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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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nur der Beckerschen, so zeigt sich nach dem Obigen, daß über-
haupt in der Sprache nicht die Logik verleiblicht sein kann.

Becker sagt (S. 168), nachdem er wiederholt die Sprache
"den in die Erscheinung tretenden Gedanken" genannt hat, des-
sen Formen "in der Sprache zu erkennen" seien, Folgendes:
"Wenn wir nun auch den Gegenstand nicht auf eine erschö-
pfende Weise betrachten können; so müssen wir doch hier ver-
suchen, die besondern Formen des Denkens, wie sie in den un-
terschiedenen Formen der grammatischen Beziehungen hervor-
treten, näher zu bezeichnen." In einem so ausführlichen, diesem
Gegenstande ganz gewidmeten Werke, wie sein Organism ist, mußte
aber von dem Principe die Forderung gestellt werden, sämmt-
liche logische Formen aufzustellen und für jede die grammati-
sche Form nachzuweisen; weder hätte eine logische Form ohne
lautlichen Ausdruck, noch eine grammatische Form, ohne ihre
logische Stelle zu finden, übrig bleiben dürfen. Becker dagegen
zählt hierauf in der losesten Einführungsweise vier Formen auf,
Raum und Zeit, Gegensatz und Causalität, an welche er einige
andere anschließt. Diese Kategorien zeigen sich aber in der
Sprache gar nicht in dieser logischen Einfachheit und Reinheit;
und diese Umgestaltung der Logik in die Grammatik bekundet
eine eigenthümliche Macht der Sprache, im Gegensatze zur Lo-
gik, und von ihr abhängig.

§ 46. Rückweisung der Grammatik durch die Logik.

Noch unglücklicher aber lief die Logificirung der Gram-
matik bei einem Logiker ab, der uns mittelbar durch Becker
selbst, unmittelbar aber durch einen viel höher stehenden Mann,
durch Trendelenburg (I, S. 315), empfohlen ist, nämlich E. Rein-
hold. Sein Unternehmen mußte um so mehr mißlingen, je
strenger er sich auf logischem Standpunkte hielt; ja, weil er
wirklich lobenswerth streng war, schlug die beabsichtigte Auf-
nahme in eine völlige Abweisung um. Er lehrt uns (Lehrbuch
der philosophisch-propädeutischen Psychologie und der formalen
Logik, 2. Aufl. 1839. S. 327 u. ff.): "Gemäß dem Verhältniß,
in welchem die Wortsprache zu dem bewußtvollen Vorstellen
steht" (nämlich das Wort ist Zeichen der Vorstellung), "gebührt
der Logik die Begründung und Nachweisung der für die gram-
matische Vermittlung des Denkens schlechterdings erforderlichen
Sprachformen, und die Hervorhebung ihres Unterschiedes von

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nur der Beckerschen, so zeigt sich nach dem Obigen, daß über-
haupt in der Sprache nicht die Logik verleiblicht sein kann.

Becker sagt (S. 168), nachdem er wiederholt die Sprache
„den in die Erscheinung tretenden Gedanken“ genannt hat, des-
sen Formen „in der Sprache zu erkennen“ seien, Folgendes:
„Wenn wir nun auch den Gegenstand nicht auf eine erschö-
pfende Weise betrachten können; so müssen wir doch hier ver-
suchen, die besondern Formen des Denkens, wie sie in den un-
terschiedenen Formen der grammatischen Beziehungen hervor-
treten, näher zu bezeichnen.“ In einem so ausführlichen, diesem
Gegenstande ganz gewidmeten Werke, wie sein Organism ist, mußte
aber von dem Principe die Forderung gestellt werden, sämmt-
liche logische Formen aufzustellen und für jede die grammati-
sche Form nachzuweisen; weder hätte eine logische Form ohne
lautlichen Ausdruck, noch eine grammatische Form, ohne ihre
logische Stelle zu finden, übrig bleiben dürfen. Becker dagegen
zählt hierauf in der losesten Einführungsweise vier Formen auf,
Raum und Zeit, Gegensatz und Causalität, an welche er einige
andere anschließt. Diese Kategorien zeigen sich aber in der
Sprache gar nicht in dieser logischen Einfachheit und Reinheit;
und diese Umgestaltung der Logik in die Grammatik bekundet
eine eigenthümliche Macht der Sprache, im Gegensatze zur Lo-
gik, und von ihr abhängig.

