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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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"Fluß und Dauer" sind wesentlich Beckers "Thätigkeit und
Sein".

Als die neue Philosophie mit Descartes erstand, nachdem
schon durch Bacos Organon das Bedürfniß einer Reform der
Logik sich ausgesprochen hatte, da war man besonders in Frank-
reich auf Logik und allgemeine Grammatik bedacht. La logique
de Port-Royal
aber und die Grammaire generale et raisonnee de
Port-Royal,
beide der classische Ausdruck dieser Bemühungen,
erfüllen die Forderung der Identität von Grammatik und Logik
derartig, wie sie aus der Voraussetzung der Einheit von Denken
und Sprechen zu schließen ist, und wie sie Becker nur wünschen
kann. Sie sind nicht nur beide aus einem Gusse, sondern die
allgemeine Grammatik ist, wie ehemals bei den Griechen, wirk-
lich und leibhaftig nur ein Capitel der Logik. So heißt es z. B.,
nachdem folgende Definition des Wortes gegeben ist: "Ainsi
l'on peut definir les mots, des sons distincts et articules, dont
les hommes ont fait des signes pour signifier leurs pensees,
" un-
mittelbar weiter: "C'est pourquoi on ne peut bien comprendre les
diverses sortes de significations qui sont enfermees dans les mots,
qu'on n'ait bien compris auparavant ce qui se passe dans nos
pensees
."

Das alles genügt, denke ich, zu zeigen, wie die Verbindung
der Grammatik mit der Logik, worauf Becker als auf das we-
sentlichste Merkmal seiner sich so nennenden neuen Grammatik so
viel Gewicht legt, nicht nur von jeher Statt gehabt hat, son-
dern auch nie aufgegeben worden ist, der Grammatik aber auch
immer den dürren unorganischen Charakter verliehen hat.

§. 29. Beispiel von einem Beckerschen Organismus.

Zeigen wir endlich noch an einem Beispiele, was Becker unter
einer organischen Einheit mit organischer Gliederung versteht,
unter einem organischen Ganzen, in welchem alles Besondere
"nur durch das Ganze und als ein lebendiges Glied des Ganzen
Dasein und Bedeutung hat." Becker behauptet nämlich (Org. S.79):
"Das gesammte Reich der in der Sprache ausgedrückten Be-
griffe stellt sich in einem natürlichen Systeme dar, in dem ein
Urbegriff sich durch eine nach bestimmten Gesetzen fortschrei-
tende Scheidung des Allgemeinen in das Besondere, in seine
Arten, und diese in ihre Unterarten entwickeln." Wir vermu-
then in diesem Satze ein paar Druckfehler, durch welche das
Wort organisch ein paar Mal ausgefallen ist. Eine ausführli-

„Fluß und Dauer“ sind wesentlich Beckers „Thätigkeit und
Sein“.

Als die neue Philosophie mit Descartes erstand, nachdem
schon durch Bacos Organon das Bedürfniß einer Reform der
Logik sich ausgesprochen hatte, da war man besonders in Frank-
reich auf Logik und allgemeine Grammatik bedacht. La logique
de Port-Royal
aber und die Grammaire générale et raisonnée de
Port-Royal,
beide der classische Ausdruck dieser Bemühungen,
erfüllen die Forderung der Identität von Grammatik und Logik
derartig, wie sie aus der Voraussetzung der Einheit von Denken
und Sprechen zu schließen ist, und wie sie Becker nur wünschen
kann. Sie sind nicht nur beide aus einem Gusse, sondern die
allgemeine Grammatik ist, wie ehemals bei den Griechen, wirk-
lich und leibhaftig nur ein Capitel der Logik. So heißt es z. B.,
nachdem folgende Definition des Wortes gegeben ist: „Ainsi
l’on peut définir les mots, des sons distincts et articulés, dont
les hommes ont fait des signes pour signifier leurs pensées,
“ un-
mittelbar weiter: „C’est pourquoi on ne peut bien comprendre les
diverses sortes de significations qui sont enfermées dans les mots,
qu’on n’ait bien compris auparavant ce qui se passe dans nos
pensées
.“

Das alles genügt, denke ich, zu zeigen, wie die Verbindung
der Grammatik mit der Logik, worauf Becker als auf das we-
sentlichste Merkmal seiner sich so nennenden neuen Grammatik so
viel Gewicht legt, nicht nur von jeher Statt gehabt hat, son-
dern auch nie aufgegeben worden ist, der Grammatik aber auch
immer den dürren unorganischen Charakter verliehen hat.

