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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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verübte kleine Diebereien. Sie hatten nun auch das Messen gelernt. Einer
holte sich eine Stange und mass ein Maultier aus, indem er sie neben die
Ohrspitzen, den Kopf, den Rist, die Kruppe und das Ende des Schwanzes
hielt und jedesmal eine Schnur umband; sorgsam brachte er seine Tabelle in
Sicherheit. An einem schönen dunkeln Abend wurde das Lager bengalisch
beleuchtet. Ein wackerer Apotheker in Desterro hatte uns ausser einer Kollektion
Flaschen, die die wohl von einem sinnigen Landsmann vorgeschriebene Be-
zeichnung "Steinenschnaps" trugen, ein Kistchen Feuerwerk mitgegeben. Prächtig
machten sich die bunten Leuchtwolken an den Ecken des Viehzauns.

Nach dem Muster der Szene in Maigeri veranstalteten wir einen solennen
Abschied. Es wurde eine Flaggenstange aufgerichtet, darunter ein Lederkoffer
gestellt und ihm zu beiden Seiten eine Sitzreihe angebracht, Ponchos davor aus-
gebreitet. Dann holte Jeder feierlich einen Indianer herbei, ich duckte Tumayaua
auf den Koffer nieder und ebenso verfuhren die Andern mit ihrem Ehrengast.
Wir verschwanden und kamen mit zahlreichen Geschenken in einer Kette wieder
herbeigelaufen, das heisst, Jeder überlieferte nur ein einzelnes Stück und eilte, ein
neues zu holen und sich wieder hinten an die Kette anzuschliessen. Taschen-
tücher, Spiegel, Perlen, Messer, kleine und grosse, für die Häuptlinge Hemden
und Beile, kurz Alles, was noch vorhanden war. Stets erhielt Tumayaua als
braver Schweppermann das Doppelte. Zum Schluss- und Knalleffekt wurde der
kleine Spitz Fazendinha an einer Leine auch im Laufschritt herangerissen. Als
die Spanier einst nach Amerika kamen, brachten sie Bluthunde mit, wir dagegen
verehrten den "Wilden" ein Schosshündchen, denn Tumayaua sollte das niedliche
Tier seiner Tochter, meiner Eva aus der Bakairi-Idylle, mitbringen. Ein Ge-
schenk freilich so unfruchtbar wie unsere Eisenwaaren.

Am 16. November kamen die Indianer gegen 41/2 Uhr morgens, nur Tu-
mayaua that seinen Mund auf und sprach "itahe-ura" "ich gehe". Ehe die Sonne
aufging, waren sie alle verschwunden.



verübte kleine Diebereien. Sie hatten nun auch das Messen gelernt. Einer
holte sich eine Stange und mass ein Maultier aus, indem er sie neben die
Ohrspitzen, den Kopf, den Rist, die Kruppe und das Ende des Schwanzes
hielt und jedesmal eine Schnur umband; sorgsam brachte er seine Tabelle in
Sicherheit. An einem schönen dunkeln Abend wurde das Lager bengalisch
beleuchtet. Ein wackerer Apotheker in Desterro hatte uns ausser einer Kollektion
Flaschen, die die wohl von einem sinnigen Landsmann vorgeschriebene Be-
zeichnung »Steinenschnaps« trugen, ein Kistchen Feuerwerk mitgegeben. Prächtig
machten sich die bunten Leuchtwolken an den Ecken des Viehzauns.

