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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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vor Beraubung alle beweglichen Geräte und Schmucksachen vor uns verbarg.
Hatten die Leute erst Zutrauen zu uns gewonnen, so überliessen sie uns ihre
Masken ohne jeden Anstand und fertigten neue auf Bestellung. Sie wurden uns
demonstriert mit Scherzen und Lachen wie hübsches Spielzeug.

Bei den zahmen Bakairi am Paranatinga und Rio Novo pflegt das Hauptfest
im April stattzufinden. Ich, mit meinen zivilisierten Vorstellungen, fahndete auf
die Idee eines Dankfestes und dachte an die Möglichkeit, dass jenes zur Erntezeit
abgehaltene Fest irgendwie irgendwelchen freundlichen Mächten, die als Spender
des Guten gälten, zu Lob und Preis gefeiert werde. Ich suchte also von Antonio
herauszubekommen, ob sich dergleichen feststellen lasse. Antonio blieb aber meiner
Suggestion unzugänglich; "wir feiern das Fest um die Zeit der Ernte," erklärte
er, "weil wir dann etwas zu feiern haben; in der Trockenzeit müssen wir sparen,
in der Regenzeit würde alles verschimmeln." Materiell, aber verständlich *).

Nach Allem, was uns von den Eingeborenen über die Feste erzählt wurde,
kam es ihnen in erster Linie auf ein nach ihren Begriffen schwelgerisches Schmaus-
und Trinkgelage an. Die Bakairi-Legende schildert uns in gleichem Sinn die
Entstehung. Kame, der Stammvater der Arinosstämme, hat das erste Flötenhaus
erbaut, die erste Flöte geschnitzt, seine Freunde zum Tanz eingeladen und mit
Stärkekleister bewirtet. Keri, der Stammvater der Bakairi, der mit Kame im
Erfinden eifrigst konkurrierte, lud seinerseits Kame zum Tanze ein; die Legende
berichtet uns, auf welche Art das Fest sich vollzog, und nennt als die Erfindung
Keri's das Makanari und den Imeo, die Strohanzüge ohne Gesichtsmasken, aber
mit charakterisierenden, teilweise vermummenden Kopfaufsätzen.

"Auch Keri rief die Seinen herbei. Gegen Abend gingen sie tanzen auf
dem Dorfplatz. Darauf holte Keri vom Hause Pogu zu trinken. Sogleich darauf
flochten sie Makanari. Keri rief Kame. Viele Leute kamen und Keri war
Herr des Tanzes. Sie tanzten den ganzen Tag. Gegen Abend ruhten sie aus.
Nach Dunkelwerden tanzten sie die ganze Nacht. Früh Morgens gingen sie am
Flusse baden. Nach dem Bad kamen sie zum Flötenhaus. Sie begannen mit
dem Imeo und tanzten den ganzen Tag. Ebenso tanzten sie die ganze Nacht. --
Darauf war das Fest zu Ende."

Ein beachtenswerter Zug der Legende ist der Umstand, dass sich die
verschiedenen Stämme zum Tanzfest vereinigten
. Es ist allgemein Sitte,
dass sich die Dörfer zu den grossen Festen gegenseitig einladen. Auch nachbar-
lich befreundete Stämme entsenden zahlreiche Teilnehmer. Als wir 1884 mit
den vereinigten Trumai und Kamayura (vgl. Seite 118) zusammentrafen, hatten
die beiden Stämme gerade ein gemeinsames Fest gefeiert.

Einmal versteht man unter diesen Umständen, dass ein Austausch und eine
Ausgleichung zwischen den Bräuchen und Tanzgeräten der Stämme stattfindet.

