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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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zu beobachten, wie eine Empfangszene, da die Kanus in zeitlichen Abständen
eintrafen, der andern folgte; neue Gäste, immer wieder neue Aufregung und
neues Hervorstürzen aus dem Flötenhaus, wo wir unter Beijus und Kalabassen
sassen. Man hatte sich zum Teil festlich mit Farbenmustern geschmückt. Kule-
kule hatte Gesicht und Oberkörper mit orangeroten Strichen und Tupfen verziert,
die Zukünftige hatte rote Schlangenlinien auf den Oberschenkeln, die Egypterin
eine rote Stirn und Nase, Tumayaua's kleine Enkel waren schwarz betupft und
beklext, ihre Mutter Eva erschien, Haar und Haut weiss bepudert von der Beiju-
arbeit. Der gemütliche Awia trug sonderbarer Weise eine Kuchenschaufel, d. h.
einen Beijuwender im Haar.

Es war auch Fremdenbesuch aus Dorf II und III vorhanden, wir zählten in
Paleko's Haus 18 und in Tumayaua's Haus 13 Hängematten. Ehrenreich photo-
graphirte. Jede Aufnahme wurde den Modellen durch einige Perlen vergütet.
Sie hatten einige Angst, allein die Perlen siegten über die Furcht vor der Gefahr.
Nur unter Schwierigkeiten kam die Frauengruppe Tafel 5 zu Stande. Die Frauen
hatten sich aufstellen und zurechtrücken lassen, Ehrenreich war im Begriff, die Platte
zu belichten, da entdeckten sie plötzlich ihr Spiegelbild in dem Objektiv und stürzten
erstaunt auf den Apparat zu, es genauer zu betrachten. Der Photograph in
tausend Nöten! Tumayaua war in den Besitz einer unbrauchbaren Glasplatte ge-
langt -- "paru" Wasser -- und richtete sich nach Vogel's Anweisung mit ihr in
der Strohkuppel seines Hauses das erste Fenster ein.

An diesem schönen Tage wollte ich meinen Gastfreunden ein Ehrengeschenk
stiften. Zwei junge Berliner Damen hatten mir eine hübsche blonde Puppe mit-
gegeben, die sie mit buntem Kleidchen eigenhändig ausstaffiert hatten und die als
beste Nummer unseres Waarenlagers "der Würdigsten" zugedacht war. Ich konnte
nicht schwanken, dass sie der Zukünftigen, der Erbtochter des Dorfes und Herrin
über alles mir gespendete Mehl, gebühre. Die neugierige Frage, ob auch die
Frauen der Karaiben Kleider hätten, sollte nun ihre Erledigung finden. Ich rief
die ganze Gesellschaft auf den Platz zusammen und erregte hellen Jubel, als ich
das blauäugige rotwangige Porzellanköpfchen vorzeigte, das echte Blondhaar sehen
und anfühlen liess und die schönen Kleider des "kkharaiba pekoto" der Reihe nach
erklärte. Und das Entzücken steigerte sich noch, da ich nun auf die Zukünftige
zuschritt und "ama zoto" "Du besitzest es" sagte. Die kleine Gelbhaut errötete
vor Freude und zu meinem Erstaunen ergriff die sonst schweigsame Mutter mit
lauter Stimme das Wort und sprach und sprach, Mancherlei betheuernd, was ich
nicht verstand, was aber, wenn die Indianer auch kein Wort für "danke" haben,
doch eine Dankesrede war. Wem meine Zukünftige von damals inzwischen Herz
und Hand und zur Mitgift die kostbare Karaibenfrau bescheert haben mag, ich
weiss es nicht -- in einer der seltsamen Verschlingungen aber, zu der sich zu-
weilen die Glieder der Schicksalskette zusammenschliessen, hat es sich gefügt,
dass die eine der beiden Berliner Damen mittlerweile die Gattin des Verlegers,
die andere die Gattin des Verfassers dieses Buches geworden ist.


