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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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das Conseil municipal vollkommen freie Hand. In eigenthümlicher
Weise schließt sich daran das Recht der biens des sections. Dies tritt
da ein, wo ein gewisser Theil der Gemeindeglieder gemeinsam gewisse
Rechte an den biens communaux ausübt. Dieser Theil wird als
juristische Person behandelt; im Uebrigen sind diese sections Ausnahmen,
und werden nicht mit günstigen Augen betrachtet (vgl. Cass. vom 25. April
1855 und den vortrefflichen Artikel Organisation communale bei Block,
Dict.
). Ganz consequent schließt sich daran der weitere Grundsatz, daß,
wenn verschiedene Gemeinden eine gemeinsame Gemeindeflur haben,
dafür der Grundsatz des Code civ. art. 815 gilt, nach welchem niemand
gezwungen werden kann, im ungetheilten Gut zu bleiben. Die Par-
tages entre communes
gehen daher nach den allgemeinen Grundsätzen
der actio communi dividundo vor sich; speciell auch die Theilung der
Wälder zwischen den Gemeinden nach dem Code forestier art. 92.

2) Der parcours und die vaine pature.

Auf diese Weise ist die systematische Benutzung der alten Gemeinde-
weide durch die allotissements an die Stelle der Auftheilung getreten.
Allein daneben erhält sich nun ein zweites Verhältniß, dessen Ursprung
nur in der alten Dorfgenossenschaft gesucht werden kann. Es war
Grundsatz fast in allen Coutumes, daß nach geschehener Ernte die
Bauern ihre Heerden gegenseitig auf die Gründe der Nachbardörfer
schicken durften, der Regel nach de clocher a clocher, aber nur für
bestiaux de leur crau, et non de leur usage (Orleans 145), wodurch
namentlich die Viehhändler von der Benutzung dieses Rechts ausge-
schlossen wurden. Zu dem Zweck mußte jeder Grundbesitzer den Vieh-
trieb des Nachbarn und selbst des benachbarten Dorfes durch seine Aecker
gestatten. Das erste Recht nannte man das droit de vaine pature,
das zweite das droit de parcours. Von der vaine pature war die
grasse pature (Blumensuchrecht) unterschieden, die sich auf das Weide-
recht vor den Heuernten bezog (Glossaire du droit francais bei Loisel
a. a. O. 2. Bd. v. pature) und stets nur den communiers de la paroisse
zustand, wobei der Regel nach der seigneur gleiches Recht mit dem
communiers selbst hatte (Loisel, Institutes coutumieres von Dupin
und Laboulaye 1846. Bd. I. §. 247--249). Da dieß Recht offenbar
kein grundherrliches Vorrecht, sondern ein bäuerliches Genossenschafts-
recht der ursprünglichen Geschlechterordnung war, und außerdem mit der
ganzen Ordnung der Landwirthschaft aufs Engste zusammen hing, so
konnte man es aus dem ersten Grunde recht füglich bestehen lassen,
und mußte es aus dem zweiten nothwendig erhalten.


das Conseil municipal vollkommen freie Hand. In eigenthümlicher
Weiſe ſchließt ſich daran das Recht der biens des sections. Dies tritt
da ein, wo ein gewiſſer Theil der Gemeindeglieder gemeinſam gewiſſe
Rechte an den biens communaux ausübt. Dieſer Theil wird als
juriſtiſche Perſon behandelt; im Uebrigen ſind dieſe sections Ausnahmen,
und werden nicht mit günſtigen Augen betrachtet (vgl. Cass. vom 25. April
1855 und den vortrefflichen Artikel Organisation communale bei Block,
Dict.
). Ganz conſequent ſchließt ſich daran der weitere Grundſatz, daß,
wenn verſchiedene Gemeinden eine gemeinſame Gemeindeflur haben,
dafür der Grundſatz des Code civ. art. 815 gilt, nach welchem niemand
gezwungen werden kann, im ungetheilten Gut zu bleiben. Die Par-
tages entre communes
gehen daher nach den allgemeinen Grundſätzen
der actio communi dividundo vor ſich; ſpeciell auch die Theilung der
Wälder zwiſchen den Gemeinden nach dem Code forestier art. 92.

2) Der parcours und die vaine pâture.