*) "Meistens giebt ein Ueberfluss an Vorräten für die Getränke Veranlassung zum Feste,"
sagt Martius; "wo aber die europäische Gesittung sich Geltung verschafft hat und Christen neben
den Indianern wohnen, da wird wohl auch der Tag eines Heiligen dafür gewählt."

vor Beraubung alle beweglichen Geräte und Schmucksachen vor uns verbarg.
Hatten die Leute erst Zutrauen zu uns gewonnen, so überliessen sie uns ihre
Masken ohne jeden Anstand und fertigten neue auf Bestellung. Sie wurden uns
demonstriert mit Scherzen und Lachen wie hübsches Spielzeug.

Bei den zahmen Bakaïrí am Paranatinga und Rio Novo pflegt das Hauptfest
im April stattzufinden. Ich, mit meinen zivilisierten Vorstellungen, fahndete auf
die Idee eines Dankfestes und dachte an die Möglichkeit, dass jenes zur Erntezeit
abgehaltene Fest irgendwie irgendwelchen freundlichen Mächten, die als Spender
des Guten gälten, zu Lob und Preis gefeiert werde. Ich suchte also von Antonio
herauszubekommen, ob sich dergleichen feststellen lasse. Antonio blieb aber meiner
Suggestion unzugänglich; »wir feiern das Fest um die Zeit der Ernte,« erklärte
er, »weil wir dann etwas zu feiern haben; in der Trockenzeit müssen wir sparen,
in der Regenzeit würde alles verschimmeln.« Materiell, aber verständlich *).

Nach Allem, was uns von den Eingeborenen über die Feste erzählt wurde,
kam es ihnen in erster Linie auf ein nach ihren Begriffen schwelgerisches Schmaus-
und Trinkgelage an. Die Bakaïrí-Legende schildert uns in gleichem Sinn die
Entstehung. Kame, der Stammvater der Arinosstämme, hat das erste Flötenhaus
erbaut, die erste Flöte geschnitzt, seine Freunde zum Tanz eingeladen und mit
Stärkekleister bewirtet. Keri, der Stammvater der Bakaïrí, der mit Kame im
Erfinden eifrigst konkurrierte, lud seinerseits Kame zum Tanze ein; die Legende
berichtet uns, auf welche Art das Fest sich vollzog, und nennt als die Erfindung
Keri’s das Makanari und den Imeo, die Strohanzüge ohne Gesichtsmasken, aber
mit charakterisierenden, teilweise vermummenden Kopfaufsätzen.

»Auch Keri rief die Seinen herbei. Gegen Abend gingen sie tanzen auf
dem Dorfplatz. Darauf holte Keri vom Hause Pogu zu trinken. Sogleich darauf
flochten sie Makanari. Keri rief Kame. Viele Leute kamen und Keri war
Herr des Tanzes. Sie tanzten den ganzen Tag. Gegen Abend ruhten sie aus.
Nach Dunkelwerden tanzten sie die ganze Nacht. Früh Morgens gingen sie am
Flusse baden. Nach dem Bad kamen sie zum Flötenhaus. Sie begannen mit
dem Imeo und tanzten den ganzen Tag. Ebenso tanzten sie die ganze Nacht. —
Darauf war das Fest zu Ende.«

Ein beachtenswerter Zug der Legende ist der Umstand, dass sich die
verschiedenen Stämme zum Tanzfest vereinigten
. Es ist allgemein Sitte,
dass sich die Dörfer zu den grossen Festen gegenseitig einladen. Auch nachbar-
lich befreundete Stämme entsenden zahlreiche Teilnehmer. Als wir 1884 mit
den vereinigten Trumaí und Kamayurá (vgl. Seite 118) zusammentrafen, hatten
die beiden Stämme gerade ein gemeinsames Fest gefeiert.

Einmal versteht man unter diesen Umständen, dass ein Austausch und eine
Ausgleichung zwischen den Bräuchen und Tanzgeräten der Stämme stattfindet.

