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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868.

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Gestaltungen sind, die durch die Hand der Geschichte aus denselben
Elementen bei den verschiedenen Völkern sich zu bilden vermögen.

Das Recht des Gemeindeguts in Frankreich ist nämlich zwar im
Grunde sehr einfach; aber es kann nur ganz verstanden werden, wenn
man in allen seinen Punkten eben auf jene Elemente zurückgeht.

Wir glauben die Zustände der Gemeinden vor der Revolution hier
nicht weiter erörtern zu sollen; sie sind im Wesentlichen den deutschen
gleich. Die Revolution aber mit ihrem Princip des selbständigen Staats-
bürgerthums führt das letztere nicht langsam und schrittweise mit ein-
zelnen Bestimmungen auch für die Gemeindegüter durch, sondern sie
will mit Einem Schlage auf allen Punkten dies gleiche und freie Recht
herstellen. Sofort begegnet sie nun der Frage, ob und wie weit es
für die landwirthschaftliche Gemeinde überhaupt möglich, oder auch
nur zweckmäßig sei, die alte Gemeinschaft von Besitz und Recht, wie
sie aus der ursprünglichen Genossenschaft des Geschlechterdorfes hervor-
gegangen, vollständig in lauter selbständige Grundbesitzungen der ein-
zelnen Bauern aufzulösen. Und hier nun ergibt es sich, daß eine solche
vollständige Auflösung und Aufhebung der Gemeinschaft nicht thunlich
ist. Der eine Faktor des Rechts des französischen Gemeindeguts ist
daher die Erhaltung der alten Gemeinschaft in jenem Grundbesitz
der ursprünglichen Dorfgenossenschaft. Dagegen hielt die Revolution
fest an dem Princip des vollkommen freien Einzeleigenthums, in dem,
wenn auch abstrakten, so doch klaren Bewußtsein, daß die Durchfüh-
rung desselben eine erste Bedingung für ihre eigene Sicherheit sei. Es
genügt ihr dabei natürlich nicht, die Freiheit des Bauerngutes von jeder
Grundlast unbedingt und rückhaltslos herzustellen; sie will auch für das
Gemeindegut denselben Gedanken durchführen, wenigstens so weit dies
thunlich ist. Und so entsteht nun der zweite Faktor jenes Rechts, der
das ganze System der Gemeindeverwaltung durchziehende Gedanke,
mitten in jener Gemeinschaft dennoch das Einzeleigenthum wieder
herzustellen. Das Zusammenwirken dieser beiden Faktoren ist es nun,
welches das eigenthümliche System des französischen Rechts der Ge-
meindegüter bildet, das als eine Frankreich allein angehörige Ver-
mittlung zwischen den beiden Principien
der vollen Selbst-
ständigkeit des Einzelnen und der Erhaltung der Gemeinschaft, aber
der nothwendigen Reste der Markgenossenschaft angesehen werden muß.

Dieß System findet nun zwei Formen des gemeinsamen Besitzes
vor, und hat daher auch zwei Gestaltungen. Die erste Form ist die
des eigentlichen Gemeindeguts, aus dem die allotissements entstehen, die
zweite Form ist der große und höchst beachtenswerthe Rest der ursprüng-
lichen Markgenossenschaft mit dem parcours und der vaine pature.


Geſtaltungen ſind, die durch die Hand der Geſchichte aus denſelben
Elementen bei den verſchiedenen Völkern ſich zu bilden vermögen.

Das Recht des Gemeindeguts in Frankreich iſt nämlich zwar im
Grunde ſehr einfach; aber es kann nur ganz verſtanden werden, wenn
man in allen ſeinen Punkten eben auf jene Elemente zurückgeht.

Wir glauben die Zuſtände der Gemeinden vor der Revolution hier
nicht weiter erörtern zu ſollen; ſie ſind im Weſentlichen den deutſchen
gleich. Die Revolution aber mit ihrem Princip des ſelbſtändigen Staats-
bürgerthums führt das letztere nicht langſam und ſchrittweiſe mit ein-
zelnen Beſtimmungen auch für die Gemeindegüter durch, ſondern ſie
will mit Einem Schlage auf allen Punkten dies gleiche und freie Recht
herſtellen. Sofort begegnet ſie nun der Frage, ob und wie weit es
für die landwirthſchaftliche Gemeinde überhaupt möglich, oder auch
nur zweckmäßig ſei, die alte Gemeinſchaft von Beſitz und Recht, wie
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gegangen, vollſtändig in lauter ſelbſtändige Grundbeſitzungen der ein-
zelnen Bauern aufzulöſen. Und hier nun ergibt es ſich, daß eine ſolche
vollſtändige Auflöſung und Aufhebung der Gemeinſchaft nicht thunlich
iſt. Der eine Faktor des Rechts des franzöſiſchen Gemeindeguts iſt
daher die Erhaltung der alten Gemeinſchaft in jenem Grundbeſitz
der urſprünglichen Dorfgenoſſenſchaft. Dagegen hielt die Revolution
feſt an dem Princip des vollkommen freien Einzeleigenthums, in dem,
wenn auch abſtrakten, ſo doch klaren Bewußtſein, daß die Durchfüh-
rung deſſelben eine erſte Bedingung für ihre eigene Sicherheit ſei. Es
genügt ihr dabei natürlich nicht, die Freiheit des Bauerngutes von jeder
Grundlaſt unbedingt und rückhaltslos herzuſtellen; ſie will auch für das
Gemeindegut denſelben Gedanken durchführen, wenigſtens ſo weit dies
thunlich iſt. Und ſo entſteht nun der zweite Faktor jenes Rechts, der
das ganze Syſtem der Gemeindeverwaltung durchziehende Gedanke,
mitten in jener Gemeinſchaft dennoch das Einzeleigenthum wieder
herzuſtellen. Das Zuſammenwirken dieſer beiden Faktoren iſt es nun,
welches das eigenthümliche Syſtem des franzöſiſchen Rechts der Ge-
meindegüter bildet, das als eine Frankreich allein angehörige Ver-
mittlung zwiſchen den beiden Principien
der vollen Selbſt-
ſtändigkeit des Einzelnen und der Erhaltung der Gemeinſchaft, aber
der nothwendigen Reſte der Markgenoſſenſchaft angeſehen werden muß.

