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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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verdanken ist, dass sie bei Fehden und bei Neubildungen von Stammesgemein-
schaften den künftigen Generationen überliefert werden konnte. Die Frau war
mehr als das arbeitende Tier, sie war auch der arbeitende Mensch; wie der
Mann die Technik der Waffen und der der Jagd entstammenden Werkzeuge, ent-
wickelte sie in gleicher Selbständigkeit die mit Suchen, Tragen, Zubereiten der
Früchte und Wurzeln in ihre Hand gegebenen Kulturelemente; seinen wohl-
schmeckenden Mehltrank in dem irdenen Gefäss verdankt der Indianer dem Weibe.
Die einzelnen Beweisstücke, aus denen sich diese mehr für Damentoaste als für
den ernsten (im modernen Bedürfnis und nicht in der Urgeschichte begründeten)
Kampf unserer Frauen um die Arbeit zu verwertende Schlussfolgerung zusammen-
setzt, sind in dem brasilischen Kulturkreis noch vollständig erhalten. Die Er-
kenntnis, dass -- wenigstens hier -- die Möglichkeit sesshaft zu werden auf
das augenscheinliche Verdienst der durch den Jägerberuf der Männer naturgemäss
in bestimmte Richtungen gedrängten Thätigkeit der Frauen zurückgeht, hebt das
weibliche Geschlecht für diese Phase der Entwicklung zum mindesten ebenbürtig
an die Seite des männlichen.

Das Schema Jäger und Ackerbauer wird nun erst lebendig; Mann und
Frau repräsentieren beide einen Stand oder eine bestimmte Summe
von Fachkenntnissen
. Da ist es denn sehr einfach, dass die weniger fort-
geschrittenen Stämme des Schingu ihre Töpfe nicht machen konnten, obwohl sie
den Lehm hatten. Ihnen fehlten die Nu-Aruakweiber, und die Nahuqua, die
deren etliche in ihre Gemeinschaft aufgenommen, hatten damit den richtigen Weg
eingeschlagen: sie fingen jetzt an, sich die Töpfe selbst zu machen, während die
Bakairi noch nicht das kleinste Töpfchen zu Stande gebracht hatten.

Ich resumiere. Alter Feldbau verträgt sich vortrefflich mit der Art des
Jägertums, wie es hier geübt wird. Die Indianer waren in der Hauptsache
Fischer. Zur reinen Ichthyophogie reichte der Ertrag in ihrem Gebiet an dem
Oberlauf eines Flusses nicht aus, dagegen war er nicht gering in den Monaten,
wo die Fische bei steigendem Wasser aufwärts zogen und sich in allen Kanälen
und Lagunen in grosser Zahl einfanden, oder wenn bei abnehmendem Wasser
die Gelegenheit zum Fang in den künstlich abgesperrten Teilen der Flussarme
erheblich grösser wurde. Fischfang und Jagd lieferten aber ferner die unentbehr-
lichen Werkzeuge. Haustiere in unserm Sinne gab es nicht; Hunde waren dem
Eingeborenen unbekannt. Er erfreute sich an bunten Vögeln, denen er gelegent-
lich die Federn ausriss, namentlich an schwatzenden Papageien und krächzenden
Araras, liess im Dorf umherspazieren, was gerade jung eingefangen war, ob Specht
oder Reiher oder Hokkohuhn, und bewahrte in riesigem Stangenkäfig zum Ergötzen
der Gemeinde den fauchenden Adler, die Harpyia destructor, oder sonst einen Raub-
vogel auf; er hatte Eidechsen mit dem Schwanz an der Hängematte aufgehängt,
damit sie unter den lästigen Grillen ein wenig aufräumten -- weiter war man in
der Verwertung der Tiere nicht gediehen und, während man wilde Pflanzen um
des Nutzen willen beim Dorf ansiedelte, dachte man nicht daran, essbare Tiere

verdanken ist, dass sie bei Fehden und bei Neubildungen von Stammesgemein-
schaften den künftigen Generationen überliefert werden konnte. Die Frau war
mehr als das arbeitende Tier, sie war auch der arbeitende Mensch; wie der
Mann die Technik der Waffen und der der Jagd entstammenden Werkzeuge, ent-
wickelte sie in gleicher Selbständigkeit die mit Suchen, Tragen, Zubereiten der
Früchte und Wurzeln in ihre Hand gegebenen Kulturelemente; seinen wohl-
schmeckenden Mehltrank in dem irdenen Gefäss verdankt der Indianer dem Weibe.
Die einzelnen Beweisstücke, aus denen sich diese mehr für Damentoaste als für
den ernsten (im modernen Bedürfnis und nicht in der Urgeschichte begründeten)
Kampf unserer Frauen um die Arbeit zu verwertende Schlussfolgerung zusammen-
setzt, sind in dem brasilischen Kulturkreis noch vollständig erhalten. Die Er-
kenntnis, dass — wenigstens hier — die Möglichkeit sesshaft zu werden auf
das augenscheinliche Verdienst der durch den Jägerberuf der Männer naturgemäss
in bestimmte Richtungen gedrängten Thätigkeit der Frauen zurückgeht, hebt das
weibliche Geschlecht für diese Phase der Entwicklung zum mindesten ebenbürtig
an die Seite des männlichen.

Das Schema Jäger und Ackerbauer wird nun erst lebendig; Mann und
Frau repräsentieren beide einen Stand oder eine bestimmte Summe
von Fachkenntnissen
. Da ist es denn sehr einfach, dass die weniger fort-
geschrittenen Stämme des Schingú ihre Töpfe nicht machen konnten, obwohl sie
den Lehm hatten. Ihnen fehlten die Nu-Aruakweiber, und die Nahuquá, die
deren etliche in ihre Gemeinschaft aufgenommen, hatten damit den richtigen Weg
eingeschlagen: sie fingen jetzt an, sich die Töpfe selbst zu machen, während die
Bakaïrí noch nicht das kleinste Töpfchen zu Stande gebracht hatten.