§. 29. Beispiel von einem Beckerschen Organismus.

Zeigen wir endlich noch an einem Beispiele, was Becker unter
einer organischen Einheit mit organischer Gliederung versteht,
unter einem organischen Ganzen, in welchem alles Besondere
„nur durch das Ganze und als ein lebendiges Glied des Ganzen
Dasein und Bedeutung hat.“ Becker behauptet nämlich (Org. S.79):
„Das gesammte Reich der in der Sprache ausgedrückten Be-
griffe stellt sich in einem natürlichen Systeme dar, in dem ein
Urbegriff sich durch eine nach bestimmten Gesetzen fortschrei-
tende Scheidung des Allgemeinen in das Besondere, in seine
Arten, und diese in ihre Unterarten entwickeln.“ Wir vermu-
then in diesem Satze ein paar Druckfehler, durch welche das
Wort organisch ein paar Mal ausgefallen ist. Eine ausführli-

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[63/0101] „Fluß und Dauer“ sind wesentlich Beckers „Thätigkeit und Sein“. Als die neue Philosophie mit Descartes erstand, nachdem schon durch Bacos Organon das Bedürfniß einer Reform der Logik sich ausgesprochen hatte, da war man besonders in Frank- reich auf Logik und allgemeine Grammatik bedacht. La logique de Port-Royal aber und die Grammaire générale et raisonnée de Port-Royal, beide der classische Ausdruck dieser Bemühungen, erfüllen die Forderung der Identität von Grammatik und Logik derartig, wie sie aus der Voraussetzung der Einheit von Denken und Sprechen zu schließen ist, und wie sie Becker nur wünschen kann. Sie sind nicht nur beide aus einem Gusse, sondern die allgemeine Grammatik ist, wie ehemals bei den Griechen, wirk- lich und leibhaftig nur ein Capitel der Logik. So heißt es z. B., nachdem folgende Definition des Wortes gegeben ist: „Ainsi l’on peut définir les mots, des sons distincts et articulés, dont les hommes ont fait des signes pour signifier leurs pensées,“ un- mittelbar weiter: „C’est pourquoi on ne peut bien comprendre les diverses sortes de significations qui sont enfermées dans les mots, qu’on n’ait bien compris auparavant ce qui se passe dans nos pensées.“ Das alles genügt, denke ich, zu zeigen, wie die Verbindung der Grammatik mit der Logik, worauf Becker als auf das we- sentlichste Merkmal seiner sich so nennenden neuen Grammatik so viel Gewicht legt, nicht nur von jeher Statt gehabt hat, son- dern auch nie aufgegeben worden ist, der Grammatik aber auch immer den dürren unorganischen Charakter verliehen hat. §. 29. Beispiel von einem Beckerschen Organismus. Zeigen wir endlich noch an einem Beispiele, was Becker unter einer organischen Einheit mit organischer Gliederung versteht, unter einem organischen Ganzen, in welchem alles Besondere „nur durch das Ganze und als ein lebendiges Glied des Ganzen Dasein und Bedeutung hat.“ Becker behauptet nämlich (Org. S.79): „Das gesammte Reich der in der Sprache ausgedrückten Be- griffe stellt sich in einem natürlichen Systeme dar, in dem ein Urbegriff sich durch eine nach bestimmten Gesetzen fortschrei- tende Scheidung des Allgemeinen in das Besondere, in seine Arten, und diese in ihre Unterarten entwickeln.“ Wir vermu- then in diesem Satze ein paar Druckfehler, durch welche das Wort organisch ein paar Mal ausgefallen ist. Eine ausführli-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/101>, abgerufen am 29.03.2024.