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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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auch nur als ein Inhalt des wirthschaftlichen Lebens nicht der Person
des Besitzers, sondern des berechtigten Grundstückes selbst erscheint, und
dadurch ein Theil des Eigenthums des letzteren wird.

Es sind daher so viele Dienstbarkeiten möglich, als es möglich ist,
selbständige Benutzungsformen eines Grundstückes durch ein anderes
zu unterscheiden. Es ist an sich gar keine solche Benutzungsform
von dem Begriffe der Dienstbarkeit ausgeschlossen. Es macht daher
an sich gar keinen Unterschied, ob der Weg (Gebrauch zum Uebergehen),
das Wasserholen (Gebrauch des Wassers, mit seiner Bedingung, dem
Weg zum Wasser) u. s. w., oder die Benützung der Weide, oder die
des Waldes, als Eigenthum eines andern Grundstückes hingegeben
werden. In dem Objekt -- das ist der Gebrauchsform -- liegt daher
kein Unterschied der germanischen und römischen Dienstbarkeiten.

Eben so wenig besteht dieser Unterschied in der Unauflöslichkeit
des in der Dienstbarkeit gegebenen rechtlichen Verhältnisses. Denn
mag man die Bezeichnung der germanischen und römischen Dienstbar-
keiten sonst setzen wo man will, immer sind sie alle durch freie Ver-
einbarung der Betheiligten zu lösen. Darüber ist kein Zweifel. Im
Gegentheil hört der Begriff der Dienstbarkeit überhaupt da auf,
wo die Aufhebung eines solchen Rechtsverhältnisses nicht mehr von
dem Willen der Einzelnen abhängt, und eben daher dem öffentlichen
Recht angehört, das ist, eine von der Verwaltung geforderte, somit
öffentlich rechtliche Dienstbarkeit ist, wie z. B. der Leinpfad u. a. m.
Hier ist wohl eine Verwechslung kaum möglich.

Wenn es daher einen wirklichen und tiefgreifenden Unterschied
zwischen der germanischen und römischen Dienstbarkeit gibt -- und daß
es einen solchen gibt, ist ja wohl nicht zweifelhaft -- so muß dieser
Unterschied nicht im Wesen der Dienstbarkeit an sich liegen. Wir lassen
hier die ganze, namentlich im vorigen Jahrhundert und auch noch im
gegenwärtigen so viel ventilirte Frage vorläufig bei Seite, ob die Real-
lasten servitutes in faciendo seien oder nicht -- eine Frage, die nur
aus der Verzweiflung an einem klaren Begriffe und aus dem Mangel
der Kenntniß von der gesellschaftlichen Grundlage des Rechts entstehen
konnte. Daß aber auch in dem Gebiete der eigentlichen servitus bei
völliger Gleichheit aller übrigen Momente ein tiefer Unterschied
zwischen germanischem und römischem Recht besteht, ist von jeher gefühlt.
Um seinen wahren Grund zu suchen, muß man allerdings den bisherigen
Standpunkt hier wie im ganzen Gebiete der Vergleichung beider
großer Rechtsbildungen aufgeben, und nicht einzelne Rechtsverhält-
nisse vergleichen wollen. Man muß vielmehr diesen wie jeden andern
Unterschied des germanischen und römischen Rechts auf das Wesen,

auch nur als ein Inhalt des wirthſchaftlichen Lebens nicht der Perſon
des Beſitzers, ſondern des berechtigten Grundſtückes ſelbſt erſcheint, und
dadurch ein Theil des Eigenthums des letzteren wird.

Es ſind daher ſo viele Dienſtbarkeiten möglich, als es möglich iſt,
ſelbſtändige Benutzungsformen eines Grundſtückes durch ein anderes
zu unterſcheiden. Es iſt an ſich gar keine ſolche Benutzungsform
von dem Begriffe der Dienſtbarkeit ausgeſchloſſen. Es macht daher
an ſich gar keinen Unterſchied, ob der Weg (Gebrauch zum Uebergehen),
das Waſſerholen (Gebrauch des Waſſers, mit ſeiner Bedingung, dem
Weg zum Waſſer) u. ſ. w., oder die Benützung der Weide, oder die
des Waldes, als Eigenthum eines andern Grundſtückes hingegeben
werden. In dem Objekt — das iſt der Gebrauchsform — liegt daher
kein Unterſchied der germaniſchen und römiſchen Dienſtbarkeiten.

Eben ſo wenig beſteht dieſer Unterſchied in der Unauflöslichkeit
des in der Dienſtbarkeit gegebenen rechtlichen Verhältniſſes. Denn
mag man die Bezeichnung der germaniſchen und römiſchen Dienſtbar-
keiten ſonſt ſetzen wo man will, immer ſind ſie alle durch freie Ver-
einbarung der Betheiligten zu löſen. Darüber iſt kein Zweifel. Im
Gegentheil hört der Begriff der Dienſtbarkeit überhaupt da auf,
wo die Aufhebung eines ſolchen Rechtsverhältniſſes nicht mehr von
dem Willen der Einzelnen abhängt, und eben daher dem öffentlichen
Recht angehört, das iſt, eine von der Verwaltung geforderte, ſomit
öffentlich rechtliche Dienſtbarkeit iſt, wie z. B. der Leinpfad u. a. m.
Hier iſt wohl eine Verwechslung kaum möglich.

