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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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daher nur dann wahrhaft verstanden werden, wenn man nicht
nur die Verbindungsformen der Sätze, sondern die besondern
Arten der logischen und grammatischen Verhältnisse in ihren
Beziehungen zu den Formen der Darstellung näher betrachtet."

Man sieht also, daß, wenn Becker von Darstellung, von
grammatischer und logischer Form, von grammatischen und lo-
gischen Verhältnissen spricht, er hiermit nicht diejenige Schei-
dung macht, welche wir verlangen, von Gedankeninhalt und
sprachlicher Darstellung; und daß bei Becker jene Scheidungen,
die er unter einander wirrt, nichts sind als Gespenster, als Rache-
geister der erstickten wahren Verhältnisse, welche ihn verfolgen.

Uebrigens kann die Freiheit und Selbständigkeit der sprach-
lichen Darstellung, ihre Unabhängigkeit und also sicherlich ihre
Verschiedenheit von dem Gedanken und seinen Verhältnissen
nicht klarer werden, als bei den vielfältigen Verhältnissen der
Unterordnung. Man vergleiche folgende Sätze, die in verschie-
denen Formen sprachlicher Darstellung denselben Gedanken aus-
drücken: "Rückwärts kannst du nun nicht mehr; daher (also)
mußt du vorwärts -- Vorwärts mußt du; denn rückwärts kannst
du nun nicht mehr -- Da (weil, wenn) du nicht mehr rückwärts
kannst, so mußt du vorwärts." Auch wechseln nicht bloß die
bei- und unterordnenden Verbindungen unter einander ab, so-
wohl innerhalb jeder Classe die Arten unter einander, als beide
Classen mit einander; sondern innerhalb der unterordnenden
Verbindung ist das Verhältniß des Ueber und Unter wandelbar;
z. B. "Wenn der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name
noch," oder auch: "Der Leib ist in Staub zerfallen, während der
große Name noch lebt."

§. 72. Elemente des Satzes und des Urtheils.

Wir haben oben den Satz und das Urtheil und dann ihre
Zusammensetzung betrachtet. Steigen wir jetzt hinab in ihre
Elemente. Der Satz besteht aus drei Grundelementen: Sub-
ject, Prädicat
und Copula, und so haben wir im Satze, in
der Darstellungsform des Urtheils, schon eine höchst bedeutende
Abweichung vom Urtheil, welches nur zwei Elemente hat: Sub-
ject und Prädicat. Dies ist aber ein schwieriger Punkt, wobei
ich wieder auf Herbart zurückkommen muß. Auf Becker ein-
zugehen, sei mir hier erlassen; es ist zu unerfreulich zu se-
hen, und mir unmöglich, mit Ruhe darzustellen, wie leichtfertig
er die Thatsachen dem Moloch seines Systems opfert. Er

daher nur dann wahrhaft verstanden werden, wenn man nicht
nur die Verbindungsformen der Sätze, sondern die besondern
Arten der logischen und grammatischen Verhältnisse in ihren
Beziehungen zu den Formen der Darstellung näher betrachtet.“

Man sieht also, daß, wenn Becker von Darstellung, von
grammatischer und logischer Form, von grammatischen und lo-
gischen Verhältnissen spricht, er hiermit nicht diejenige Schei-
dung macht, welche wir verlangen, von Gedankeninhalt und
sprachlicher Darstellung; und daß bei Becker jene Scheidungen,
die er unter einander wirrt, nichts sind als Gespenster, als Rache-
geister der erstickten wahren Verhältnisse, welche ihn verfolgen.

Uebrigens kann die Freiheit und Selbständigkeit der sprach-
lichen Darstellung, ihre Unabhängigkeit und also sicherlich ihre
Verschiedenheit von dem Gedanken und seinen Verhältnissen
nicht klarer werden, als bei den vielfältigen Verhältnissen der
Unterordnung. Man vergleiche folgende Sätze, die in verschie-
denen Formen sprachlicher Darstellung denselben Gedanken aus-
drücken: „Rückwärts kannst du nun nicht mehr; daher (also)
mußt du vorwärts — Vorwärts mußt du; denn rückwärts kannst
du nun nicht mehr — Da (weil, wenn) du nicht mehr rückwärts
kannst, so mußt du vorwärts.“ Auch wechseln nicht bloß die
bei- und unterordnenden Verbindungen unter einander ab, so-
wohl innerhalb jeder Classe die Arten unter einander, als beide
Classen mit einander; sondern innerhalb der unterordnenden
Verbindung ist das Verhältniß des Ueber und Unter wandelbar;
z. B. „Wenn der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name
noch,“ oder auch: „Der Leib ist in Staub zerfallen, während der
große Name noch lebt.“

§. 72. Elemente des Satzes und des Urtheils.

