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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Adverbium wie jedes andere; "kein" ist ein unbestimmtes Pro-
nomen, eben so wie jeder, mancher, einer.

Eben so wenig wie die Unterschiede der Qualität des Ur-
theils, werden die der Modalität und Quantität desselben gram-
matisch unterschieden. Es scheint zwar, gerade hier entsprächen
die Modi der Verba den logischen Verhältnissen. Eine Verwandt-
schaft soll auch nicht geläugnet werden. Aber die Identität des
Indicativs, Conjunctivs, Optativs und Imperativs mit dem asser-
torischen, problematischen und apodictischen Urtheile schwindet,
sobald man nur das Auge darauf ruhen läßt. Das apodictische
Urtheil wird durch den Indicativ ausgedrückt, wie das asserto-
rische; und auch das problematische Urtheil kann durch den
Indicativ ausgedrückt werden durch kann, mag; nicht immer
ist könnte, möchte angewandt. Wie will man ferner den
Conjunctiv nnd Optativ auf das problematische Urtheil verthei-
len? Und Conjunctiv und Optativ bedeuten weder ausschließ-
lich, noch ursprünglich das problematische Verhältniß. Der Im-
perativ entspricht dem apodictischen Urtheile, bildet aber noch
nicht einmal ein Urtheil, sondern nur einen Satz. Geh! schreib!
sind keine Urtheile, aber doch nothwendig Sätze. -- Eben so
haben die allgemeinen, besondern und einzelnen Urtheile nichts
mit dem grammatischen Singular und Plural gemein. In dem Satze
"jeder Mensch ist sterblich" wird von einem Allgemeinen etwas
allgemein ausgesagt, nach Aristoteles; aber kein Plural ist sicht-
bar. Ferner ist für die Logik der Unterschied von allgemeinen
und besondern Urtheilen das eigentlich Wichtige der Einthei-
lung der Urtheile nach der Quantität, während das judicium
singulare
dem judicium commune gleich behandelt wird. Die
Grammatik hat nichts, was dem besondern Urtheile entspräche,
und scheidet vielmehr den Singular vom Plural. Schafft dage-
gen die Grammatik eine dritte Kategorie, so ist es der Dual,
wovon hinwiederum die Logik nichts ahnt.

§ 69. Satzarten.

Umgekehrt hat nun die Grammatik Satzarten, denen keine
logischen Arten des Urtheils entsprechen. Trendelenburg, obwohl
er doch, wie wir oben sahen, im grammatischen Ausdrucke nur
ein Kennzeichen für logische Verhältnisse sehen will, stellt trotz-
dem folgende Zumuthung an die formale Logik (I. S. 16): "Es
kann mit Recht gefordert werden, daß die grammatische Form
der Sätze in der Lehre des Urtheils eine Begründung finde."

Adverbium wie jedes andere; „kein“ ist ein unbestimmtes Pro-
nomen, eben so wie jeder, mancher, einer.

Eben so wenig wie die Unterschiede der Qualität des Ur-
theils, werden die der Modalität und Quantität desselben gram-
matisch unterschieden. Es scheint zwar, gerade hier entsprächen
die Modi der Verba den logischen Verhältnissen. Eine Verwandt-
schaft soll auch nicht geläugnet werden. Aber die Identität des
Indicativs, Conjunctivs, Optativs und Imperativs mit dem asser-
torischen, problematischen und apodictischen Urtheile schwindet,
sobald man nur das Auge darauf ruhen läßt. Das apodictische
Urtheil wird durch den Indicativ ausgedrückt, wie das asserto-
rische; und auch das problematische Urtheil kann durch den
Indicativ ausgedrückt werden durch kann, mag; nicht immer
ist könnte, möchte angewandt. Wie will man ferner den
Conjunctiv nnd Optativ auf das problematische Urtheil verthei-
len? Und Conjunctiv und Optativ bedeuten weder ausschließ-
lich, noch ursprünglich das problematische Verhältniß. Der Im-
perativ entspricht dem apodictischen Urtheile, bildet aber noch
nicht einmal ein Urtheil, sondern nur einen Satz. Geh! schreib!
sind keine Urtheile, aber doch nothwendig Sätze. — Eben so
haben die allgemeinen, besondern und einzelnen Urtheile nichts
mit dem grammatischen Singular und Plural gemein. In dem Satze
jeder Mensch ist sterblich“ wird von einem Allgemeinen etwas
allgemein ausgesagt, nach Aristoteles; aber kein Plural ist sicht-
bar. Ferner ist für die Logik der Unterschied von allgemeinen
und besondern Urtheilen das eigentlich Wichtige der Einthei-
lung der Urtheile nach der Quantität, während das judicium
singulare
dem judicium commune gleich behandelt wird. Die
Grammatik hat nichts, was dem besondern Urtheile entspräche,
und scheidet vielmehr den Singular vom Plural. Schafft dage-
gen die Grammatik eine dritte Kategorie, so ist es der Dual,
wovon hinwiederum die Logik nichts ahnt.