Wenn es daher einen wirklichen und tiefgreifenden Unterſchied
zwiſchen der germaniſchen und römiſchen Dienſtbarkeit gibt — und daß
es einen ſolchen gibt, iſt ja wohl nicht zweifelhaft — ſo muß dieſer
Unterſchied nicht im Weſen der Dienſtbarkeit an ſich liegen. Wir laſſen
hier die ganze, namentlich im vorigen Jahrhundert und auch noch im
gegenwärtigen ſo viel ventilirte Frage vorläufig bei Seite, ob die Real-
laſten servitutes in faciendo ſeien oder nicht — eine Frage, die nur
aus der Verzweiflung an einem klaren Begriffe und aus dem Mangel
der Kenntniß von der geſellſchaftlichen Grundlage des Rechts entſtehen
konnte. Daß aber auch in dem Gebiete der eigentlichen servitus bei
völliger Gleichheit aller übrigen Momente ein tiefer Unterſchied
zwiſchen germaniſchem und römiſchem Recht beſteht, iſt von jeher gefühlt.
Um ſeinen wahren Grund zu ſuchen, muß man allerdings den bisherigen
Standpunkt hier wie im ganzen Gebiete der Vergleichung beider
großer Rechtsbildungen aufgeben, und nicht einzelne Rechtsverhält-
niſſe vergleichen wollen. Man muß vielmehr dieſen wie jeden andern
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[238/0256] auch nur als ein Inhalt des wirthſchaftlichen Lebens nicht der Perſon des Beſitzers, ſondern des berechtigten Grundſtückes ſelbſt erſcheint, und dadurch ein Theil des Eigenthums des letzteren wird. Es ſind daher ſo viele Dienſtbarkeiten möglich, als es möglich iſt, ſelbſtändige Benutzungsformen eines Grundſtückes durch ein anderes zu unterſcheiden. Es iſt an ſich gar keine ſolche Benutzungsform von dem Begriffe der Dienſtbarkeit ausgeſchloſſen. Es macht daher an ſich gar keinen Unterſchied, ob der Weg (Gebrauch zum Uebergehen), das Waſſerholen (Gebrauch des Waſſers, mit ſeiner Bedingung, dem Weg zum Waſſer) u. ſ. w., oder die Benützung der Weide, oder die des Waldes, als Eigenthum eines andern Grundſtückes hingegeben werden. In dem Objekt — das iſt der Gebrauchsform — liegt daher kein Unterſchied der germaniſchen und römiſchen Dienſtbarkeiten. Eben ſo wenig beſteht dieſer Unterſchied in der Unauflöslichkeit des in der Dienſtbarkeit gegebenen rechtlichen Verhältniſſes. Denn mag man die Bezeichnung der germaniſchen und römiſchen Dienſtbar- keiten ſonſt ſetzen wo man will, immer ſind ſie alle durch freie Ver- einbarung der Betheiligten zu löſen. Darüber iſt kein Zweifel. Im Gegentheil hört der Begriff der Dienſtbarkeit überhaupt da auf, wo die Aufhebung eines ſolchen Rechtsverhältniſſes nicht mehr von dem Willen der Einzelnen abhängt, und eben daher dem öffentlichen Recht angehört, das iſt, eine von der Verwaltung geforderte, ſomit öffentlich rechtliche Dienſtbarkeit iſt, wie z. B. der Leinpfad u. a. m. Hier iſt wohl eine Verwechslung kaum möglich. Wenn es daher einen wirklichen und tiefgreifenden Unterſchied zwiſchen der germaniſchen und römiſchen Dienſtbarkeit gibt — und daß es einen ſolchen gibt, iſt ja wohl nicht zweifelhaft — ſo muß dieſer Unterſchied nicht im Weſen der Dienſtbarkeit an ſich liegen. Wir laſſen hier die ganze, namentlich im vorigen Jahrhundert und auch noch im gegenwärtigen ſo viel ventilirte Frage vorläufig bei Seite, ob die Real- laſten servitutes in faciendo ſeien oder nicht — eine Frage, die nur aus der Verzweiflung an einem klaren Begriffe und aus dem Mangel der Kenntniß von der geſellſchaftlichen Grundlage des Rechts entſtehen konnte. Daß aber auch in dem Gebiete der eigentlichen servitus bei völliger Gleichheit aller übrigen Momente ein tiefer Unterſchied zwiſchen germaniſchem und römiſchem Recht beſteht, iſt von jeher gefühlt. Um ſeinen wahren Grund zu ſuchen, muß man allerdings den bisherigen Standpunkt hier wie im ganzen Gebiete der Vergleichung beider großer Rechtsbildungen aufgeben, und nicht einzelne Rechtsverhält- niſſe vergleichen wollen. Man muß vielmehr dieſen wie jeden andern Unterſchied des germaniſchen und römiſchen Rechts auf das Weſen,

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/256>, abgerufen am 28.03.2024.