Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

Bild:
<< vorherige Seite

Gerichtsbarkeit für einen Ausfluß der höchsten Gewalt betrachtet;
so verwickelt man die ganze Lehre (von der Patrimonialgerichtsbarkeit)
in unauflösliche Schwierigkeiten, welche offenbar beweisen, daß unsere
Vorfahren jene verfeinerte Philosophie (!) über richterliche und oberst-
richterliche Gewalt nicht kannten, und nicht darnach handelten" (§. 702).
Freilich hatten die Grundherren nach keiner Philosophie gehandelt; sie
hatten einfach ihre Gewalt ihren Standes- und Sonderinteressen dienst-
bar gemacht. Doch blieb das Resultat. Auch die staatliche Funktion
des Gerichts und der Polizei ist Privateigenthum; heilig und un-
verletzlich wie dieses. Die Entwicklung der Geschlechterunfreiheit, bis
dahin im Kampfe der streitenden Elemente zweifelhaft, hat zwar ihre
objektiv rechtlichen Gränzen gefunden, aber sie ist auch als bürgerliches
Eigenthum dem Schutze des Gerichts anvertraut, und zwar desselben
Gerichts, das vermöge desselben Princips auch Privateigenthum des-
jenigen ist, der über seine eigenen gutsherrlichen Rechte und Verhält-
nisse Kläger und Richter in derselben Person zu sein, ein bürgerliches
Eigenthumsr
echt hat.

Das ist der Schluß dieser Bewegung. Die Frage, ob die Ge-
schlechterordnung sich durch sich selbst zur Freiheit erheben kann, ist auch
in Deutschland verneint. Die Elemente dieser Geschlechterordnung sind
unfähig, das große Princip der staatsbürgerlichen Gleichheit durch sich
selbst zu entwickeln. Das Ergebniß ist, daß das Recht der herrschenden
Klasse über die beherrschte, und daß sogar der Besitz der öffentlichen
Funktionen als Privateigenthum angesehen, als Privatrecht geschützt,
und demnach mit der untergeordneten Lage der niederen Klasse zusam-
mengenommen als die "Verfassung" des Bauernstandes selbst von der
Rechtswissenschaft anerkannt worden.

Soll daher aus diesem Zustand ein Fortschritt stattfinden, so muß
derselbe von einem ganz anderen, von der Geschlechterordnung unab-
hängigen und gegen dieselbe und ihr Recht gleichgültigen Element aus-
gehen. Und dieses Element ist der Staat.

IV. Der Beginn des Kampfes mit dem Geschlechterrecht. Das Dominium
eminens
und seine Geschichte.

(Die drei Epochen: Hugo Grotius. Biener. Posse. Runde. Das Dominium
eminens
verschwindet und das Princip des Entwährungsrechts überhaupt tritt
an seine Stelle. Das Jus eminens und sein Unterschied vom Dominium
eminens.
)

Während nun auf diese Weise die Geschlechterordnung ihre unfreie
Rechtsordnung an die Scholle bindet, beginnt gleichzeitig die eigentliche
Staatsbildung auch in Deutschland in ihren ersten eigentlichen Anfängen

Gerichtsbarkeit für einen Ausfluß der höchſten Gewalt betrachtet;
ſo verwickelt man die ganze Lehre (von der Patrimonialgerichtsbarkeit)
in unauflösliche Schwierigkeiten, welche offenbar beweiſen, daß unſere
Vorfahren jene verfeinerte Philoſophie (!) über richterliche und oberſt-
richterliche Gewalt nicht kannten, und nicht darnach handelten“ (§. 702).
Freilich hatten die Grundherren nach keiner Philoſophie gehandelt; ſie
hatten einfach ihre Gewalt ihren Standes- und Sonderintereſſen dienſt-
bar gemacht. Doch blieb das Reſultat. Auch die ſtaatliche Funktion
des Gerichts und der Polizei iſt Privateigenthum; heilig und un-
verletzlich wie dieſes. Die Entwicklung der Geſchlechterunfreiheit, bis
dahin im Kampfe der ſtreitenden Elemente zweifelhaft, hat zwar ihre
objektiv rechtlichen Gränzen gefunden, aber ſie iſt auch als bürgerliches
Eigenthum dem Schutze des Gerichts anvertraut, und zwar deſſelben
Gerichts, das vermöge deſſelben Princips auch Privateigenthum des-
jenigen iſt, der über ſeine eigenen gutsherrlichen Rechte und Verhält-
niſſe Kläger und Richter in derſelben Perſon zu ſein, ein bürgerliches
Eigenthumsr
echt hat.

Das iſt der Schluß dieſer Bewegung. Die Frage, ob die Ge-
ſchlechterordnung ſich durch ſich ſelbſt zur Freiheit erheben kann, iſt auch
in Deutſchland verneint. Die Elemente dieſer Geſchlechterordnung ſind
unfähig, das große Princip der ſtaatsbürgerlichen Gleichheit durch ſich
ſelbſt zu entwickeln. Das Ergebniß iſt, daß das Recht der herrſchenden
Klaſſe über die beherrſchte, und daß ſogar der Beſitz der öffentlichen
Funktionen als Privateigenthum angeſehen, als Privatrecht geſchützt,
und demnach mit der untergeordneten Lage der niederen Klaſſe zuſam-
mengenommen als die „Verfaſſung“ des Bauernſtandes ſelbſt von der
Rechtswiſſenſchaft anerkannt worden.

