Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Conträre Begriffe sind für die Sprache nur disparate Begriffe.
Rund und eckig, schwarz und weiß, gut und schlecht, schön
und häßlich: das alles sind doch conträre Begriffe für den Lo-
giker; aber die Sprache, wodurch hätte sie das Verhältniß des
Gegensatzes angedeutet? sie sieht in jenen Begriffen, die sie
in zusammenhangslosen Wörtern darstellt, nur disparate Begriffe.
Nicht schön, nicht rein, nicht hell dagegen bezeichnen einen con-
tradictorischen Gegensatz, in welchem aber der Logiker einen
conträren erkennt.

§. 66. Satz und Urtheil.

Gehen wir jetzt weiter zu den Urtheilen. Wir werden
auch hier, und hier erst recht deutlich und ausführlich zeigen
können, daß Logik und Grammatik nicht congruent sind, daß
jede besondere Kategorien hat, und daß selbst die, welche sich
zu decken scheinen, doch nur parallel laufen, aber verschiedenen
Wesens sind.

Dies zeigt sich nun schon bei der Kategorie "Urtheil" selbst.
Denn der Satz ist nicht eins und dasselbe mit dem Urtheil; son-
dern er ist die Darstellung des Urtheils und hat als Darstellung
seine eigenen Gesetze und Kategorien, nämlich grammatische,
und das Urtheil hat die seinigen, nämlich logische. Vor allem
ist beachtenswerth, daß die Logik die Unterscheidung von Be-
griff und Urtheil nicht machen kann *). Urtheil an sich ist eine
psychologische Kategorie; denn die Entstehung des Urtheils, den
Unterschied desselben vom einfachen Begriffe, kann nur die Psy-
chologie darthun. Die Logik aber nimmt das Urtheil, wie den
Begriff, als vorliegend und gegeben an und betrachtet nur die
an ihm hervortretenden Verhältnisse. Denn die Logik, wie wir
oben bemerkten, ist keine genetische Wissenschaft, sondern eine
ästhetische. Begriff und Urtheil werden ihr zur Beurtheilung
übergeben; woher diese kommen, fragt sie nicht. Die Sprach-
wissenschaft dagegen hat wohl nachzuweisen, wie der Satz ent-
stehe, und worin er sich vom einfachen Worte unterscheide.
Die Sprachwissenschaft hat also den Satz allseitig zu betrach-
ten und zu entwickeln; die Logik sieht das Urtheil nur einseitig
an, indem sie fragt, ob es richtig gebildet sei oder nicht.

Hieraus folgt nun, was schon Aristoteles bemerkt hat, daß

*) Auch Trendelenburg (II, S. 144) ist der Ansicht, daß das Urtheil nicht
"rein logisch zu definiren sei."

Conträre Begriffe sind für die Sprache nur disparate Begriffe.
Rund und eckig, schwarz und weiß, gut und schlecht, schön
und häßlich: das alles sind doch conträre Begriffe für den Lo-
giker; aber die Sprache, wodurch hätte sie das Verhältniß des
Gegensatzes angedeutet? sie sieht in jenen Begriffen, die sie
in zusammenhangslosen Wörtern darstellt, nur disparate Begriffe.
Nicht schön, nicht rein, nicht hell dagegen bezeichnen einen con-
tradictorischen Gegensatz, in welchem aber der Logiker einen
conträren erkennt.

§. 66. Satz und Urtheil.

Gehen wir jetzt weiter zu den Urtheilen. Wir werden
auch hier, und hier erst recht deutlich und ausführlich zeigen
können, daß Logik und Grammatik nicht congruent sind, daß
jede besondere Kategorien hat, und daß selbst die, welche sich
zu decken scheinen, doch nur parallel laufen, aber verschiedenen
Wesens sind.