Auf dieſe Weiſe iſt die ſyſtematiſche Benutzung der alten Gemeinde-
weide durch die allotissements an die Stelle der Auftheilung getreten.
Allein daneben erhält ſich nun ein zweites Verhältniß, deſſen Urſprung
nur in der alten Dorfgenoſſenſchaft geſucht werden kann. Es war
Grundſatz faſt in allen Coutumes, daß nach geſchehener Ernte die
Bauern ihre Heerden gegenſeitig auf die Gründe der Nachbardörfer
ſchicken durften, der Regel nach de clocher à clocher, aber nur für
bestiaux de leur crû, et non de leur usage (Orléans 145), wodurch
namentlich die Viehhändler von der Benutzung dieſes Rechts ausge-
ſchloſſen wurden. Zu dem Zweck mußte jeder Grundbeſitzer den Vieh-
trieb des Nachbarn und ſelbſt des benachbarten Dorfes durch ſeine Aecker
geſtatten. Das erſte Recht nannte man das droit de vaine pâture,
das zweite das droit de parcours. Von der vaine pâture war die
grasse pâture (Blumenſuchrecht) unterſchieden, die ſich auf das Weide-
recht vor den Heuernten bezog (Glossaire du droit français bei Loisel
a. a. O. 2. Bd. v. pâture) und ſtets nur den communiers de la paroisse
zuſtand, wobei der Regel nach der seigneur gleiches Recht mit dem
communiers ſelbſt hatte (Loiſel, Institutes coutumières von Dupin
und Laboulaye 1846. Bd. I. §. 247—249). Da dieß Recht offenbar
kein grundherrliches Vorrecht, ſondern ein bäuerliches Genoſſenſchafts-
recht der urſprünglichen Geſchlechterordnung war, und außerdem mit der
ganzen Ordnung der Landwirthſchaft aufs Engſte zuſammen hing, ſo
konnte man es aus dem erſten Grunde recht füglich beſtehen laſſen,
und mußte es aus dem zweiten nothwendig erhalten.


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[275/0293] das Conseil municipal vollkommen freie Hand. In eigenthümlicher Weiſe ſchließt ſich daran das Recht der biens des sections. Dies tritt da ein, wo ein gewiſſer Theil der Gemeindeglieder gemeinſam gewiſſe Rechte an den biens communaux ausübt. Dieſer Theil wird als juriſtiſche Perſon behandelt; im Uebrigen ſind dieſe sections Ausnahmen, und werden nicht mit günſtigen Augen betrachtet (vgl. Cass. vom 25. April 1855 und den vortrefflichen Artikel Organisation communale bei Block, Dict.). Ganz conſequent ſchließt ſich daran der weitere Grundſatz, daß, wenn verſchiedene Gemeinden eine gemeinſame Gemeindeflur haben, dafür der Grundſatz des Code civ. art. 815 gilt, nach welchem niemand gezwungen werden kann, im ungetheilten Gut zu bleiben. Die Par- tages entre communes gehen daher nach den allgemeinen Grundſätzen der actio communi dividundo vor ſich; ſpeciell auch die Theilung der Wälder zwiſchen den Gemeinden nach dem Code forestier art. 92. 2) Der parcours und die vaine pâture. Auf dieſe Weiſe iſt die ſyſtematiſche Benutzung der alten Gemeinde- weide durch die allotissements an die Stelle der Auftheilung getreten. Allein daneben erhält ſich nun ein zweites Verhältniß, deſſen Urſprung nur in der alten Dorfgenoſſenſchaft geſucht werden kann. Es war Grundſatz faſt in allen Coutumes, daß nach geſchehener Ernte die Bauern ihre Heerden gegenſeitig auf die Gründe der Nachbardörfer ſchicken durften, der Regel nach de clocher à clocher, aber nur für bestiaux de leur crû, et non de leur usage (Orléans 145), wodurch namentlich die Viehhändler von der Benutzung dieſes Rechts ausge- ſchloſſen wurden. Zu dem Zweck mußte jeder Grundbeſitzer den Vieh- trieb des Nachbarn und ſelbſt des benachbarten Dorfes durch ſeine Aecker geſtatten. Das erſte Recht nannte man das droit de vaine pâture, das zweite das droit de parcours. Von der vaine pâture war die grasse pâture (Blumenſuchrecht) unterſchieden, die ſich auf das Weide- recht vor den Heuernten bezog (Glossaire du droit français bei Loisel a. a. O. 2. Bd. v. pâture) und ſtets nur den communiers de la paroisse zuſtand, wobei der Regel nach der seigneur gleiches Recht mit dem communiers ſelbſt hatte (Loiſel, Institutes coutumières von Dupin und Laboulaye 1846. Bd. I. §. 247—249). Da dieß Recht offenbar kein grundherrliches Vorrecht, ſondern ein bäuerliches Genoſſenſchafts- recht der urſprünglichen Geſchlechterordnung war, und außerdem mit der ganzen Ordnung der Landwirthſchaft aufs Engſte zuſammen hing, ſo konnte man es aus dem erſten Grunde recht füglich beſtehen laſſen, und mußte es aus dem zweiten nothwendig erhalten.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 275. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/293>, abgerufen am 24.04.2024.