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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Begriffe sein sollten, während sie verwaltungsrechtliche Principien sind.
Nirgends aber wird die Sache ernster, als in der socialen Frage, wo
man die Gesellschaftslehre zu einem Theil der Nationalökonomie ge-
macht, und diese mit der (gesellschaftlichen) Verwaltung so verschmolzen
hat, daß man in vollständiger Verwirrung der Begriffe den Socialis-
mus und Communismus, Vorschußkassen und Armenwesen, Credit-
organisation und Gütertheilung als volkswirthschaftliche Begriffe fungiren
läßt, die Forderungen, welche Ein Interesse an die Verwaltung stellt,
als absolutes Gesetz der "reinen" Nationalökonomie bezeichnend, ohne
sich zu erinnern, daß die Verwaltung als Thätigkeit des Staats den
einzigen Charakter der letzteren, die Vertretung der Harmonie aller In-
teressen enthalten muß. -- Doch es ist hier nicht der Ort, darauf ein-
zugehen.

Dieß nun, denken wir, wird sich klarer herausstellen, wenn wir jetzt
den kurzen Nachweis liefern, daß das, was man auch historisch die
nationalökonomischen Schulen nennt, in der That nichts anderes ist,
als eine Reihe von Principien der wirthschaftlichen Verwal-
tung auf Grundlage nationalökonomischer Begriffe und
Interessen
.

2) Die drei "Schulen" oder "Systeme" der Nationalökonomie sind
als Systeme der wirthschaftlichen Verwaltung aufzufassen
.

Indem wir es eigener Arbeit nunmehr überlassen, die Geschichte
der Nationalökonomie und die der Verwaltung im Einzelnen mit Wür-
digung aller Gesichtspunkte und Namen und Beleuchtung aller bedeu-
tenden Erscheinungen zu behandeln, dürfen wir doch die Behauptung
hier begründen und bis zu einem gewissen Grad auch entwickeln, daß
in der That in jenen Schulen oder Systemen nicht wie man auch
noch in neuester Zeit fest gehalten hat, die Grundlagen der Geschichte
der Nationalökonomie, sondern vielmehr die der Verwaltung des
wirthschaftlichen Lebens
gegeben ist. Und die Sache selbst ist,
mit Beziehung auf den gesammten Gang der europäischen Entwicklung
in der That so einfach, daß auch weniges für vorurtheilsfreie Auf-
fassung genügen wird.

Zu dem Ende müssen wir zuerst bezeichnen, wie diese "Systeme"
entstanden sind, und was sie eigentlich bedeuten.

Die Geschichte Europas zeigt uns bekanntlich mit dem 17. Jahr-
hundert den Keim einer Neugestaltung aller europäischen Dinge, den
wir bereits früher auf den Beginn des Kampfes der staatsbürgerlichen
Gesellschaftsordnungen und ihres Princips mit der Geschlechter- und

Stein, die Verwaltungslehre. VII. 2

Begriffe ſein ſollten, während ſie verwaltungsrechtliche Principien ſind.
Nirgends aber wird die Sache ernſter, als in der ſocialen Frage, wo
man die Geſellſchaftslehre zu einem Theil der Nationalökonomie ge-
macht, und dieſe mit der (geſellſchaftlichen) Verwaltung ſo verſchmolzen
hat, daß man in vollſtändiger Verwirrung der Begriffe den Socialis-
mus und Communismus, Vorſchußkaſſen und Armenweſen, Credit-
organiſation und Gütertheilung als volkswirthſchaftliche Begriffe fungiren
läßt, die Forderungen, welche Ein Intereſſe an die Verwaltung ſtellt,
als abſolutes Geſetz der „reinen“ Nationalökonomie bezeichnend, ohne
ſich zu erinnern, daß die Verwaltung als Thätigkeit des Staats den
einzigen Charakter der letzteren, die Vertretung der Harmonie aller In-
tereſſen enthalten muß. — Doch es iſt hier nicht der Ort, darauf ein-
zugehen.

Dieß nun, denken wir, wird ſich klarer herausſtellen, wenn wir jetzt
den kurzen Nachweis liefern, daß das, was man auch hiſtoriſch die
nationalökonomiſchen Schulen nennt, in der That nichts anderes iſt,
als eine Reihe von Principien der wirthſchaftlichen Verwal-
tung auf Grundlage nationalökonomiſcher Begriffe und
Intereſſen
.

2) Die drei „Schulen“ oder „Syſteme“ der Nationalökonomie ſind
als Syſteme der wirthſchaftlichen Verwaltung aufzufaſſen
.

