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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Verhältnisse des Eigenthums, die volle Freiheit des individuellen
wirthschaftlichen Besitzes und Erwerbes. Sie ist daher die unversöhn-
liche Feindin sowohl des unfreien Besitzes, als der unfreien Person und
der unfreien Arbeit. Ihr Lebensprincip ist die, durch kein Recht ge-
hemmte freie Entwicklung jeder einzelnen Persönlichkeit.

Auf dieser Basis entwickeln sich nun Begriff und System des Ent-
währungsrechtes.

III. Die Entwährung als ein Rechtsbegriff der staatsbürgerlichen
Gesellschaftsordnung.

Es ist nun klar, daß wenn man sich jene drei großen gesellschaft-
lichen Rechtsprincipien für Besitz und Erwerb vergegenwärtigt, keine
neue Gesellschaftsordnung entstehen kann, ohne das Recht der andern
aufzuheben. In der That ist in der Weltgeschichte das Auftreten einer
Gesellschaftsordnung stets ein Kampf auf Leben und Tod nicht bloß mit
der andern im Allgemeinen, sondern speciell mit dem Rechtssystem der-
selben für die Besitzes- und Gewerbeordnung. Auf dieser Thatsache
beruht, wie schon gesagt, die Geschichte des Rechts. Allein für uns
liegt das entscheidende Moment doch auf einem noch höhern Punkte.
Nicht nämlich die einfache Beseitigung des bestehenden Rechts ist es,
um die es sich bei dem Wechsel der Gesellschaftsordnungen handelt.
Das nämlich ist das Wesen dieses Wechsels, daß in ihm das bestehende
Recht nur als die nothwendige Consequenz, als die praktische Voraus-
setzung und Folge des bestimmten gesellschaftlichen Princips auftritt.
Keine neue Gesellschaftsordnung bekämpft die andere im Namen der
materiellen Macht, auch nicht im Namen des materiellen Wohlseins,
auch nicht im Namen des abstrakten Rechtsbegriffs und auch nicht im
Namen des Staats und seiner Idee. Sondern sie fordert das Auf-
geben der andern Rechts- und Eigenthumsordnung im Namen derjenigen
Berechtigung, welche das höhere sittliche Ideal gegenüber einer bestehen-
den Rechtsordnung gibt, die dasselbe nicht zur Geltung gelangen läßt.
Denn das Rechtsleben, welches jede Gesellschaftsordnung für sich und
durch sich erzeugt, geht ihr eben deßhalb niemals aus dem Begriffe des
Rechts der Idee der unverletzlichen Persönlichkeit hervor, sondern viel-
mehr aus den unabweisbaren Forderungen jener höchsten sittlichen Auf-
gabe, deren organische Verwirklichung sie selber sein will. Jede Gesell-
schaftsordnung ordnet daher das Recht, welches sie selbst gebildet
hat, denjenigen ethischen Forderungen unter, um derent-
willen sie dieß Recht erzeugte
. Das ist das höchste Princip der
gesellschaftlichen Rechtsbildung.


Verhältniſſe des Eigenthums, die volle Freiheit des individuellen
wirthſchaftlichen Beſitzes und Erwerbes. Sie iſt daher die unverſöhn-
liche Feindin ſowohl des unfreien Beſitzes, als der unfreien Perſon und
der unfreien Arbeit. Ihr Lebensprincip iſt die, durch kein Recht ge-
hemmte freie Entwicklung jeder einzelnen Perſönlichkeit.

Auf dieſer Baſis entwickeln ſich nun Begriff und Syſtem des Ent-
währungsrechtes.