Soll daher aus dieſem Zuſtand ein Fortſchritt ſtattfinden, ſo muß
derſelbe von einem ganz anderen, von der Geſchlechterordnung unab-
hängigen und gegen dieſelbe und ihr Recht gleichgültigen Element aus-
gehen. Und dieſes Element iſt der Staat.

IV. Der Beginn des Kampfes mit dem Geſchlechterrecht. Das Dominium
eminens
und ſeine Geſchichte.

(Die drei Epochen: Hugo Grotius. Biener. Poſſe. Runde. Das Dominium
eminens
verſchwindet und das Princip des Entwährungsrechts überhaupt tritt
an ſeine Stelle. Das Jus eminens und ſein Unterſchied vom Dominium
eminens.
)

Während nun auf dieſe Weiſe die Geſchlechterordnung ihre unfreie
Rechtsordnung an die Scholle bindet, beginnt gleichzeitig die eigentliche
Staatsbildung auch in Deutſchland in ihren erſten eigentlichen Anfängen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0182" n="164"/>
Gerichtsbarkeit für einen <hi rendition="#g">Ausfluß der höch&#x017F;ten Gewalt</hi> betrachtet;<lb/>
&#x017F;o verwickelt man die ganze Lehre (von der Patrimonialgerichtsbarkeit)<lb/>
in unauflösliche Schwierigkeiten, welche offenbar bewei&#x017F;en, daß un&#x017F;ere<lb/>
Vorfahren jene verfeinerte Philo&#x017F;ophie (!) über richterliche und ober&#x017F;t-<lb/>
richterliche Gewalt nicht kannten, und nicht darnach handelten&#x201C; (§. 702).<lb/>
Freilich hatten die Grundherren nach keiner Philo&#x017F;ophie gehandelt; &#x017F;ie<lb/>
hatten einfach ihre Gewalt ihren Standes- und Sonderintere&#x017F;&#x017F;en dien&#x017F;t-<lb/>
bar gemacht. Doch blieb das Re&#x017F;ultat. Auch die &#x017F;taatliche Funktion<lb/>
des Gerichts und der Polizei i&#x017F;t <hi rendition="#g">Privateigenthum</hi>; heilig und un-<lb/>
verletzlich wie die&#x017F;es. Die Entwicklung der Ge&#x017F;chlechterunfreiheit, bis<lb/>
dahin im Kampfe der &#x017F;treitenden Elemente zweifelhaft, hat zwar ihre<lb/>
objektiv rechtlichen Gränzen gefunden, aber &#x017F;ie i&#x017F;t auch als bürgerliches<lb/><hi rendition="#g">Eigenthum</hi> dem Schutze des Gerichts anvertraut, und zwar <hi rendition="#g">de&#x017F;&#x017F;elben</hi><lb/>
Gerichts, das vermöge de&#x017F;&#x017F;elben Princips auch Privateigenthum des-<lb/>
jenigen i&#x017F;t, der über &#x017F;eine eigenen gutsherrlichen Rechte und Verhält-<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e Kläger und Richter in der&#x017F;elben Per&#x017F;on zu &#x017F;ein, ein <hi rendition="#g">bürgerliches<lb/>
Eigenthumsr</hi>echt hat.</p><lb/>
                  <p>Das i&#x017F;t der Schluß die&#x017F;er Bewegung. Die Frage, ob die Ge-<lb/>
&#x017F;chlechterordnung &#x017F;ich durch &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t zur Freiheit erheben kann, i&#x017F;t auch<lb/>
in Deut&#x017F;chland verneint. Die Elemente die&#x017F;er Ge&#x017F;chlechterordnung &#x017F;ind<lb/>
unfähig, das große Princip der &#x017F;taatsbürgerlichen Gleichheit durch &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t zu entwickeln. Das Ergebniß i&#x017F;t, daß das Recht der herr&#x017F;chenden<lb/>
Kla&#x017F;&#x017F;e über die beherr&#x017F;chte, und daß &#x017F;ogar der Be&#x017F;itz der öffentlichen<lb/>
Funktionen als Privateigenthum ange&#x017F;ehen, als Privatrecht ge&#x017F;chützt,<lb/>
und <hi rendition="#g">demnach</hi> mit der untergeordneten Lage der niederen Kla&#x017F;&#x017F;e zu&#x017F;am-<lb/>
mengenommen als die &#x201E;Verfa&#x017F;&#x017F;ung&#x201C; des Bauern&#x017F;tandes &#x017F;elb&#x017F;t von der<lb/>
Rechtswi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft anerkannt worden.</p><lb/>
                  <p>Soll daher aus die&#x017F;em Zu&#x017F;tand ein Fort&#x017F;chritt &#x017F;tattfinden, &#x017F;o muß<lb/>
der&#x017F;elbe von einem ganz anderen, von der Ge&#x017F;chlechterordnung unab-<lb/>
hängigen und gegen die&#x017F;elbe und ihr Recht gleichgültigen Element aus-<lb/>