§ 69. Satzarten.

Umgekehrt hat nun die Grammatik Satzarten, denen keine
logischen Arten des Urtheils entsprechen. Trendelenburg, obwohl
er doch, wie wir oben sahen, im grammatischen Ausdrucke nur
ein Kennzeichen für logische Verhältnisse sehen will, stellt trotz-
dem folgende Zumuthung an die formale Logik (I. S. 16): „Es
kann mit Recht gefordert werden, daß die grammatische Form
der Sätze in der Lehre des Urtheils eine Begründung finde.“

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[176/0214] Adverbium wie jedes andere; „kein“ ist ein unbestimmtes Pro- nomen, eben so wie jeder, mancher, einer. Eben so wenig wie die Unterschiede der Qualität des Ur- theils, werden die der Modalität und Quantität desselben gram- matisch unterschieden. Es scheint zwar, gerade hier entsprächen die Modi der Verba den logischen Verhältnissen. Eine Verwandt- schaft soll auch nicht geläugnet werden. Aber die Identität des Indicativs, Conjunctivs, Optativs und Imperativs mit dem asser- torischen, problematischen und apodictischen Urtheile schwindet, sobald man nur das Auge darauf ruhen läßt. Das apodictische Urtheil wird durch den Indicativ ausgedrückt, wie das asserto- rische; und auch das problematische Urtheil kann durch den Indicativ ausgedrückt werden durch kann, mag; nicht immer ist könnte, möchte angewandt. Wie will man ferner den Conjunctiv nnd Optativ auf das problematische Urtheil verthei- len? Und Conjunctiv und Optativ bedeuten weder ausschließ- lich, noch ursprünglich das problematische Verhältniß. Der Im- perativ entspricht dem apodictischen Urtheile, bildet aber noch nicht einmal ein Urtheil, sondern nur einen Satz. Geh! schreib! sind keine Urtheile, aber doch nothwendig Sätze. — Eben so haben die allgemeinen, besondern und einzelnen Urtheile nichts mit dem grammatischen Singular und Plural gemein. In dem Satze „jeder Mensch ist sterblich“ wird von einem Allgemeinen etwas allgemein ausgesagt, nach Aristoteles; aber kein Plural ist sicht- bar. Ferner ist für die Logik der Unterschied von allgemeinen und besondern Urtheilen das eigentlich Wichtige der Einthei- lung der Urtheile nach der Quantität, während das judicium singulare dem judicium commune gleich behandelt wird. Die Grammatik hat nichts, was dem besondern Urtheile entspräche, und scheidet vielmehr den Singular vom Plural. Schafft dage- gen die Grammatik eine dritte Kategorie, so ist es der Dual, wovon hinwiederum die Logik nichts ahnt. § 69. Satzarten. Umgekehrt hat nun die Grammatik Satzarten, denen keine logischen Arten des Urtheils entsprechen. Trendelenburg, obwohl er doch, wie wir oben sahen, im grammatischen Ausdrucke nur ein Kennzeichen für logische Verhältnisse sehen will, stellt trotz- dem folgende Zumuthung an die formale Logik (I. S. 16): „Es kann mit Recht gefordert werden, daß die grammatische Form der Sätze in der Lehre des Urtheils eine Begründung finde.“

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/214>, abgerufen am 29.03.2024.