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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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in den schönen breiten Kuluene in sieben Stunden, passierten links einen Zufluss,
rechts einen Kanal der Mariape-Nahuqua, fanden auf dem rechten Ufer die
Trumaidörfer in dem Seite 124 beschriebenen Zustande und konnten von hier aus
in gut vier Stunden -- in acht Stunden seit der Kulisehu-Mündung -- nach
Schingu-Koblenz an die Vereinigungsstelle von Kuluene und Ronuro kommen,
jenen grossen Sandstrand, wo sich 1884 unser Zusammentreffen mit den Trumai
abgespielt hatte.

Die Trumai waren also damals auf ihrem Kuluene heruntergekommen, und
uns hatte man diesen grossen Fluss, von dem wir nur die Einmündung kannten,
als "Kulisehu" bezeichnet. Eine merkwürdige Entwickelung! Wir hatten auf
unserer neuen Expedition den "Kulisehu" gesucht und den Kulisehu auch gefunden
und befahren, allein gemeint hatten wir den Kuluene. Schon die Trumai
wohnten unterhalb der Kulisehu-Mündung; am Kuluene weiter oberhalb sassen die
Nahuqua-Stämme, die aber glücklicher Weise auch am Kulisehu in dem von uns
besuchten Dorf angesiedelt waren.

Vogel und Perrot hatten schlechtes Wetter. Wegen der Wolkenbedeckung
konnte weder an der Kulisehu-Mündung noch in Koblenz die astronomische Breite
bestimmt werden. Der Kuluene hat eine Breite von 241 m unterhalb der Kulisehu-
Mündung, etwas oberhalb 289 m. Von Koblenz waren sie den Ronuro hinauf-
gefahren, hatten nach einer kleinen halben Stunde die Batovymündung passiert
-- wo wir 1884 am 30. August aus dem unendlich gewundenen Waldflüsschen auf-
tauchten und zum ersten Mal mit einiger Sicherheit uns der Hoffnung freuen durften,
wirklich den Schingu gefunden zu haben -- und hatten endlich die Fahrt auf dem
Ronuro noch zwei Kilometer weiter aufwärts fortgesetzt. Der Ronuro besass
eine mittlere Breite von 250 m und eine Tiefe von 3 bis 6 m, der Kuluene mass
oberhalb Koblenz nur 187 m und der Hauptfluss bei unserm Sandstrand 366 m.

Wenn wir nicht den ganzen Erfolg in Frage stellen wollten, war der Gedanke,
den Kuluene noch hinaufzufahren und die übrigen Nahuquadörfer zu besuchen,
völlig ausgeschlossen. Die Regenzeit hatte kräftig eingesetzt, die Fahrt flussauf-
wärts wurde zunehmend schwieriger, der Proviant war erschöpft, vor uns lag die
Perspektive eines langen, durch das Anschwellen der Gewässer überaus erschwerten
Landmarsches. Die mitgenommenen Lebensmittel waren bis auf Salz, Paraguay-
thee und etwas Kaffee so gut wie verbraucht. Die Suppentafeln waren ver-
schwunden, von Gemüse gab es noch zwei Büchsen, und der Rest waren ein
Fläschchen Kemmerich'scher Bouillon, zwei kleine Büchschen Pepton und drei
Flaschen Schnaps. Das Kemmerich'sche Fleischmehl hatte uns allein den Aufenthalt
in den Indianerdörfern ermöglicht, die beiden letzten Büchsen waren noch im
Auetödorf verkocht worden.

Am 31. Oktober traten wir die Rückfahrt an. Ohne Hülfe der Indianer
hätten wir die Sammlung nicht nach der Independencia schaffen können, da
unsere Kanus nicht ausreichten. Aber für diese Dienstleistung hatten wir eine
Anzahl schöner und nützlicher Tauschwaaren vorsorglich aufgespart. Zuerst

in den schönen breiten Kuluëne in sieben Stunden, passierten links einen Zufluss,
rechts einen Kanal der Mariapé-Nahuquá, fanden auf dem rechten Ufer die
Trumaídörfer in dem Seite 124 beschriebenen Zustande und konnten von hier aus
in gut vier Stunden — in acht Stunden seit der Kulisehu-Mündung — nach
Schingú-Koblenz an die Vereinigungsstelle von Kuluëne und Ronuro kommen,
jenen grossen Sandstrand, wo sich 1884 unser Zusammentreffen mit den Trumaí
abgespielt hatte.

Die Trumaí waren also damals auf ihrem Kuluëne heruntergekommen, und
uns hatte man diesen grossen Fluss, von dem wir nur die Einmündung kannten,
als »Kulisehu« bezeichnet. Eine merkwürdige Entwickelung! Wir hatten auf
unserer neuen Expedition den »Kulisehu« gesucht und den Kulisehu auch gefunden
und befahren, allein gemeint hatten wir den Kuluëne. Schon die Trumaí
wohnten unterhalb der Kulisehu-Mündung; am Kuluëne weiter oberhalb sassen die
Nahuquá-Stämme, die aber glücklicher Weise auch am Kulisehu in dem von uns
besuchten Dorf angesiedelt waren.

Vogel und Perrot hatten schlechtes Wetter. Wegen der Wolkenbedeckung
konnte weder an der Kulisehu-Mündung noch in Koblenz die astronomische Breite
bestimmt werden. Der Kuluëne hat eine Breite von 241 m unterhalb der Kulisehu-
Mündung, etwas oberhalb 289 m. Von Koblenz waren sie den Ronuro hinauf-
gefahren, hatten nach einer kleinen halben Stunde die Batovymündung passiert
— wo wir 1884 am 30. August aus dem unendlich gewundenen Waldflüsschen auf-
tauchten und zum ersten Mal mit einiger Sicherheit uns der Hoffnung freuen durften,
wirklich den Schingú gefunden zu haben — und hatten endlich die Fahrt auf dem
Ronuro noch zwei Kilometer weiter aufwärts fortgesetzt. Der Ronuro besass
eine mittlere Breite von 250 m und eine Tiefe von 3 bis 6 m, der Kuluëne mass
oberhalb Koblenz nur 187 m und der Hauptfluss bei unserm Sandstrand 366 m.

