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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Indianer mit den langen Kanus auf den Schultern im Trab durch die Dorfstrasse
liefen und sich die ganze Bevölkerung an dem Schauspiel beteiligte. Mittags
kamen unter lautestem Juchzen an 60 Personen und brachen mit den beiden
Kanus im Laufschritt aus dem Walde hervor, im Laufschritt eilten sie auch den
steilen Uferhang hinab und der enge Platz wimmelte von den nackten braunen
Gestalten. Sie hatten auch ein Dutzend Kinder und allerlei Vorrat von Beijus,
Honig, Piki- und Mangavenfrüchten mitgebracht. Sie waren jetzt mit Leidenschaft
darauf aus, von uns vor Thoresschluss noch zu bekommen, was irgend zu be-
kommen war. Perlen, Perlen, Perlen! Beim Kanutransport hatte sich ein Auetö
die Hand verletzt; Ehrenreich verband sie, war aber kaum damit fertig, als der
Mann sie auch schon nach Perlen ausstreckte. Ein Waura, mit dem ich mich
schier zum Verzweifeln abquälte, dass er mir die Farbenadjektiva seiner Sprache
verrate und der mir immer die Gegenstände und nicht ihre Farben nannte,
unterbrach jede meiner Fragen ungeduldig, streckte die Rechte vor und verlangte
Perlen, "nur her damit", er müsse nach Hause. Es blieb mir zuweilen nichts
übrig, als die Zudringlichen auf die Finger zu klopfen, zumal wenn sie mich
während des Verhörens und Aufschreibens immer anstiessen und beschenkt sein
wollten. Sie nahmen jedoch nichts übel. Oefters wurden sie uns lästig, weil
ihre Zahl zu gross war, liessen es sich aber gefallen, dass ich sie aus der Hänge-
matte herausholte und abführte. Ja, ein Alter unterstützte mich einmal thatkräftig
und schlug einen ungeberdigen jüngeren Burschen mit dem Bogen über den Kopf.

Es bedurfte der grössten Wachsamkeit, dass wir uns vor Diebstählen
schützten. Messer, Scheeren, Vaselin, Kerzen, Blechdöschen, Schnallen, Alles
war ihnen recht. Gut, dass wir Tumayaua hatten. Er passte auf wie ein Polizei-
diener, denn er durfte darauf rechnen, selbst in den Besitz alles dessen zu ge-
langen, was wir behielten, und es war augenscheinlich, dass ihm jede Perlenschnur
und jedes Messer durch die Seele schnitt, die wir aus den Händen gaben. Er
hatte seine eigenen unterwegs angesammelten Schätze sorgsam zwischen den
überstehenden Wurzeln seines Hängemattenbaumes verborgen.

Die stete Ausrede, wenn etwas fehlte, der oder jener von einem andern
Stamm müsse es weggenommen haben, war im Auetöhafen sehr billig. Ausge-
nommen die Mehinaku gab es Vertreter aller Stämme: Auetö, Kamayura,
Yaulapiti, Trumai, Kustenau, Waura, Bakairi und Nahuqua. Immer kamen neue
Besucher, und wir hatten alle Hände voll zu thun, um unsere Aufnahmen zu
ergänzen.

Von den Kustenau, die wir 1884 in einem kleinen Dorf oder richtiger bei
ihrer mit einigen Hütten besetzten Pflanzung am Batovy getroffen hatten, war
einer erschienen, der sich der Reisenden von damals, Wilhelm's, Antonio's und
meiner auch noch erinnerte und nur mit diesen seinen alten Bekannten zu thun
haben wollte. Auch aus dem vierten Dorf der Bakairi am Batovy hatte sich ein Neu-
gieriger eingestellt. Offenbar hatte die Kunde von dem Wiedererscheinen der
Karaiben das ganze Gebiet durchflogen. Am meisten interessierten uns einige

Indianer mit den langen Kanus auf den Schultern im Trab durch die Dorfstrasse
liefen und sich die ganze Bevölkerung an dem Schauspiel beteiligte. Mittags
kamen unter lautestem Juchzen an 60 Personen und brachen mit den beiden
Kanus im Laufschritt aus dem Walde hervor, im Laufschritt eilten sie auch den
steilen Uferhang hinab und der enge Platz wimmelte von den nackten braunen
Gestalten. Sie hatten auch ein Dutzend Kinder und allerlei Vorrat von Beijús,
Honig, Piki- und Mangavenfrüchten mitgebracht. Sie waren jetzt mit Leidenschaft
darauf aus, von uns vor Thoresschluss noch zu bekommen, was irgend zu be-
kommen war. Perlen, Perlen, Perlen! Beim Kanutransport hatte sich ein Auetö́
die Hand verletzt; Ehrenreich verband sie, war aber kaum damit fertig, als der
Mann sie auch schon nach Perlen ausstreckte. Ein Waurá, mit dem ich mich
schier zum Verzweifeln abquälte, dass er mir die Farbenadjektiva seiner Sprache
verrate und der mir immer die Gegenstände und nicht ihre Farben nannte,
unterbrach jede meiner Fragen ungeduldig, streckte die Rechte vor und verlangte
Perlen, »nur her damit«, er müsse nach Hause. Es blieb mir zuweilen nichts
übrig, als die Zudringlichen auf die Finger zu klopfen, zumal wenn sie mich
während des Verhörens und Aufschreibens immer anstiessen und beschenkt sein
wollten. Sie nahmen jedoch nichts übel. Oefters wurden sie uns lästig, weil
ihre Zahl zu gross war, liessen es sich aber gefallen, dass ich sie aus der Hänge-
matte herausholte und abführte. Ja, ein Alter unterstützte mich einmal thatkräftig
und schlug einen ungeberdigen jüngeren Burschen mit dem Bogen über den Kopf.