Indem wir es eigener Arbeit nunmehr überlaſſen, die Geſchichte
der Nationalökonomie und die der Verwaltung im Einzelnen mit Wür-
digung aller Geſichtspunkte und Namen und Beleuchtung aller bedeu-
tenden Erſcheinungen zu behandeln, dürfen wir doch die Behauptung
hier begründen und bis zu einem gewiſſen Grad auch entwickeln, daß
in der That in jenen Schulen oder Syſtemen nicht wie man auch
noch in neueſter Zeit feſt gehalten hat, die Grundlagen der Geſchichte
der Nationalökonomie, ſondern vielmehr die der Verwaltung des
wirthſchaftlichen Lebens
gegeben iſt. Und die Sache ſelbſt iſt,
mit Beziehung auf den geſammten Gang der europäiſchen Entwicklung
in der That ſo einfach, daß auch weniges für vorurtheilsfreie Auf-
faſſung genügen wird.

Zu dem Ende müſſen wir zuerſt bezeichnen, wie dieſe „Syſteme“
entſtanden ſind, und was ſie eigentlich bedeuten.

Die Geſchichte Europas zeigt uns bekanntlich mit dem 17. Jahr-
hundert den Keim einer Neugeſtaltung aller europäiſchen Dinge, den
wir bereits früher auf den Beginn des Kampfes der ſtaatsbürgerlichen
Geſellſchaftsordnungen und ihres Princips mit der Geſchlechter- und

Stein, die Verwaltungslehre. VII. 2
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[17/0035] Begriffe ſein ſollten, während ſie verwaltungsrechtliche Principien ſind. Nirgends aber wird die Sache ernſter, als in der ſocialen Frage, wo man die Geſellſchaftslehre zu einem Theil der Nationalökonomie ge- macht, und dieſe mit der (geſellſchaftlichen) Verwaltung ſo verſchmolzen hat, daß man in vollſtändiger Verwirrung der Begriffe den Socialis- mus und Communismus, Vorſchußkaſſen und Armenweſen, Credit- organiſation und Gütertheilung als volkswirthſchaftliche Begriffe fungiren läßt, die Forderungen, welche Ein Intereſſe an die Verwaltung ſtellt, als abſolutes Geſetz der „reinen“ Nationalökonomie bezeichnend, ohne ſich zu erinnern, daß die Verwaltung als Thätigkeit des Staats den einzigen Charakter der letzteren, die Vertretung der Harmonie aller In- tereſſen enthalten muß. — Doch es iſt hier nicht der Ort, darauf ein- zugehen. Dieß nun, denken wir, wird ſich klarer herausſtellen, wenn wir jetzt den kurzen Nachweis liefern, daß das, was man auch hiſtoriſch die nationalökonomiſchen Schulen nennt, in der That nichts anderes iſt, als eine Reihe von Principien der wirthſchaftlichen Verwal- tung auf Grundlage nationalökonomiſcher Begriffe und Intereſſen. 2) Die drei „Schulen“ oder „Syſteme“ der Nationalökonomie ſind als Syſteme der wirthſchaftlichen Verwaltung aufzufaſſen. Indem wir es eigener Arbeit nunmehr überlaſſen, die Geſchichte der Nationalökonomie und die der Verwaltung im Einzelnen mit Wür- digung aller Geſichtspunkte und Namen und Beleuchtung aller bedeu- tenden Erſcheinungen zu behandeln, dürfen wir doch die Behauptung hier begründen und bis zu einem gewiſſen Grad auch entwickeln, daß in der That in jenen Schulen oder Syſtemen nicht wie man auch noch in neueſter Zeit feſt gehalten hat, die Grundlagen der Geſchichte der Nationalökonomie, ſondern vielmehr die der Verwaltung des wirthſchaftlichen Lebens gegeben iſt. Und die Sache ſelbſt iſt, mit Beziehung auf den geſammten Gang der europäiſchen Entwicklung in der That ſo einfach, daß auch weniges für vorurtheilsfreie Auf- faſſung genügen wird. Zu dem Ende müſſen wir zuerſt bezeichnen, wie dieſe „Syſteme“ entſtanden ſind, und was ſie eigentlich bedeuten. Die Geſchichte Europas zeigt uns bekanntlich mit dem 17. Jahr- hundert den Keim einer Neugeſtaltung aller europäiſchen Dinge, den wir bereits früher auf den Beginn des Kampfes der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnungen und ihres Princips mit der Geſchlechter- und Stein, die Verwaltungslehre. VII. 2

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/35>, abgerufen am 18.04.2024.