§ 46. Rückweisung der Grammatik durch die Logik.

Noch unglücklicher aber lief die Logificirung der Gram-
matik bei einem Logiker ab, der uns mittelbar durch Becker
selbst, unmittelbar aber durch einen viel höher stehenden Mann,
durch Trendelenburg (I, S. 315), empfohlen ist, nämlich E. Rein-
hold. Sein Unternehmen mußte um so mehr mißlingen, je
strenger er sich auf logischem Standpunkte hielt; ja, weil er
wirklich lobenswerth streng war, schlug die beabsichtigte Auf-
nahme in eine völlige Abweisung um. Er lehrt uns (Lehrbuch
der philosophisch-propädeutischen Psychologie und der formalen
Logik, 2. Aufl. 1839. S. 327 u. ff.): „Gemäß dem Verhältniß,
in welchem die Wortsprache zu dem bewußtvollen Vorstellen
steht“ (nämlich das Wort ist Zeichen der Vorstellung), „gebührt
der Logik die Begründung und Nachweisung der für die gram-
matische Vermittlung des Denkens schlechterdings erforderlichen
Sprachformen, und die Hervorhebung ihres Unterschiedes von

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[113/0151] nur der Beckerschen, so zeigt sich nach dem Obigen, daß über- haupt in der Sprache nicht die Logik verleiblicht sein kann. Becker sagt (S. 168), nachdem er wiederholt die Sprache „den in die Erscheinung tretenden Gedanken“ genannt hat, des- sen Formen „in der Sprache zu erkennen“ seien, Folgendes: „Wenn wir nun auch den Gegenstand nicht auf eine erschö- pfende Weise betrachten können; so müssen wir doch hier ver- suchen, die besondern Formen des Denkens, wie sie in den un- terschiedenen Formen der grammatischen Beziehungen hervor- treten, näher zu bezeichnen.“ In einem so ausführlichen, diesem Gegenstande ganz gewidmeten Werke, wie sein Organism ist, mußte aber von dem Principe die Forderung gestellt werden, sämmt- liche logische Formen aufzustellen und für jede die grammati- sche Form nachzuweisen; weder hätte eine logische Form ohne lautlichen Ausdruck, noch eine grammatische Form, ohne ihre logische Stelle zu finden, übrig bleiben dürfen. Becker dagegen zählt hierauf in der losesten Einführungsweise vier Formen auf, Raum und Zeit, Gegensatz und Causalität, an welche er einige andere anschließt. Diese Kategorien zeigen sich aber in der Sprache gar nicht in dieser logischen Einfachheit und Reinheit; und diese Umgestaltung der Logik in die Grammatik bekundet eine eigenthümliche Macht der Sprache, im Gegensatze zur Lo- gik, und von ihr abhängig. § 46. Rückweisung der Grammatik durch die Logik. Noch unglücklicher aber lief die Logificirung der Gram- matik bei einem Logiker ab, der uns mittelbar durch Becker selbst, unmittelbar aber durch einen viel höher stehenden Mann, durch Trendelenburg (I, S. 315), empfohlen ist, nämlich E. Rein- hold. Sein Unternehmen mußte um so mehr mißlingen, je strenger er sich auf logischem Standpunkte hielt; ja, weil er wirklich lobenswerth streng war, schlug die beabsichtigte Auf- nahme in eine völlige Abweisung um. Er lehrt uns (Lehrbuch der philosophisch-propädeutischen Psychologie und der formalen Logik, 2. Aufl. 1839. S. 327 u. ff.): „Gemäß dem Verhältniß, in welchem die Wortsprache zu dem bewußtvollen Vorstellen steht“ (nämlich das Wort ist Zeichen der Vorstellung), „gebührt der Logik die Begründung und Nachweisung der für die gram- matische Vermittlung des Denkens schlechterdings erforderlichen Sprachformen, und die Hervorhebung ihres Unterschiedes von 8

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/151>, abgerufen am 19.04.2024.