Nach dem Muster der Szene in Maigéri veranstalteten wir einen solennen
Abschied. Es wurde eine Flaggenstange aufgerichtet, darunter ein Lederkoffer
gestellt und ihm zu beiden Seiten eine Sitzreihe angebracht, Ponchos davor aus-
gebreitet. Dann holte Jeder feierlich einen Indianer herbei, ich duckte Tumayaua
auf den Koffer nieder und ebenso verfuhren die Andern mit ihrem Ehrengast.
Wir verschwanden und kamen mit zahlreichen Geschenken in einer Kette wieder
herbeigelaufen, das heisst, Jeder überlieferte nur ein einzelnes Stück und eilte, ein
neues zu holen und sich wieder hinten an die Kette anzuschliessen. Taschen-
tücher, Spiegel, Perlen, Messer, kleine und grosse, für die Häuptlinge Hemden
und Beile, kurz Alles, was noch vorhanden war. Stets erhielt Tumayaua als
braver Schweppermann das Doppelte. Zum Schluss- und Knalleffekt wurde der
kleine Spitz Fazendinha an einer Leine auch im Laufschritt herangerissen. Als
die Spanier einst nach Amerika kamen, brachten sie Bluthunde mit, wir dagegen
verehrten den »Wilden« ein Schosshündchen, denn Tumayaua sollte das niedliche
Tier seiner Tochter, meiner Eva aus der Bakaïrí-Idylle, mitbringen. Ein Ge-
schenk freilich so unfruchtbar wie unsere Eisenwaaren.

Am 16. November kamen die Indianer gegen 4½ Uhr morgens, nur Tu-
mayaua that seinen Mund auf und sprach „itahé-ura“ »ich gehe«. Ehe die Sonne
aufging, waren sie alle verschwunden.



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[137/0177] verübte kleine Diebereien. Sie hatten nun auch das Messen gelernt. Einer holte sich eine Stange und mass ein Maultier aus, indem er sie neben die Ohrspitzen, den Kopf, den Rist, die Kruppe und das Ende des Schwanzes hielt und jedesmal eine Schnur umband; sorgsam brachte er seine Tabelle in Sicherheit. An einem schönen dunkeln Abend wurde das Lager bengalisch beleuchtet. Ein wackerer Apotheker in Desterro hatte uns ausser einer Kollektion Flaschen, die die wohl von einem sinnigen Landsmann vorgeschriebene Be- zeichnung »Steinenschnaps« trugen, ein Kistchen Feuerwerk mitgegeben. Prächtig machten sich die bunten Leuchtwolken an den Ecken des Viehzauns. Nach dem Muster der Szene in Maigéri veranstalteten wir einen solennen Abschied. Es wurde eine Flaggenstange aufgerichtet, darunter ein Lederkoffer gestellt und ihm zu beiden Seiten eine Sitzreihe angebracht, Ponchos davor aus- gebreitet. Dann holte Jeder feierlich einen Indianer herbei, ich duckte Tumayaua auf den Koffer nieder und ebenso verfuhren die Andern mit ihrem Ehrengast. Wir verschwanden und kamen mit zahlreichen Geschenken in einer Kette wieder herbeigelaufen, das heisst, Jeder überlieferte nur ein einzelnes Stück und eilte, ein neues zu holen und sich wieder hinten an die Kette anzuschliessen. Taschen- tücher, Spiegel, Perlen, Messer, kleine und grosse, für die Häuptlinge Hemden und Beile, kurz Alles, was noch vorhanden war. Stets erhielt Tumayaua als braver Schweppermann das Doppelte. Zum Schluss- und Knalleffekt wurde der kleine Spitz Fazendinha an einer Leine auch im Laufschritt herangerissen. Als die Spanier einst nach Amerika kamen, brachten sie Bluthunde mit, wir dagegen verehrten den »Wilden« ein Schosshündchen, denn Tumayaua sollte das niedliche Tier seiner Tochter, meiner Eva aus der Bakaïrí-Idylle, mitbringen. Ein Ge- schenk freilich so unfruchtbar wie unsere Eisenwaaren. Am 16. November kamen die Indianer gegen 4½ Uhr morgens, nur Tu- mayaua that seinen Mund auf und sprach „itahé-ura“ »ich gehe«. Ehe die Sonne aufging, waren sie alle verschwunden.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/177>, abgerufen am 28.03.2024.