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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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dankens, welcher in der Sprache dargestellt ist, statt der Form
dieser Darstellung erörtert.

Wir stehen vor der Bildsäule Alexanders; was haben wir
vor uns? Den Stein-gewordenen Alexander? so wenig wie das
Wort das Laut-gewordene Ding ist. Das Wort aber soll der
verlautlichte Gedanke sein; ist etwa die Bildsäule Alexanders
der versteinerte Gedanke von jenem Jüngling, der das zersplit-
terte Hellas um sich schaarte, das morsche Asien zertrümmerte
und in einer neuen Stadt seines Namens einen Mittelpunkt der
Cultur und Civilisation schuf, in welchem die ganze alte Welt
zusammentraf? Auch das nicht! die Bildsäule ist die dem Stein
angebildete Anschauung des Künstlers. Dann ist aber auch das
Wort nicht der verleiblichte Begriff. Der Aesthetiker erzählt
uns nicht die Geschichte Alexanders und Cäsars, sondern zeigt,
wie die Geschichte dieser Helden in der Anschauung des Künst-
lers ein Spiegelbild hat; so erzählt uns der Grammatiker nicht
in Beckers Weise von den Formen des Denkens und des Ge-
dachten, sondern er zeigt uns in der Sprache ein Spiegelbild der
äußern und innern Welt nach Form und Inhalt derselben.

Der Webstuhl ist der verkörperte Gedanke des Webens;
der Techniker soll ihn uns analysiren. Er berichtet aber von
den Gesetzen des Hebels, der Structur und Wirkungsweise der
Muskeln, dem Knochenbau, und endlich gar von den gewebten
Stoffen: ein solcher Techniker ist der logische Grammatiker.

Man sieht wohl, der logische Grammatiker ist gar nicht
mehr bei der Sprache; er spricht nur von Dingen, die in nähe-
rer oder fernerer Beziehung zu ihr stehen; er ist beim Gedan-
ken, und also -- um es kurz auszudrücken -- Logiker. Die-
logische Grammatik ist Logik.

§. 45. Unfügsamkeit der Sprache unter die Logik.

Geht denn nun aber wohl die ganze Sprache hinein in die
Logik? Wir haben schon oben gesehen, wie Becker selbst meh-
rere Punkte zugestand, die sich der Logik nicht fügen wollen.
Wir haben oben Becker das Recht bestritten, deswegen der
Grammatik ein selbständiges Dasein zu verleihen; denn sein
Princip vernichtet diese Selbständigkeit der Grammatik, macht
sie vollständig der Logik selbig, und Becker hat nicht das Recht
zu sagen, die Grammatik weiche irgendwo von der Logik ab,
weil er diese Abweichung nicht rechtfertigen, nicht begreifen

dankens, welcher in der Sprache dargestellt ist, statt der Form
dieser Darstellung erörtert.

Wir stehen vor der Bildsäule Alexanders; was haben wir
vor uns? Den Stein-gewordenen Alexander? so wenig wie das
Wort das Laut-gewordene Ding ist. Das Wort aber soll der
verlautlichte Gedanke sein; ist etwa die Bildsäule Alexanders
der versteinerte Gedanke von jenem Jüngling, der das zersplit-
terte Hellas um sich schaarte, das morsche Asien zertrümmerte
und in einer neuen Stadt seines Namens einen Mittelpunkt der
Cultur und Civilisation schuf, in welchem die ganze alte Welt
zusammentraf? Auch das nicht! die Bildsäule ist die dem Stein
angebildete Anschauung des Künstlers. Dann ist aber auch das
Wort nicht der verleiblichte Begriff. Der Aesthetiker erzählt
uns nicht die Geschichte Alexanders und Cäsars, sondern zeigt,
wie die Geschichte dieser Helden in der Anschauung des Künst-
lers ein Spiegelbild hat; so erzählt uns der Grammatiker nicht
in Beckers Weise von den Formen des Denkens und des Ge-
dachten, sondern er zeigt uns in der Sprache ein Spiegelbild der
äußern und innern Welt nach Form und Inhalt derselben.