Dieß Syſtem findet nun zwei Formen des gemeinſamen Beſitzes
vor, und hat daher auch zwei Geſtaltungen. Die erſte Form iſt die
des eigentlichen Gemeindeguts, aus dem die allotissements entſtehen, die
zweite Form iſt der große und höchſt beachtenswerthe Reſt der urſprüng-
lichen Markgenoſſenſchaft mit dem parcours und der vaine pâture.


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[271/0289] Geſtaltungen ſind, die durch die Hand der Geſchichte aus denſelben Elementen bei den verſchiedenen Völkern ſich zu bilden vermögen. Das Recht des Gemeindeguts in Frankreich iſt nämlich zwar im Grunde ſehr einfach; aber es kann nur ganz verſtanden werden, wenn man in allen ſeinen Punkten eben auf jene Elemente zurückgeht. Wir glauben die Zuſtände der Gemeinden vor der Revolution hier nicht weiter erörtern zu ſollen; ſie ſind im Weſentlichen den deutſchen gleich. Die Revolution aber mit ihrem Princip des ſelbſtändigen Staats- bürgerthums führt das letztere nicht langſam und ſchrittweiſe mit ein- zelnen Beſtimmungen auch für die Gemeindegüter durch, ſondern ſie will mit Einem Schlage auf allen Punkten dies gleiche und freie Recht herſtellen. Sofort begegnet ſie nun der Frage, ob und wie weit es für die landwirthſchaftliche Gemeinde überhaupt möglich, oder auch nur zweckmäßig ſei, die alte Gemeinſchaft von Beſitz und Recht, wie ſie aus der urſprünglichen Genoſſenſchaft des Geſchlechterdorfes hervor- gegangen, vollſtändig in lauter ſelbſtändige Grundbeſitzungen der ein- zelnen Bauern aufzulöſen. Und hier nun ergibt es ſich, daß eine ſolche vollſtändige Auflöſung und Aufhebung der Gemeinſchaft nicht thunlich iſt. Der eine Faktor des Rechts des franzöſiſchen Gemeindeguts iſt daher die Erhaltung der alten Gemeinſchaft in jenem Grundbeſitz der urſprünglichen Dorfgenoſſenſchaft. Dagegen hielt die Revolution feſt an dem Princip des vollkommen freien Einzeleigenthums, in dem, wenn auch abſtrakten, ſo doch klaren Bewußtſein, daß die Durchfüh- rung deſſelben eine erſte Bedingung für ihre eigene Sicherheit ſei. Es genügt ihr dabei natürlich nicht, die Freiheit des Bauerngutes von jeder Grundlaſt unbedingt und rückhaltslos herzuſtellen; ſie will auch für das Gemeindegut denſelben Gedanken durchführen, wenigſtens ſo weit dies thunlich iſt. Und ſo entſteht nun der zweite Faktor jenes Rechts, der das ganze Syſtem der Gemeindeverwaltung durchziehende Gedanke, mitten in jener Gemeinſchaft dennoch das Einzeleigenthum wieder herzuſtellen. Das Zuſammenwirken dieſer beiden Faktoren iſt es nun, welches das eigenthümliche Syſtem des franzöſiſchen Rechts der Ge- meindegüter bildet, das als eine Frankreich allein angehörige Ver- mittlung zwiſchen den beiden Principien der vollen Selbſt- ſtändigkeit des Einzelnen und der Erhaltung der Gemeinſchaft, aber der nothwendigen Reſte der Markgenoſſenſchaft angeſehen werden muß. Dieß Syſtem findet nun zwei Formen des gemeinſamen Beſitzes vor, und hat daher auch zwei Geſtaltungen. Die erſte Form iſt die des eigentlichen Gemeindeguts, aus dem die allotissements entſtehen, die zweite Form iſt der große und höchſt beachtenswerthe Reſt der urſprüng- lichen Markgenoſſenſchaft mit dem parcours und der vaine pâture.

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 7. Stuttgart, 1868, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre07_1868/289>, abgerufen am 29.03.2024.