gehen. Und die&#x017F;es Element i&#x017F;t der Staat.</p>
                </div><lb/>
                <div n="6">
                  <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">IV.</hi> Der Beginn des Kampfes mit dem Ge&#x017F;chlechterrecht. Das <hi rendition="#aq">Dominium<lb/>
eminens</hi> und &#x017F;eine Ge&#x017F;chichte.</hi> </head><lb/>
                  <p> <hi rendition="#c">(Die drei Epochen: Hugo Grotius. Biener. Po&#x017F;&#x017F;e. Runde. Das <hi rendition="#aq">Dominium<lb/>
eminens</hi> ver&#x017F;chwindet und das Princip des Entwährungsrechts überhaupt tritt<lb/>
an &#x017F;eine Stelle. Das <hi rendition="#aq">Jus eminens</hi> und &#x017F;ein Unter&#x017F;chied vom <hi rendition="#aq">Dominium<lb/>
eminens.</hi>)</hi> </p><lb/>
                  <p>Während nun auf die&#x017F;e Wei&#x017F;e die Ge&#x017F;chlechterordnung ihre unfreie<lb/>
Rechtsordnung an die Scholle bindet, beginnt gleichzeitig die eigentliche<lb/>
Staatsbildung auch in Deut&#x017F;chland in ihren er&#x017F;ten eigentlichen Anfängen<lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[164/0182] Gerichtsbarkeit für einen Ausfluß der höchſten Gewalt betrachtet; ſo verwickelt man die ganze Lehre (von der Patrimonialgerichtsbarkeit) in unauflösliche Schwierigkeiten, welche offenbar beweiſen, daß unſere Vorfahren jene verfeinerte Philoſophie (!) über richterliche und oberſt- richterliche Gewalt nicht kannten, und nicht darnach handelten“ (§. 702). Freilich hatten die Grundherren nach keiner Philoſophie gehandelt; ſie hatten einfach ihre Gewalt ihren Standes- und Sonderintereſſen dienſt- bar gemacht. Doch blieb das Reſultat. Auch die ſtaatliche Funktion des Gerichts und der Polizei iſt Privateigenthum; heilig und un- verletzlich wie dieſes. Die Entwicklung der Geſchlechterunfreiheit, bis dahin im Kampfe der ſtreitenden Elemente zweifelhaft, hat zwar ihre objektiv rechtlichen Gränzen gefunden, aber ſie iſt auch als bürgerliches Eigenthum dem Schutze des Gerichts anvertraut, und zwar deſſelben Gerichts, das vermöge deſſelben Princips auch Privateigenthum des- jenigen iſt, der über ſeine eigenen gutsherrlichen Rechte und Verhält- niſſe Kläger und Richter in derſelben Perſon zu ſein, ein bürgerliches Eigenthumsrecht hat. Das iſt der Schluß dieſer Bewegung. Die Frage, ob die Ge- ſchlechterordnung ſich durch ſich ſelbſt zur Freiheit erheben kann, iſt auch in Deutſchland verneint. Die Elemente dieſer Geſchlechterordnung ſind unfähig, das große Princip der ſtaatsbürgerlichen Gleichheit durch ſich ſelbſt zu entwickeln. Das Ergebniß iſt, daß das Recht der herrſchenden Klaſſe über die beherrſchte, und daß ſogar der Beſitz der öffentlichen Funktionen als Privateigenthum angeſehen, als Privatrecht geſchützt, und demnach mit der untergeordneten Lage der niederen Klaſſe zuſam- mengenommen als die „Verfaſſung“ des Bauernſtandes ſelbſt von der Rechtswiſſenſchaft anerkannt worden. Soll daher aus dieſem Zuſtand ein Fortſchritt ſtattfinden, ſo muß derſelbe von einem ganz anderen, von der Geſchlechterordnung unab- hängigen und gegen dieſelbe und ihr Recht gleichgültigen Element aus- gehen. Und dieſes Element iſt der Staat. IV. Der Beginn des Kampfes mit dem Geſchlechterrecht. Das Dominium eminens und ſeine Geſchichte. (Die drei Epochen: Hugo Grotius. Biener. Poſſe. Runde. Das Dominium eminens verſchwindet und das Princip des Entwährungsrechts überhaupt tritt an ſeine Stelle. Das Jus eminens und ſein Unterſchied vom Dominium eminens.) Während nun auf dieſe Weiſe die Geſchlechterordnung ihre unfreie Rechtsordnung an die Scholle bindet, beginnt gleichzeitig die eigentliche Staatsbildung auch in Deutſchland in ihren erſten eigentlichen Anfängen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/182
Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/182>, abgerufen am 28.03.2024.