Wir haben oben den Satz und das Urtheil und dann ihre
Zusammensetzung betrachtet. Steigen wir jetzt hinab in ihre
Elemente. Der Satz besteht aus drei Grundelementen: Sub-
ject, Prädicat
und Copula, und so haben wir im Satze, in
der Darstellungsform des Urtheils, schon eine höchst bedeutende
Abweichung vom Urtheil, welches nur zwei Elemente hat: Sub-
ject und Prädicat. Dies ist aber ein schwieriger Punkt, wobei
ich wieder auf Herbart zurückkommen muß. Auf Becker ein-
zugehen, sei mir hier erlassen; es ist zu unerfreulich zu se-
hen, und mir unmöglich, mit Ruhe darzustellen, wie leichtfertig
er die Thatsachen dem Moloch seines Systems opfert. Er

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[184/0222] daher nur dann wahrhaft verstanden werden, wenn man nicht nur die Verbindungsformen der Sätze, sondern die besondern Arten der logischen und grammatischen Verhältnisse in ihren Beziehungen zu den Formen der Darstellung näher betrachtet.“ Man sieht also, daß, wenn Becker von Darstellung, von grammatischer und logischer Form, von grammatischen und lo- gischen Verhältnissen spricht, er hiermit nicht diejenige Schei- dung macht, welche wir verlangen, von Gedankeninhalt und sprachlicher Darstellung; und daß bei Becker jene Scheidungen, die er unter einander wirrt, nichts sind als Gespenster, als Rache- geister der erstickten wahren Verhältnisse, welche ihn verfolgen. Uebrigens kann die Freiheit und Selbständigkeit der sprach- lichen Darstellung, ihre Unabhängigkeit und also sicherlich ihre Verschiedenheit von dem Gedanken und seinen Verhältnissen nicht klarer werden, als bei den vielfältigen Verhältnissen der Unterordnung. Man vergleiche folgende Sätze, die in verschie- denen Formen sprachlicher Darstellung denselben Gedanken aus- drücken: „Rückwärts kannst du nun nicht mehr; daher (also) mußt du vorwärts — Vorwärts mußt du; denn rückwärts kannst du nun nicht mehr — Da (weil, wenn) du nicht mehr rückwärts kannst, so mußt du vorwärts.“ Auch wechseln nicht bloß die bei- und unterordnenden Verbindungen unter einander ab, so- wohl innerhalb jeder Classe die Arten unter einander, als beide Classen mit einander; sondern innerhalb der unterordnenden Verbindung ist das Verhältniß des Ueber und Unter wandelbar; z. B. „Wenn der Leib in Staub zerfallen, lebt der große Name noch,“ oder auch: „Der Leib ist in Staub zerfallen, während der große Name noch lebt.“ §. 72. Elemente des Satzes und des Urtheils. Wir haben oben den Satz und das Urtheil und dann ihre Zusammensetzung betrachtet. Steigen wir jetzt hinab in ihre Elemente. Der Satz besteht aus drei Grundelementen: Sub- ject, Prädicat und Copula, und so haben wir im Satze, in der Darstellungsform des Urtheils, schon eine höchst bedeutende Abweichung vom Urtheil, welches nur zwei Elemente hat: Sub- ject und Prädicat. Dies ist aber ein schwieriger Punkt, wobei ich wieder auf Herbart zurückkommen muß. Auf Becker ein- zugehen, sei mir hier erlassen; es ist zu unerfreulich zu se- hen, und mir unmöglich, mit Ruhe darzustellen, wie leichtfertig er die Thatsachen dem Moloch seines Systems opfert. Er

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/222>, abgerufen am 25.04.2024.