zu beobachten, wie eine Empfangszene, da die Kanus in zeitlichen Abständen
eintrafen, der andern folgte; neue Gäste, immer wieder neue Aufregung und
neues Hervorstürzen aus dem Flötenhaus, wo wir unter Beijús und Kalabassen
sassen. Man hatte sich zum Teil festlich mit Farbenmustern geschmückt. Kule-
kule hatte Gesicht und Oberkörper mit orangeroten Strichen und Tupfen verziert,
die Zukünftige hatte rote Schlangenlinien auf den Oberschenkeln, die Egypterin
eine rote Stirn und Nase, Tumayaua’s kleine Enkel waren schwarz betupft und
beklext, ihre Mutter Eva erschien, Haar und Haut weiss bepudert von der Beijú-
arbeit. Der gemütliche Awiá trug sonderbarer Weise eine Kuchenschaufel, d. h.
einen Beijúwender im Haar.

Es war auch Fremdenbesuch aus Dorf II und III vorhanden, wir zählten in
Paleko’s Haus 18 und in Tumayaua’s Haus 13 Hängematten. Ehrenreich photo-
graphirte. Jede Aufnahme wurde den Modellen durch einige Perlen vergütet.
Sie hatten einige Angst, allein die Perlen siegten über die Furcht vor der Gefahr.
Nur unter Schwierigkeiten kam die Frauengruppe Tafel 5 zu Stande. Die Frauen
hatten sich aufstellen und zurechtrücken lassen, Ehrenreich war im Begriff, die Platte
zu belichten, da entdeckten sie plötzlich ihr Spiegelbild in dem Objektiv und stürzten
erstaunt auf den Apparat zu, es genauer zu betrachten. Der Photograph in
tausend Nöten! Tumayaua war in den Besitz einer unbrauchbaren Glasplatte ge-
langt — »páru« Wasser — und richtete sich nach Vogel’s Anweisung mit ihr in
der Strohkuppel seines Hauses das erste Fenster ein.

An diesem schönen Tage wollte ich meinen Gastfreunden ein Ehrengeschenk
stiften. Zwei junge Berliner Damen hatten mir eine hübsche blonde Puppe mit-
gegeben, die sie mit buntem Kleidchen eigenhändig ausstaffiert hatten und die als
beste Nummer unseres Waarenlagers »der Würdigsten« zugedacht war. Ich konnte
nicht schwanken, dass sie der Zukünftigen, der Erbtochter des Dorfes und Herrin
über alles mir gespendete Mehl, gebühre. Die neugierige Frage, ob auch die
Frauen der Karaiben Kleider hätten, sollte nun ihre Erledigung finden. Ich rief
die ganze Gesellschaft auf den Platz zusammen und erregte hellen Jubel, als ich
das blauäugige rotwangige Porzellanköpfchen vorzeigte, das echte Blondhaar sehen
und anfühlen liess und die schönen Kleider des »kχaráiba pekóto« der Reihe nach
erklärte. Und das Entzücken steigerte sich noch, da ich nun auf die Zukünftige
zuschritt und »áma zóto« »Du besitzest es« sagte. Die kleine Gelbhaut errötete
vor Freude und zu meinem Erstaunen ergriff die sonst schweigsame Mutter mit
lauter Stimme das Wort und sprach und sprach, Mancherlei betheuernd, was ich
nicht verstand, was aber, wenn die Indianer auch kein Wort für »danke« haben,
doch eine Dankesrede war. Wem meine Zukünftige von damals inzwischen Herz
und Hand und zur Mitgift die kostbare Karaibenfrau bescheert haben mag, ich
weiss es nicht — in einer der seltsamen Verschlingungen aber, zu der sich zu-
weilen die Glieder der Schicksalskette zusammenschliessen, hat es sich gefügt,
dass die eine der beiden Berliner Damen mittlerweile die Gattin des Verlegers,
die andere die Gattin des Verfassers dieses Buches geworden ist.


