichtsbarkeit, und
jetzt kam es nur noch darauf an, auch wiſſenſchaftlich und juriſtiſch
durch Geſetz, Theorie und Praxis im Einzelnen zu ſanktioniren, was
der Entwicklungsgang der ſich ſelbſt überlaſſenen Geſchlechterordnung
thatſächlich hervorgebracht hatte.

Setzt man nun, daß im Allgemeinen das 17. Jahrhundert jene
Unfreiheit des Bauernſtandes faktiſch vollendete, ſo kann man ſagen,
daß ſie im 18. Jahrhunderte juriſtiſch und zum Theil hiſtoriſch in der
Wiſſenſchaft formulirt ward. Es iſt von großem Intereſſe, dieß ins
Auge zu faſſen.

III. Der Uebergang der bäuerlichen Unfreiheit in die Rechtswiſſenſchaft und
das Privateigeuthum der Grundherrlichkeit an ihren öffentlichen Rechten.

(Eſtor. Hauſchild, das „deutſche Privatrecht“ des 18. Jahrhunderts.)

Als nun mit dem 18. Jahrhundert die Jurisprudenz begann, neben
der Interpretation des Corpus Juris auch das deutſche Privatrecht nach
franzöſiſchem Vorbilde ſelbſtändig zu behandeln, mußten jene Rechts-
verhältniſſe der Unterthänigen ein Hauptgebiet deſſelben bilden. Die
Entſcheidung, welche dieſe neue Wiſſenſchaft des deutſchen Privatrechts
hier traf, war natürlich für dieß Rechtsverhältniß von durchgreifender
Bedeutung.

Es iſt nun wohl überflüſſig zu beweiſen, daß dieſe Entſcheidung
von der hiſtoriſchen Bildung der damaligen Juriſten abhängig werden
mußte, da ohne eine geſchichtliche Anſchauung jene Verhältniſſe und der
ſie beherrſchende Proceß ſchwer verſtändlich ſind. Nun kann man nicht
ſagen, daß die Juriſten ohne eine ſolche geſchichtliche Kunde geweſen
ſind. Das 17. Jahrhundert hatte in Heineccius ſeinen Eichhorn, in
Conring ſeinen Mittermaier, anderer nicht zu gedenken. Allein es iſt
charakteriſtiſch, daß die Quellenkunde und daher das Verſtändniß wenig
über das 13. Jahrhundert hinausging, und daher von den freien
Bauern des Cäſar und Tacitus nichts wußte. Die juriſtiſche Auf-
faſſung ließ ſich daher von den gegebenen Zuſtänden überwältigen, und
wer weiß, ob nicht die Sonderintereſſen der Herrſcher laut und leiſe
nachhalfen und mit Lob und Lohn ſchürten und ſchoben, bis man
als urſprüngliche Thatſache und Recht annahm, was erſt durch die
Unbill der Zeiten im Leben der ländlichen Geſchlechterordnung entſtanden
war? Jedenfalls wird mit dem 18. Jahrhundert ein der früheren

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[157/0175] den Unfreien ſcheidet. Die letztere iſt das unterſte Glied der damaligen Geſellſchaft geworden. Das Element der Freiheit iſt faktiſch daraus verſchwunden; die letzten Reſte des alten Rechts der unfreien Bauern unterliegen faſt ausnahmslos der grundherrlichen Gerichtsbarkeit, und jetzt kam es nur noch darauf an, auch wiſſenſchaftlich und juriſtiſch durch Geſetz, Theorie und Praxis im Einzelnen zu ſanktioniren, was der Entwicklungsgang der ſich ſelbſt überlaſſenen Geſchlechterordnung thatſächlich hervorgebracht hatte. Setzt man nun, daß im Allgemeinen das 17. Jahrhundert jene Unfreiheit des Bauernſtandes faktiſch vollendete, ſo kann man ſagen, daß ſie im 18. Jahrhunderte juriſtiſch und zum Theil hiſtoriſch in der Wiſſenſchaft formulirt ward. Es iſt von großem Intereſſe, dieß ins Auge zu faſſen. III. Der Uebergang der bäuerlichen Unfreiheit in die Rechtswiſſenſchaft und das Privateigeuthum der Grundherrlichkeit an ihren öffentlichen Rechten. (Eſtor. Hauſchild, das „deutſche Privatrecht“ des 18. Jahrhunderts.) Als nun mit dem 18. Jahrhundert die Jurisprudenz begann, neben der Interpretation des Corpus Juris auch das deutſche Privatrecht nach franzöſiſchem Vorbilde ſelbſtändig zu behandeln, mußten jene Rechts- verhältniſſe der Unterthänigen ein Hauptgebiet deſſelben bilden. Die Entſcheidung, welche dieſe neue Wiſſenſchaft des deutſchen Privatrechts hier traf, war natürlich für dieß Rechtsverhältniß von durchgreifender Bedeutung. Es iſt nun wohl überflüſſig zu beweiſen, daß dieſe Entſcheidung von der hiſtoriſchen Bildung der damaligen Juriſten abhängig werden mußte, da ohne eine geſchichtliche Anſchauung jene Verhältniſſe und der ſie beherrſchende Proceß ſchwer verſtändlich ſind. Nun kann man nicht ſagen, daß die Juriſten ohne eine ſolche geſchichtliche Kunde geweſen ſind. Das 17. Jahrhundert hatte in Heineccius ſeinen Eichhorn, in Conring ſeinen Mittermaier, anderer nicht zu gedenken. Allein es iſt charakteriſtiſch, daß die Quellenkunde und daher das Verſtändniß wenig über das 13. Jahrhundert hinausging, und daher von den freien Bauern des Cäſar und Tacitus nichts wußte. Die juriſtiſche Auf- faſſung ließ ſich daher von den gegebenen Zuſtänden überwältigen, und wer weiß, ob nicht die Sonderintereſſen der Herrſcher laut und leiſe nachhalfen und mit Lob und Lohn ſchürten und ſchoben, bis man als urſprüngliche Thatſache und Recht annahm, was erſt durch die Unbill der Zeiten im Leben der ländlichen Geſchlechterordnung entſtanden war? Jedenfalls wird mit dem 18. Jahrhundert ein der früheren

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/175>, abgerufen am 20.04.2024.