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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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ausgedrückt; die besondere Art der logischen Form jedoch durch
Conjunctionen, d. h. durch die grammatische Form (§. 102. S. 486).
Widersprüche, wo man auch anrühren mag!

Das Wesentlichste ist Folgendes: Wenn die ganze Unter-
scheidung der bei- und unterordnenden Verbindung, der logi-
schen und grammatischen Verhältnisse, bloß darauf beruht, daß
dort Gedanken des Sprechenden, hier Gedanken des Begriffs
(oder Begriffe als Gedanken) vorliegen: so haben wir doch hier,
wie dort Gedanken, immerhin dort bei-, hier unterordnende Ver-
hältnisse, aber immer Verhältnisse von Gedanken und Begriffen,
also logische und keine grammatische Verhältnisse. Und von
Gedanken des Sprechenden zu reden, hat ebenfalls keinen
Sinn; denn der Sprechende als Sprechender hat keinen Gedan-
ken, sondern Sprache. Insofern aber die Sprache Gedanke
ist, sind diese Gedankenverhältnisse nicht logische, sondern
sprachliche, grammatische Verhältnisse.

§. 71. Verhältnisse der Satzverbindung.

Haben wir einmal solche Verwirrung bemerkt, so können
wir darauf gefaßt sein, bei der nähern Betrachtung der Ver-
hältnisse der Satzverbindung noch mancherlei andere zu ent-
decken. Indessen Becker selbst hat hiervon eine Ahnung und er
baut also vor (S. 471): "Die logischen Verhältnisse der Gedanken
werden von den grammatischen Verhältnissen der Begriffe zwar
im Allgemeinen dadurch unterschieden, daß in dem zusammen-
gesetzten Satze die ersteren in der beiordnenden und die
letztern in der unterordnenden Verbindungsform dargestellt
werden: sehr oft werden aber auch logische Verhältnisse der
Gedanken in der unterordnenden, und Begriffe, die in einem
grammatischen Verhältnisse stehen, in der Form eines Satzes in
beiordnender Form dargestellt" -- welches Eingeständniß
Beckers wir anmerken wollen; denn es folgt daraus, daß das
logische Verhältniß der Gedanken mit dem grammatischen Ver-
hältnisse -- nicht der Begriffe, sondern -- der Sätze nichts zu
schaffen habe. Statt dieser so einfachen Scheidung von Satz
und Gedanke macht Becker einen Unterschied zwischen "Ver-
bindungsform der Sätze" und "Formen der Darstellung", als
wenn nicht eben der Satz die Darstellung wäre. Becker sieht
also die Darstellung noch außerhalb der Sätze -- ich weiß
nicht, ob neben, über, unter ihnen --, indem er sagt: "Die
mannigfachen Verhältnisse des zusammengesetzten Satzes können

ausgedrückt; die besondere Art der logischen Form jedoch durch
Conjunctionen, d. h. durch die grammatische Form (§. 102. S. 486).
Widersprüche, wo man auch anrühren mag!

Das Wesentlichste ist Folgendes: Wenn die ganze Unter-
scheidung der bei- und unterordnenden Verbindung, der logi-
schen und grammatischen Verhältnisse, bloß darauf beruht, daß
dort Gedanken des Sprechenden, hier Gedanken des Begriffs
(oder Begriffe als Gedanken) vorliegen: so haben wir doch hier,
wie dort Gedanken, immerhin dort bei-, hier unterordnende Ver-
hältnisse, aber immer Verhältnisse von Gedanken und Begriffen,
also logische und keine grammatische Verhältnisse. Und von
Gedanken des Sprechenden zu reden, hat ebenfalls keinen
Sinn; denn der Sprechende als Sprechender hat keinen Gedan-
ken, sondern Sprache. Insofern aber die Sprache Gedanke
ist, sind diese Gedankenverhältnisse nicht logische, sondern
sprachliche, grammatische Verhältnisse.

§. 71. Verhältnisse der Satzverbindung.