Dies zeigt sich nun schon bei der Kategorie „Urtheil“ selbst.
Denn der Satz ist nicht eins und dasselbe mit dem Urtheil; son-
dern er ist die Darstellung des Urtheils und hat als Darstellung
seine eigenen Gesetze und Kategorien, nämlich grammatische,
und das Urtheil hat die seinigen, nämlich logische. Vor allem
ist beachtenswerth, daß die Logik die Unterscheidung von Be-
griff und Urtheil nicht machen kann *). Urtheil an sich ist eine
psychologische Kategorie; denn die Entstehung des Urtheils, den
Unterschied desselben vom einfachen Begriffe, kann nur die Psy-
chologie darthun. Die Logik aber nimmt das Urtheil, wie den
Begriff, als vorliegend und gegeben an und betrachtet nur die
an ihm hervortretenden Verhältnisse. Denn die Logik, wie wir
oben bemerkten, ist keine genetische Wissenschaft, sondern eine
ästhetische. Begriff und Urtheil werden ihr zur Beurtheilung
übergeben; woher diese kommen, fragt sie nicht. Die Sprach-
wissenschaft dagegen hat wohl nachzuweisen, wie der Satz ent-
stehe, und worin er sich vom einfachen Worte unterscheide.
Die Sprachwissenschaft hat also den Satz allseitig zu betrach-
ten und zu entwickeln; die Logik sieht das Urtheil nur einseitig
an, indem sie fragt, ob es richtig gebildet sei oder nicht.