Ich resumiere. Alter Feldbau verträgt sich vortrefflich mit der Art des
Jägertums, wie es hier geübt wird. Die Indianer waren in der Hauptsache
Fischer. Zur reinen Ichthyophogie reichte der Ertrag in ihrem Gebiet an dem
Oberlauf eines Flusses nicht aus, dagegen war er nicht gering in den Monaten,
wo die Fische bei steigendem Wasser aufwärts zogen und sich in allen Kanälen
und Lagunen in grosser Zahl einfanden, oder wenn bei abnehmendem Wasser
die Gelegenheit zum Fang in den künstlich abgesperrten Teilen der Flussarme
erheblich grösser wurde. Fischfang und Jagd lieferten aber ferner die unentbehr-
lichen Werkzeuge. Haustiere in unserm Sinne gab es nicht; Hunde waren dem
Eingeborenen unbekannt. Er erfreute sich an bunten Vögeln, denen er gelegent-
lich die Federn ausriss, namentlich an schwatzenden Papageien und krächzenden
Araras, liess im Dorf umherspazieren, was gerade jung eingefangen war, ob Specht
oder Reiher oder Hokkohuhn, und bewahrte in riesigem Stangenkäfig zum Ergötzen
der Gemeinde den fauchenden Adler, die Harpyia destructor, oder sonst einen Raub-
vogel auf; er hatte Eidechsen mit dem Schwanz an der Hängematte aufgehängt,
damit sie unter den lästigen Grillen ein wenig aufräumten — weiter war man in
der Verwertung der Tiere nicht gediehen und, während man wilde Pflanzen um
des Nutzen willen beim Dorf ansiedelte, dachte man nicht daran, essbare Tiere

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[218/0262] verdanken ist, dass sie bei Fehden und bei Neubildungen von Stammesgemein- schaften den künftigen Generationen überliefert werden konnte. Die Frau war mehr als das arbeitende Tier, sie war auch der arbeitende Mensch; wie der Mann die Technik der Waffen und der der Jagd entstammenden Werkzeuge, ent- wickelte sie in gleicher Selbständigkeit die mit Suchen, Tragen, Zubereiten der Früchte und Wurzeln in ihre Hand gegebenen Kulturelemente; seinen wohl- schmeckenden Mehltrank in dem irdenen Gefäss verdankt der Indianer dem Weibe. Die einzelnen Beweisstücke, aus denen sich diese mehr für Damentoaste als für den ernsten (im modernen Bedürfnis und nicht in der Urgeschichte begründeten) Kampf unserer Frauen um die Arbeit zu verwertende Schlussfolgerung zusammen- setzt, sind in dem brasilischen Kulturkreis noch vollständig erhalten. Die Er- kenntnis, dass — wenigstens hier — die Möglichkeit sesshaft zu werden auf das augenscheinliche Verdienst der durch den Jägerberuf der Männer naturgemäss in bestimmte Richtungen gedrängten Thätigkeit der Frauen zurückgeht, hebt das weibliche Geschlecht für diese Phase der Entwicklung zum mindesten ebenbürtig an die Seite des männlichen. Das Schema Jäger und Ackerbauer wird nun erst lebendig; Mann und Frau repräsentieren beide einen Stand oder eine bestimmte Summe von Fachkenntnissen. Da ist es denn sehr einfach, dass die weniger fort- geschrittenen Stämme des Schingú ihre Töpfe nicht machen konnten, obwohl sie den Lehm hatten. Ihnen fehlten die Nu-Aruakweiber, und die Nahuquá, die deren etliche in ihre Gemeinschaft aufgenommen, hatten damit den richtigen Weg eingeschlagen: sie fingen jetzt an, sich die Töpfe selbst zu machen, während die Bakaïrí noch nicht das kleinste Töpfchen zu Stande gebracht hatten. Ich resumiere. Alter Feldbau verträgt sich vortrefflich mit der Art des Jägertums, wie es hier geübt wird. Die Indianer waren in der Hauptsache Fischer. Zur reinen Ichthyophogie reichte der Ertrag in ihrem Gebiet an dem Oberlauf eines Flusses nicht aus, dagegen war er nicht gering in den Monaten, wo die Fische bei steigendem Wasser aufwärts zogen und sich in allen Kanälen und Lagunen in grosser Zahl einfanden, oder wenn bei abnehmendem Wasser die Gelegenheit zum Fang in den künstlich abgesperrten Teilen der Flussarme erheblich grösser wurde. Fischfang und Jagd lieferten aber ferner die unentbehr- lichen Werkzeuge. Haustiere in unserm Sinne gab es nicht; Hunde waren dem Eingeborenen unbekannt. Er erfreute sich an bunten Vögeln, denen er gelegent- lich die Federn ausriss, namentlich an schwatzenden Papageien und krächzenden Araras, liess im Dorf umherspazieren, was gerade jung eingefangen war, ob Specht oder Reiher oder Hokkohuhn, und bewahrte in riesigem Stangenkäfig zum Ergötzen der Gemeinde den fauchenden Adler, die Harpyia destructor, oder sonst einen Raub- vogel auf; er hatte Eidechsen mit dem Schwanz an der Hängematte aufgehängt, damit sie unter den lästigen Grillen ein wenig aufräumten — weiter war man in der Verwertung der Tiere nicht gediehen und, während man wilde Pflanzen um des Nutzen willen beim Dorf ansiedelte, dachte man nicht daran, essbare Tiere

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/262>, abgerufen am 29.03.2024.