Wenn wir nicht den ganzen Erfolg in Frage stellen wollten, war der Gedanke,
den Kuluëne noch hinaufzufahren und die übrigen Nahuquádörfer zu besuchen,
völlig ausgeschlossen. Die Regenzeit hatte kräftig eingesetzt, die Fahrt flussauf-
wärts wurde zunehmend schwieriger, der Proviant war erschöpft, vor uns lag die
Perspektive eines langen, durch das Anschwellen der Gewässer überaus erschwerten
Landmarsches. Die mitgenommenen Lebensmittel waren bis auf Salz, Paraguay-
thee und etwas Kaffee so gut wie verbraucht. Die Suppentafeln waren ver-
schwunden, von Gemüse gab es noch zwei Büchsen, und der Rest waren ein
Fläschchen Kemmerich’scher Bouillon, zwei kleine Büchschen Pepton und drei
Flaschen Schnaps. Das Kemmerich’sche Fleischmehl hatte uns allein den Aufenthalt
in den Indianerdörfern ermöglicht, die beiden letzten Büchsen waren noch im
Auetö́dorf verkocht worden.

Am 31. Oktober traten wir die Rückfahrt an. Ohne Hülfe der Indianer
hätten wir die Sammlung nicht nach der Independencia schaffen können, da
unsere Kanus nicht ausreichten. Aber für diese Dienstleistung hatten wir eine
Anzahl schöner und nützlicher Tauschwaaren vorsorglich aufgespart. Zuerst

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[128/0164] in den schönen breiten Kuluëne in sieben Stunden, passierten links einen Zufluss, rechts einen Kanal der Mariapé-Nahuquá, fanden auf dem rechten Ufer die Trumaídörfer in dem Seite 124 beschriebenen Zustande und konnten von hier aus in gut vier Stunden — in acht Stunden seit der Kulisehu-Mündung — nach Schingú-Koblenz an die Vereinigungsstelle von Kuluëne und Ronuro kommen, jenen grossen Sandstrand, wo sich 1884 unser Zusammentreffen mit den Trumaí abgespielt hatte. Die Trumaí waren also damals auf ihrem Kuluëne heruntergekommen, und uns hatte man diesen grossen Fluss, von dem wir nur die Einmündung kannten, als »Kulisehu« bezeichnet. Eine merkwürdige Entwickelung! Wir hatten auf unserer neuen Expedition den »Kulisehu« gesucht und den Kulisehu auch gefunden und befahren, allein gemeint hatten wir den Kuluëne. Schon die Trumaí wohnten unterhalb der Kulisehu-Mündung; am Kuluëne weiter oberhalb sassen die Nahuquá-Stämme, die aber glücklicher Weise auch am Kulisehu in dem von uns besuchten Dorf angesiedelt waren. Vogel und Perrot hatten schlechtes Wetter. Wegen der Wolkenbedeckung konnte weder an der Kulisehu-Mündung noch in Koblenz die astronomische Breite bestimmt werden. Der Kuluëne hat eine Breite von 241 m unterhalb der Kulisehu- Mündung, etwas oberhalb 289 m. Von Koblenz waren sie den Ronuro hinauf- gefahren, hatten nach einer kleinen halben Stunde die Batovymündung passiert — wo wir 1884 am 30. August aus dem unendlich gewundenen Waldflüsschen auf- tauchten und zum ersten Mal mit einiger Sicherheit uns der Hoffnung freuen durften, wirklich den Schingú gefunden zu haben — und hatten endlich die Fahrt auf dem Ronuro noch zwei Kilometer weiter aufwärts fortgesetzt. Der Ronuro besass eine mittlere Breite von 250 m und eine Tiefe von 3 bis 6 m, der Kuluëne mass oberhalb Koblenz nur 187 m und der Hauptfluss bei unserm Sandstrand 366 m. Wenn wir nicht den ganzen Erfolg in Frage stellen wollten, war der Gedanke, den Kuluëne noch hinaufzufahren und die übrigen Nahuquádörfer zu besuchen, völlig ausgeschlossen. Die Regenzeit hatte kräftig eingesetzt, die Fahrt flussauf- wärts wurde zunehmend schwieriger, der Proviant war erschöpft, vor uns lag die Perspektive eines langen, durch das Anschwellen der Gewässer überaus erschwerten Landmarsches. Die mitgenommenen Lebensmittel waren bis auf Salz, Paraguay- thee und etwas Kaffee so gut wie verbraucht. Die Suppentafeln waren ver- schwunden, von Gemüse gab es noch zwei Büchsen, und der Rest waren ein Fläschchen Kemmerich’scher Bouillon, zwei kleine Büchschen Pepton und drei Flaschen Schnaps. Das Kemmerich’sche Fleischmehl hatte uns allein den Aufenthalt in den Indianerdörfern ermöglicht, die beiden letzten Büchsen waren noch im Auetö́dorf verkocht worden. Am 31. Oktober traten wir die Rückfahrt an. Ohne Hülfe der Indianer hätten wir die Sammlung nicht nach der Independencia schaffen können, da unsere Kanus nicht ausreichten. Aber für diese Dienstleistung hatten wir eine Anzahl schöner und nützlicher Tauschwaaren vorsorglich aufgespart. Zuerst

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/164>, abgerufen am 23.04.2024.