Hieraus folgt nun, was schon Aristoteles bemerkt hat, daß

*) Auch Trendelenburg (II, S. 144) ist der Ansicht, daß das Urtheil nicht
„rein logisch zu definiren sei.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0206" n="168"/>
Conträre Begriffe sind für die Sprache nur disparate Begriffe.<lb/><hi rendition="#i">Rund</hi> und <hi rendition="#i">eckig</hi>, <hi rendition="#i">schwarz</hi> und <hi rendition="#i">weiß</hi>, <hi rendition="#i">gut</hi> und <hi rendition="#i">schlecht</hi>, <hi rendition="#i">schön</hi><lb/>
und <hi rendition="#i">häßlich</hi>: das alles sind doch conträre Begriffe für den Lo-<lb/>
giker; aber die Sprache, wodurch hätte sie das Verhältniß des<lb/>
Gegensatzes angedeutet? sie sieht in jenen Begriffen, die sie<lb/>
in zusammenhangslosen Wörtern darstellt, nur disparate Begriffe.<lb/><hi rendition="#i">Nicht schön, nicht rein, nicht hell</hi> dagegen bezeichnen einen con-<lb/>
tradictorischen Gegensatz, in welchem aber der Logiker einen<lb/>
conträren erkennt.</p>
            </div><lb/>
            <div n="4">
              <head>§. 66. Satz und Urtheil.</head><lb/>
              <p>Gehen wir jetzt weiter zu den <hi rendition="#g">Urtheilen</hi>. Wir werden<lb/>
auch hier, und hier erst recht deutlich und ausführlich zeigen<lb/>
können, daß Logik und Grammatik nicht congruent sind, daß<lb/>
jede besondere Kategorien hat, und daß selbst die, welche sich<lb/>
zu decken scheinen, doch nur parallel laufen, aber verschiedenen<lb/>
Wesens sind.</p><lb/>
              <p>Dies zeigt sich nun schon bei der Kategorie &#x201E;Urtheil&#x201C; selbst.<lb/>
Denn der Satz ist nicht eins und dasselbe mit dem Urtheil; son-<lb/>
dern er ist die Darstellung des Urtheils und hat als Darstellung<lb/>
seine eigenen Gesetze und Kategorien, nämlich grammatische,<lb/>
und das Urtheil hat die seinigen, nämlich logische. Vor allem<lb/>
ist beachtenswerth, daß die Logik die Unterscheidung von Be-<lb/>
griff und Urtheil nicht machen kann <note place="foot" n="*)">Auch Trendelenburg (II, S. 144) ist der Ansicht, daß das Urtheil nicht<lb/>
&#x201E;rein logisch zu definiren sei.&#x201C;</note>. Urtheil an sich ist eine<lb/>
psychologische Kategorie; denn die Entstehung des Urtheils, den<lb/>
Unterschied desselben vom einfachen Begriffe, kann nur die Psy-<lb/>
chologie darthun. Die Logik aber nimmt das Urtheil, wie den<lb/>
Begriff, als vorliegend und gegeben an und betrachtet nur die<lb/>
an ihm hervortretenden Verhältnisse. Denn die Logik, wie wir<lb/>
oben bemerkten, ist keine genetische Wissenschaft, sondern eine<lb/>
ästhetische. Begriff und Urtheil werden ihr zur Beurtheilung<lb/>
übergeben; woher diese kommen, fragt sie nicht. Die Sprach-<lb/>
wissenschaft dagegen hat wohl nachzuweisen, wie der Satz ent-<lb/>
stehe, und worin er sich vom einfachen Worte unterscheide.<lb/>
Die Sprachwissenschaft hat also den Satz allseitig zu betrach-<lb/>
ten und zu entwickeln; die Logik sieht das Urtheil nur einseitig<lb/>
an, indem sie fragt, ob es richtig gebildet sei oder nicht.</p><lb/>
              <p>Hieraus folgt nun, was schon Aristoteles bemerkt hat, daß<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[168/0206] Conträre Begriffe sind für die Sprache nur disparate Begriffe. Rund und eckig, schwarz und weiß, gut und schlecht, schön und häßlich: das alles sind doch conträre Begriffe für den Lo- giker; aber die Sprache, wodurch hätte sie das Verhältniß des Gegensatzes angedeutet? sie sieht in jenen Begriffen, die sie in zusammenhangslosen Wörtern darstellt, nur disparate Begriffe. Nicht schön, nicht rein, nicht hell dagegen bezeichnen einen con- tradictorischen Gegensatz, in welchem aber der Logiker einen conträren erkennt. §. 66. Satz und Urtheil. Gehen wir jetzt weiter zu den Urtheilen. Wir werden auch hier, und hier erst recht deutlich und ausführlich zeigen können, daß Logik und Grammatik nicht congruent sind, daß jede besondere Kategorien hat, und daß selbst die, welche sich zu decken scheinen, doch nur parallel laufen, aber verschiedenen Wesens sind. Dies zeigt sich nun schon bei der Kategorie „Urtheil“ selbst. Denn der Satz ist nicht eins und dasselbe mit dem Urtheil; son- dern er ist die Darstellung des Urtheils und hat als Darstellung seine eigenen Gesetze und Kategorien, nämlich grammatische, und das Urtheil hat die seinigen, nämlich logische. Vor allem ist beachtenswerth, daß die Logik die Unterscheidung von Be- griff und Urtheil nicht machen kann *). Urtheil an sich ist eine psychologische Kategorie; denn die Entstehung des Urtheils, den Unterschied desselben vom einfachen Begriffe, kann nur die Psy- chologie darthun. Die Logik aber nimmt das Urtheil, wie den Begriff, als vorliegend und gegeben an und betrachtet nur die an ihm hervortretenden Verhältnisse. Denn die Logik, wie wir oben bemerkten, ist keine genetische Wissenschaft, sondern eine ästhetische. Begriff und Urtheil werden ihr zur Beurtheilung übergeben; woher diese kommen, fragt sie nicht. Die Sprach- wissenschaft dagegen hat wohl nachzuweisen, wie der Satz ent- stehe, und worin er sich vom einfachen Worte unterscheide. Die Sprachwissenschaft hat also den Satz allseitig zu betrach- ten und zu entwickeln; die Logik sieht das Urtheil nur einseitig an, indem sie fragt, ob es richtig gebildet sei oder nicht. Hieraus folgt nun, was schon Aristoteles bemerkt hat, daß *) Auch Trendelenburg (II, S. 144) ist der Ansicht, daß das Urtheil nicht „rein logisch zu definiren sei.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/206
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/206>, abgerufen am 29.03.2024.