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[86/0116] zu beobachten, wie eine Empfangszene, da die Kanus in zeitlichen Abständen eintrafen, der andern folgte; neue Gäste, immer wieder neue Aufregung und neues Hervorstürzen aus dem Flötenhaus, wo wir unter Beijús und Kalabassen sassen. Man hatte sich zum Teil festlich mit Farbenmustern geschmückt. Kule- kule hatte Gesicht und Oberkörper mit orangeroten Strichen und Tupfen verziert, die Zukünftige hatte rote Schlangenlinien auf den Oberschenkeln, die Egypterin eine rote Stirn und Nase, Tumayaua’s kleine Enkel waren schwarz betupft und beklext, ihre Mutter Eva erschien, Haar und Haut weiss bepudert von der Beijú- arbeit. Der gemütliche Awiá trug sonderbarer Weise eine Kuchenschaufel, d. h. einen Beijúwender im Haar. Es war auch Fremdenbesuch aus Dorf II und III vorhanden, wir zählten in Paleko’s Haus 18 und in Tumayaua’s Haus 13 Hängematten. Ehrenreich photo- graphirte. Jede Aufnahme wurde den Modellen durch einige Perlen vergütet. Sie hatten einige Angst, allein die Perlen siegten über die Furcht vor der Gefahr. Nur unter Schwierigkeiten kam die Frauengruppe Tafel 5 zu Stande. Die Frauen hatten sich aufstellen und zurechtrücken lassen, Ehrenreich war im Begriff, die Platte zu belichten, da entdeckten sie plötzlich ihr Spiegelbild in dem Objektiv und stürzten erstaunt auf den Apparat zu, es genauer zu betrachten. Der Photograph in tausend Nöten! Tumayaua war in den Besitz einer unbrauchbaren Glasplatte ge- langt — »páru« Wasser — und richtete sich nach Vogel’s Anweisung mit ihr in der Strohkuppel seines Hauses das erste Fenster ein. An diesem schönen Tage wollte ich meinen Gastfreunden ein Ehrengeschenk stiften. Zwei junge Berliner Damen hatten mir eine hübsche blonde Puppe mit- gegeben, die sie mit buntem Kleidchen eigenhändig ausstaffiert hatten und die als beste Nummer unseres Waarenlagers »der Würdigsten« zugedacht war. Ich konnte nicht schwanken, dass sie der Zukünftigen, der Erbtochter des Dorfes und Herrin über alles mir gespendete Mehl, gebühre. Die neugierige Frage, ob auch die Frauen der Karaiben Kleider hätten, sollte nun ihre Erledigung finden. Ich rief die ganze Gesellschaft auf den Platz zusammen und erregte hellen Jubel, als ich das blauäugige rotwangige Porzellanköpfchen vorzeigte, das echte Blondhaar sehen und anfühlen liess und die schönen Kleider des »kχaráiba pekóto« der Reihe nach erklärte. Und das Entzücken steigerte sich noch, da ich nun auf die Zukünftige zuschritt und »áma zóto« »Du besitzest es« sagte. Die kleine Gelbhaut errötete vor Freude und zu meinem Erstaunen ergriff die sonst schweigsame Mutter mit lauter Stimme das Wort und sprach und sprach, Mancherlei betheuernd, was ich nicht verstand, was aber, wenn die Indianer auch kein Wort für »danke« haben, doch eine Dankesrede war. Wem meine Zukünftige von damals inzwischen Herz und Hand und zur Mitgift die kostbare Karaibenfrau bescheert haben mag, ich weiss es nicht — in einer der seltsamen Verschlingungen aber, zu der sich zu- weilen die Glieder der Schicksalskette zusammenschliessen, hat es sich gefügt, dass die eine der beiden Berliner Damen mittlerweile die Gattin des Verlegers, die andere die Gattin des Verfassers dieses Buches geworden ist.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/116>, abgerufen am 19.04.2024.