Es bedurfte der grössten Wachsamkeit, dass wir uns vor Diebstählen
schützten. Messer, Scheeren, Vaselin, Kerzen, Blechdöschen, Schnallen, Alles
war ihnen recht. Gut, dass wir Tumayaua hatten. Er passte auf wie ein Polizei-
diener, denn er durfte darauf rechnen, selbst in den Besitz alles dessen zu ge-
langen, was wir behielten, und es war augenscheinlich, dass ihm jede Perlenschnur
und jedes Messer durch die Seele schnitt, die wir aus den Händen gaben. Er
hatte seine eigenen unterwegs angesammelten Schätze sorgsam zwischen den
überstehenden Wurzeln seines Hängemattenbaumes verborgen.

Die stete Ausrede, wenn etwas fehlte, der oder jener von einem andern
Stamm müsse es weggenommen haben, war im Auetö́hafen sehr billig. Ausge-
nommen die Mehinakú gab es Vertreter aller Stämme: Auetö́, Kamayurá,
Yaulapiti, Trumaí, Kustenaú, Waurá, Bakaïrí und Nahuquá. Immer kamen neue
Besucher, und wir hatten alle Hände voll zu thun, um unsere Aufnahmen zu
ergänzen.

Von den Kustenaú, die wir 1884 in einem kleinen Dorf oder richtiger bei
ihrer mit einigen Hütten besetzten Pflanzung am Batovy getroffen hatten, war
einer erschienen, der sich der Reisenden von damals, Wilhelm’s, Antonio’s und
meiner auch noch erinnerte und nur mit diesen seinen alten Bekannten zu thun
haben wollte. Auch aus dem vierten Dorf der Bakaïrí am Batovy hatte sich ein Neu-
gieriger eingestellt. Offenbar hatte die Kunde von dem Wiedererscheinen der
Karaiben das ganze Gebiet durchflogen. Am meisten interessierten uns einige

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[126/0162] Indianer mit den langen Kanus auf den Schultern im Trab durch die Dorfstrasse liefen und sich die ganze Bevölkerung an dem Schauspiel beteiligte. Mittags kamen unter lautestem Juchzen an 60 Personen und brachen mit den beiden Kanus im Laufschritt aus dem Walde hervor, im Laufschritt eilten sie auch den steilen Uferhang hinab und der enge Platz wimmelte von den nackten braunen Gestalten. Sie hatten auch ein Dutzend Kinder und allerlei Vorrat von Beijús, Honig, Piki- und Mangavenfrüchten mitgebracht. Sie waren jetzt mit Leidenschaft darauf aus, von uns vor Thoresschluss noch zu bekommen, was irgend zu be- kommen war. Perlen, Perlen, Perlen! Beim Kanutransport hatte sich ein Auetö́ die Hand verletzt; Ehrenreich verband sie, war aber kaum damit fertig, als der Mann sie auch schon nach Perlen ausstreckte. Ein Waurá, mit dem ich mich schier zum Verzweifeln abquälte, dass er mir die Farbenadjektiva seiner Sprache verrate und der mir immer die Gegenstände und nicht ihre Farben nannte, unterbrach jede meiner Fragen ungeduldig, streckte die Rechte vor und verlangte Perlen, »nur her damit«, er müsse nach Hause. Es blieb mir zuweilen nichts übrig, als die Zudringlichen auf die Finger zu klopfen, zumal wenn sie mich während des Verhörens und Aufschreibens immer anstiessen und beschenkt sein wollten. Sie nahmen jedoch nichts übel. Oefters wurden sie uns lästig, weil ihre Zahl zu gross war, liessen es sich aber gefallen, dass ich sie aus der Hänge- matte herausholte und abführte. Ja, ein Alter unterstützte mich einmal thatkräftig und schlug einen ungeberdigen jüngeren Burschen mit dem Bogen über den Kopf. Es bedurfte der grössten Wachsamkeit, dass wir uns vor Diebstählen schützten. Messer, Scheeren, Vaselin, Kerzen, Blechdöschen, Schnallen, Alles war ihnen recht. Gut, dass wir Tumayaua hatten. Er passte auf wie ein Polizei- diener, denn er durfte darauf rechnen, selbst in den Besitz alles dessen zu ge- langen, was wir behielten, und es war augenscheinlich, dass ihm jede Perlenschnur und jedes Messer durch die Seele schnitt, die wir aus den Händen gaben. Er hatte seine eigenen unterwegs angesammelten Schätze sorgsam zwischen den überstehenden Wurzeln seines Hängemattenbaumes verborgen. Die stete Ausrede, wenn etwas fehlte, der oder jener von einem andern Stamm müsse es weggenommen haben, war im Auetö́hafen sehr billig. Ausge- nommen die Mehinakú gab es Vertreter aller Stämme: Auetö́, Kamayurá, Yaulapiti, Trumaí, Kustenaú, Waurá, Bakaïrí und Nahuquá. Immer kamen neue Besucher, und wir hatten alle Hände voll zu thun, um unsere Aufnahmen zu ergänzen. Von den Kustenaú, die wir 1884 in einem kleinen Dorf oder richtiger bei ihrer mit einigen Hütten besetzten Pflanzung am Batovy getroffen hatten, war einer erschienen, der sich der Reisenden von damals, Wilhelm’s, Antonio’s und meiner auch noch erinnerte und nur mit diesen seinen alten Bekannten zu thun haben wollte. Auch aus dem vierten Dorf der Bakaïrí am Batovy hatte sich ein Neu- gieriger eingestellt. Offenbar hatte die Kunde von dem Wiedererscheinen der Karaiben das ganze Gebiet durchflogen. Am meisten interessierten uns einige

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/162>, abgerufen am 29.03.2024.