III. Die Entwährung als ein Rechtsbegriff der ſtaatsbürgerlichen
Geſellſchaftsordnung.

Es iſt nun klar, daß wenn man ſich jene drei großen geſellſchaft-
lichen Rechtsprincipien für Beſitz und Erwerb vergegenwärtigt, keine
neue Geſellſchaftsordnung entſtehen kann, ohne das Recht der andern
aufzuheben. In der That iſt in der Weltgeſchichte das Auftreten einer
Geſellſchaftsordnung ſtets ein Kampf auf Leben und Tod nicht bloß mit
der andern im Allgemeinen, ſondern ſpeciell mit dem Rechtsſyſtem der-
ſelben für die Beſitzes- und Gewerbeordnung. Auf dieſer Thatſache
beruht, wie ſchon geſagt, die Geſchichte des Rechts. Allein für uns
liegt das entſcheidende Moment doch auf einem noch höhern Punkte.
Nicht nämlich die einfache Beſeitigung des beſtehenden Rechts iſt es,
um die es ſich bei dem Wechſel der Geſellſchaftsordnungen handelt.
Das nämlich iſt das Weſen dieſes Wechſels, daß in ihm das beſtehende
Recht nur als die nothwendige Conſequenz, als die praktiſche Voraus-
ſetzung und Folge des beſtimmten geſellſchaftlichen Princips auftritt.
Keine neue Geſellſchaftsordnung bekämpft die andere im Namen der
materiellen Macht, auch nicht im Namen des materiellen Wohlſeins,
auch nicht im Namen des abſtrakten Rechtsbegriffs und auch nicht im
Namen des Staats und ſeiner Idee. Sondern ſie fordert das Auf-
geben der andern Rechts- und Eigenthumsordnung im Namen derjenigen
Berechtigung, welche das höhere ſittliche Ideal gegenüber einer beſtehen-
den Rechtsordnung gibt, die daſſelbe nicht zur Geltung gelangen läßt.
Denn das Rechtsleben, welches jede Geſellſchaftsordnung für ſich und
durch ſich erzeugt, geht ihr eben deßhalb niemals aus dem Begriffe des
Rechts der Idee der unverletzlichen Perſönlichkeit hervor, ſondern viel-
mehr aus den unabweisbaren Forderungen jener höchſten ſittlichen Auf-
gabe, deren organiſche Verwirklichung ſie ſelber ſein will. Jede Geſell-
ſchaftsordnung ordnet daher das Recht, welches ſie ſelbſt gebildet
hat, denjenigen ethiſchen Forderungen unter, um derent-
willen ſie dieß Recht erzeugte
. Das iſt das höchſte Princip der
geſellſchaftlichen Rechtsbildung.


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[74/0092] Verhältniſſe des Eigenthums, die volle Freiheit des individuellen wirthſchaftlichen Beſitzes und Erwerbes. Sie iſt daher die unverſöhn- liche Feindin ſowohl des unfreien Beſitzes, als der unfreien Perſon und der unfreien Arbeit. Ihr Lebensprincip iſt die, durch kein Recht ge- hemmte freie Entwicklung jeder einzelnen Perſönlichkeit. Auf dieſer Baſis entwickeln ſich nun Begriff und Syſtem des Ent- währungsrechtes. III. Die Entwährung als ein Rechtsbegriff der ſtaatsbürgerlichen Geſellſchaftsordnung. Es iſt nun klar, daß wenn man ſich jene drei großen geſellſchaft- lichen Rechtsprincipien für Beſitz und Erwerb vergegenwärtigt, keine neue Geſellſchaftsordnung entſtehen kann, ohne das Recht der andern aufzuheben. In der That iſt in der Weltgeſchichte das Auftreten einer Geſellſchaftsordnung ſtets ein Kampf auf Leben und Tod nicht bloß mit der andern im Allgemeinen, ſondern ſpeciell mit dem Rechtsſyſtem der- ſelben für die Beſitzes- und Gewerbeordnung. Auf dieſer Thatſache beruht, wie ſchon geſagt, die Geſchichte des Rechts. Allein für uns liegt das entſcheidende Moment doch auf einem noch höhern Punkte. Nicht nämlich die einfache Beſeitigung des beſtehenden Rechts iſt es, um die es ſich bei dem Wechſel der Geſellſchaftsordnungen handelt. Das nämlich iſt das Weſen dieſes Wechſels, daß in ihm das beſtehende Recht nur als die nothwendige Conſequenz, als die praktiſche Voraus- ſetzung und Folge des beſtimmten geſellſchaftlichen Princips auftritt. Keine neue Geſellſchaftsordnung bekämpft die andere im Namen der materiellen Macht, auch nicht im Namen des materiellen Wohlſeins, auch nicht im Namen des abſtrakten Rechtsbegriffs und auch nicht im Namen des Staats und ſeiner Idee. Sondern ſie fordert das Auf- geben der andern Rechts- und Eigenthumsordnung im Namen derjenigen Berechtigung, welche das höhere ſittliche Ideal gegenüber einer beſtehen- den Rechtsordnung gibt, die daſſelbe nicht zur Geltung gelangen läßt. Denn das Rechtsleben, welches jede Geſellſchaftsordnung für ſich und durch ſich erzeugt, geht ihr eben deßhalb niemals aus dem Begriffe des Rechts der Idee der unverletzlichen Perſönlichkeit hervor, ſondern viel- mehr aus den unabweisbaren Forderungen jener höchſten ſittlichen Auf- gabe, deren organiſche Verwirklichung ſie ſelber ſein will. Jede Geſell- ſchaftsordnung ordnet daher das Recht, welches ſie ſelbſt gebildet hat, denjenigen ethiſchen Forderungen unter, um derent- willen ſie dieß Recht erzeugte. Das iſt das höchſte Princip der geſellſchaftlichen Rechtsbildung.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/92>, abgerufen am 16.04.2024.