*) »Meistens giebt ein Ueberfluss an Vorräten für die Getränke Veranlassung zum Feste,«
sagt Martius; »wo aber die europäische Gesittung sich Geltung verschafft hat und Christen neben
den Indianern wohnen, da wird wohl auch der Tag eines Heiligen dafür gewählt.«
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[297/0361] vor Beraubung alle beweglichen Geräte und Schmucksachen vor uns verbarg. Hatten die Leute erst Zutrauen zu uns gewonnen, so überliessen sie uns ihre Masken ohne jeden Anstand und fertigten neue auf Bestellung. Sie wurden uns demonstriert mit Scherzen und Lachen wie hübsches Spielzeug. Bei den zahmen Bakaïrí am Paranatinga und Rio Novo pflegt das Hauptfest im April stattzufinden. Ich, mit meinen zivilisierten Vorstellungen, fahndete auf die Idee eines Dankfestes und dachte an die Möglichkeit, dass jenes zur Erntezeit abgehaltene Fest irgendwie irgendwelchen freundlichen Mächten, die als Spender des Guten gälten, zu Lob und Preis gefeiert werde. Ich suchte also von Antonio herauszubekommen, ob sich dergleichen feststellen lasse. Antonio blieb aber meiner Suggestion unzugänglich; »wir feiern das Fest um die Zeit der Ernte,« erklärte er, »weil wir dann etwas zu feiern haben; in der Trockenzeit müssen wir sparen, in der Regenzeit würde alles verschimmeln.« Materiell, aber verständlich *). Nach Allem, was uns von den Eingeborenen über die Feste erzählt wurde, kam es ihnen in erster Linie auf ein nach ihren Begriffen schwelgerisches Schmaus- und Trinkgelage an. Die Bakaïrí-Legende schildert uns in gleichem Sinn die Entstehung. Kame, der Stammvater der Arinosstämme, hat das erste Flötenhaus erbaut, die erste Flöte geschnitzt, seine Freunde zum Tanz eingeladen und mit Stärkekleister bewirtet. Keri, der Stammvater der Bakaïrí, der mit Kame im Erfinden eifrigst konkurrierte, lud seinerseits Kame zum Tanze ein; die Legende berichtet uns, auf welche Art das Fest sich vollzog, und nennt als die Erfindung Keri’s das Makanari und den Imeo, die Strohanzüge ohne Gesichtsmasken, aber mit charakterisierenden, teilweise vermummenden Kopfaufsätzen. »Auch Keri rief die Seinen herbei. Gegen Abend gingen sie tanzen auf dem Dorfplatz. Darauf holte Keri vom Hause Pogu zu trinken. Sogleich darauf flochten sie Makanari. Keri rief Kame. Viele Leute kamen und Keri war Herr des Tanzes. Sie tanzten den ganzen Tag. Gegen Abend ruhten sie aus. Nach Dunkelwerden tanzten sie die ganze Nacht. Früh Morgens gingen sie am Flusse baden. Nach dem Bad kamen sie zum Flötenhaus. Sie begannen mit dem Imeo und tanzten den ganzen Tag. Ebenso tanzten sie die ganze Nacht. — Darauf war das Fest zu Ende.« Ein beachtenswerter Zug der Legende ist der Umstand, dass sich die verschiedenen Stämme zum Tanzfest vereinigten. Es ist allgemein Sitte, dass sich die Dörfer zu den grossen Festen gegenseitig einladen. Auch nachbar- lich befreundete Stämme entsenden zahlreiche Teilnehmer. Als wir 1884 mit den vereinigten Trumaí und Kamayurá (vgl. Seite 118) zusammentrafen, hatten die beiden Stämme gerade ein gemeinsames Fest gefeiert. Einmal versteht man unter diesen Umständen, dass ein Austausch und eine Ausgleichung zwischen den Bräuchen und Tanzgeräten der Stämme stattfindet. *) »Meistens giebt ein Ueberfluss an Vorräten für die Getränke Veranlassung zum Feste,« sagt Martius; »wo aber die europäische Gesittung sich Geltung verschafft hat und Christen neben den Indianern wohnen, da wird wohl auch der Tag eines Heiligen dafür gewählt.«

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/361>, abgerufen am 25.04.2024.