Der Webstuhl ist der verkörperte Gedanke des Webens;
der Techniker soll ihn uns analysiren. Er berichtet aber von
den Gesetzen des Hebels, der Structur und Wirkungsweise der
Muskeln, dem Knochenbau, und endlich gar von den gewebten
Stoffen: ein solcher Techniker ist der logische Grammatiker.

Man sieht wohl, der logische Grammatiker ist gar nicht
mehr bei der Sprache; er spricht nur von Dingen, die in nähe-
rer oder fernerer Beziehung zu ihr stehen; er ist beim Gedan-
ken, und also — um es kurz auszudrücken — Logiker. Die-
logische Grammatik ist Logik.

§. 45. Unfügsamkeit der Sprache unter die Logik.

Geht denn nun aber wohl die ganze Sprache hinein in die
Logik? Wir haben schon oben gesehen, wie Becker selbst meh-
rere Punkte zugestand, die sich der Logik nicht fügen wollen.
Wir haben oben Becker das Recht bestritten, deswegen der
Grammatik ein selbständiges Dasein zu verleihen; denn sein
Princip vernichtet diese Selbständigkeit der Grammatik, macht
sie vollständig der Logik selbig, und Becker hat nicht das Recht
zu sagen, die Grammatik weiche irgendwo von der Logik ab,
weil er diese Abweichung nicht rechtfertigen, nicht begreifen

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[111/0149] dankens, welcher in der Sprache dargestellt ist, statt der Form dieser Darstellung erörtert. Wir stehen vor der Bildsäule Alexanders; was haben wir vor uns? Den Stein-gewordenen Alexander? so wenig wie das Wort das Laut-gewordene Ding ist. Das Wort aber soll der verlautlichte Gedanke sein; ist etwa die Bildsäule Alexanders der versteinerte Gedanke von jenem Jüngling, der das zersplit- terte Hellas um sich schaarte, das morsche Asien zertrümmerte und in einer neuen Stadt seines Namens einen Mittelpunkt der Cultur und Civilisation schuf, in welchem die ganze alte Welt zusammentraf? Auch das nicht! die Bildsäule ist die dem Stein angebildete Anschauung des Künstlers. Dann ist aber auch das Wort nicht der verleiblichte Begriff. Der Aesthetiker erzählt uns nicht die Geschichte Alexanders und Cäsars, sondern zeigt, wie die Geschichte dieser Helden in der Anschauung des Künst- lers ein Spiegelbild hat; so erzählt uns der Grammatiker nicht in Beckers Weise von den Formen des Denkens und des Ge- dachten, sondern er zeigt uns in der Sprache ein Spiegelbild der äußern und innern Welt nach Form und Inhalt derselben. Der Webstuhl ist der verkörperte Gedanke des Webens; der Techniker soll ihn uns analysiren. Er berichtet aber von den Gesetzen des Hebels, der Structur und Wirkungsweise der Muskeln, dem Knochenbau, und endlich gar von den gewebten Stoffen: ein solcher Techniker ist der logische Grammatiker. Man sieht wohl, der logische Grammatiker ist gar nicht mehr bei der Sprache; er spricht nur von Dingen, die in nähe- rer oder fernerer Beziehung zu ihr stehen; er ist beim Gedan- ken, und also — um es kurz auszudrücken — Logiker. Die- logische Grammatik ist Logik. §. 45. Unfügsamkeit der Sprache unter die Logik. Geht denn nun aber wohl die ganze Sprache hinein in die Logik? Wir haben schon oben gesehen, wie Becker selbst meh- rere Punkte zugestand, die sich der Logik nicht fügen wollen. Wir haben oben Becker das Recht bestritten, deswegen der Grammatik ein selbständiges Dasein zu verleihen; denn sein Princip vernichtet diese Selbständigkeit der Grammatik, macht sie vollständig der Logik selbig, und Becker hat nicht das Recht zu sagen, die Grammatik weiche irgendwo von der Logik ab, weil er diese Abweichung nicht rechtfertigen, nicht begreifen

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/149>, abgerufen am 29.03.2024.