Haben wir einmal solche Verwirrung bemerkt, so können
wir darauf gefaßt sein, bei der nähern Betrachtung der Ver-
hältnisse der Satzverbindung noch mancherlei andere zu ent-
decken. Indessen Becker selbst hat hiervon eine Ahnung und er
baut also vor (S. 471): „Die logischen Verhältnisse der Gedanken
werden von den grammatischen Verhältnissen der Begriffe zwar
im Allgemeinen dadurch unterschieden, daß in dem zusammen-
gesetzten Satze die ersteren in der beiordnenden und die
letztern in der unterordnenden Verbindungsform dargestellt
werden: sehr oft werden aber auch logische Verhältnisse der
Gedanken in der unterordnenden, und Begriffe, die in einem
grammatischen Verhältnisse stehen, in der Form eines Satzes in
beiordnender Form dargestellt“ — welches Eingeständniß
Beckers wir anmerken wollen; denn es folgt daraus, daß das
logische Verhältniß der Gedanken mit dem grammatischen Ver-
hältnisse — nicht der Begriffe, sondern — der Sätze nichts zu
schaffen habe. Statt dieser so einfachen Scheidung von Satz
und Gedanke macht Becker einen Unterschied zwischen „Ver-
bindungsform der Sätze“ und „Formen der Darstellung“, als
wenn nicht eben der Satz die Darstellung wäre. Becker sieht
also die Darstellung noch außerhalb der Sätze — ich weiß
nicht, ob neben, über, unter ihnen —, indem er sagt: „Die
mannigfachen Verhältnisse des zusammengesetzten Satzes können

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[183/0221] ausgedrückt; die besondere Art der logischen Form jedoch durch Conjunctionen, d. h. durch die grammatische Form (§. 102. S. 486). Widersprüche, wo man auch anrühren mag! Das Wesentlichste ist Folgendes: Wenn die ganze Unter- scheidung der bei- und unterordnenden Verbindung, der logi- schen und grammatischen Verhältnisse, bloß darauf beruht, daß dort Gedanken des Sprechenden, hier Gedanken des Begriffs (oder Begriffe als Gedanken) vorliegen: so haben wir doch hier, wie dort Gedanken, immerhin dort bei-, hier unterordnende Ver- hältnisse, aber immer Verhältnisse von Gedanken und Begriffen, also logische und keine grammatische Verhältnisse. Und von Gedanken des Sprechenden zu reden, hat ebenfalls keinen Sinn; denn der Sprechende als Sprechender hat keinen Gedan- ken, sondern Sprache. Insofern aber die Sprache Gedanke ist, sind diese Gedankenverhältnisse nicht logische, sondern sprachliche, grammatische Verhältnisse. §. 71. Verhältnisse der Satzverbindung. Haben wir einmal solche Verwirrung bemerkt, so können wir darauf gefaßt sein, bei der nähern Betrachtung der Ver- hältnisse der Satzverbindung noch mancherlei andere zu ent- decken. Indessen Becker selbst hat hiervon eine Ahnung und er baut also vor (S. 471): „Die logischen Verhältnisse der Gedanken werden von den grammatischen Verhältnissen der Begriffe zwar im Allgemeinen dadurch unterschieden, daß in dem zusammen- gesetzten Satze die ersteren in der beiordnenden und die letztern in der unterordnenden Verbindungsform dargestellt werden: sehr oft werden aber auch logische Verhältnisse der Gedanken in der unterordnenden, und Begriffe, die in einem grammatischen Verhältnisse stehen, in der Form eines Satzes in beiordnender Form dargestellt“ — welches Eingeständniß Beckers wir anmerken wollen; denn es folgt daraus, daß das logische Verhältniß der Gedanken mit dem grammatischen Ver- hältnisse — nicht der Begriffe, sondern — der Sätze nichts zu schaffen habe. Statt dieser so einfachen Scheidung von Satz und Gedanke macht Becker einen Unterschied zwischen „Ver- bindungsform der Sätze“ und „Formen der Darstellung“, als wenn nicht eben der Satz die Darstellung wäre. Becker sieht also die Darstellung noch außerhalb der Sätze — ich weiß nicht, ob neben, über, unter ihnen —, indem er sagt: „Die mannigfachen Verhältnisse des zusammengesetzten Satzes können

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/221>, abgerufen am 30.03.2024.