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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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objective Verhältniß. Wenn Jemand sagt: "Ich hätte es nicht ge-
glaubt: dieser Baum blüht
", und man versetzt: "ei, er blüht herr-
lich":
so liegt in dem objectiven Verhältnisse ein Urtheil außer
demjenigen, welches im Prädicat liegt. Der eine Satz schließt
zwei Urtheile in sich. Man bestätigt zuerst das ausgesprochene
Urtheil, indem man es wiederholt: er blüht und fügt dann noch
ein neues Urtheil hinzu: und sein Blühen ist herrlich.

§ 78. Subject und Prädicat im Satz und Urtheil.

Betrachten wir jetzt das wesentlichste Verhältniß des Satzes
näher, das Verhältniß von Subject und Prädicat. Das Urtheil
schien ja gerade auch nur die Einheit von Subject und Prädicat
zu sein. Hier bemerken wir aber sogleich den Unterschied, daß
das Urtheil nur aus Subject und Prädicat besteht und keine andern
Elemente in sich schließt; der Satz hingegen noch das Attribut
und das Object als neue Prädicate hinzufügt, so daß wir im
Satze mit einem Attribute das Subject mit zwei Prädicaten, und
im objectiven Satzverhältnisse das Prädicat, obwohl es Prädicat
des Subjects bleibt, dennoch zugleich sich selbst in ein Subject
verwandeln sehen, wie obiges Beispiel lehrt. Ein Satz mit At-
tribut und Object ist also ein Satz, der drei Urtheile in sich
schließt, also drei logische Prädicate und zwei logische Subjecte,
deren eines doppelt zählt; denn das ursprüngliche Prädicat ist
hier logisches Subject so gut, wie das grammatische Subject.
Wem diese wundervolle Autonomie der Sprache gegenüber der
Logik unklar scheint, wer besonders etwa daran Anstoß nimmt,
daß das grammatische und logische Prädicat, indem es solches
bleibt, doch logisches Subject eines neuen Urtheils wird: der
möge Folgendes überlegen. Jedes Urtheil kann durch einen
Satz ausgedrückt werden. Also ist es leicht, sich durch die
Probe davon zu überzeugen, wie viel Urtheile in einem Satze
liegen; denn wie viel Urtheile vorliegen, so viel Sätze müssen
sich bilden lassen. Jetzt nehmen wir ein Beispiel. Gesetzt,
man machte einem Vater, der mit Strenge gegen seine Kinder
verfährt, den Vorwurf der Lieblosigkeit. Dagegen bemerkt man:
"der liebevolle Vater erzieht (seine Kinder) mit Strenge." Hier
haben wir drei Urtheile. Das Attribut ist hier wichtiger, als das
eigentliche Prädicat, es ist das logische Prädicat eines Urtheils:
der Vater ist liebevoll. Eben so ist mit Strenge ein wichti-
geres Prädicat, als das eigentliche, und macht das Urtheil aus:
sein Erziehen ist mit Strenge. Nun können wir aber ohne Mühe

objective Verhältniß. Wenn Jemand sagt: „Ich hätte es nicht ge-
glaubt: dieser Baum blüht
“, und man versetzt: „ei, er blüht herr-
lich“:
so liegt in dem objectiven Verhältnisse ein Urtheil außer
demjenigen, welches im Prädicat liegt. Der eine Satz schließt
zwei Urtheile in sich. Man bestätigt zuerst das ausgesprochene
Urtheil, indem man es wiederholt: er blüht und fügt dann noch
ein neues Urtheil hinzu: und sein Blühen ist herrlich.

§ 78. Subject und Prädicat im Satz und Urtheil.

Betrachten wir jetzt das wesentlichste Verhältniß des Satzes
näher, das Verhältniß von Subject und Prädicat. Das Urtheil
schien ja gerade auch nur die Einheit von Subject und Prädicat
zu sein. Hier bemerken wir aber sogleich den Unterschied, daß
das Urtheil nur aus Subject und Prädicat besteht und keine andern
Elemente in sich schließt; der Satz hingegen noch das Attribut
und das Object als neue Prädicate hinzufügt, so daß wir im
Satze mit einem Attribute das Subject mit zwei Prädicaten, und
im objectiven Satzverhältnisse das Prädicat, obwohl es Prädicat
des Subjects bleibt, dennoch zugleich sich selbst in ein Subject
verwandeln sehen, wie obiges Beispiel lehrt. Ein Satz mit At-
tribut und Object ist also ein Satz, der drei Urtheile in sich
schließt, also drei logische Prädicate und zwei logische Subjecte,
deren eines doppelt zählt; denn das ursprüngliche Prädicat ist
hier logisches Subject so gut, wie das grammatische Subject.
Wem diese wundervolle Autonomie der Sprache gegenüber der
Logik unklar scheint, wer besonders etwa daran Anstoß nimmt,
daß das grammatische und logische Prädicat, indem es solches
bleibt, doch logisches Subject eines neuen Urtheils wird: der
möge Folgendes überlegen. Jedes Urtheil kann durch einen
Satz ausgedrückt werden. Also ist es leicht, sich durch die
Probe davon zu überzeugen, wie viel Urtheile in einem Satze
liegen; denn wie viel Urtheile vorliegen, so viel Sätze müssen
sich bilden lassen. Jetzt nehmen wir ein Beispiel. Gesetzt,
man machte einem Vater, der mit Strenge gegen seine Kinder
verfährt, den Vorwurf der Lieblosigkeit. Dagegen bemerkt man:
der liebevolle Vater erzieht (seine Kinder) mit Strenge.“ Hier
haben wir drei Urtheile. Das Attribut ist hier wichtiger, als das
eigentliche Prädicat, es ist das logische Prädicat eines Urtheils:
der Vater ist liebevoll. Eben so ist mit Strenge ein wichti-
geres Prädicat, als das eigentliche, und macht das Urtheil aus:
sein Erziehen ist mit Strenge. Nun können wir aber ohne Mühe

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[197/0235] objective Verhältniß. Wenn Jemand sagt: „Ich hätte es nicht ge- glaubt: dieser Baum blüht“, und man versetzt: „ei, er blüht herr- lich“: so liegt in dem objectiven Verhältnisse ein Urtheil außer demjenigen, welches im Prädicat liegt. Der eine Satz schließt zwei Urtheile in sich. Man bestätigt zuerst das ausgesprochene Urtheil, indem man es wiederholt: er blüht und fügt dann noch ein neues Urtheil hinzu: und sein Blühen ist herrlich. § 78. Subject und Prädicat im Satz und Urtheil. Betrachten wir jetzt das wesentlichste Verhältniß des Satzes näher, das Verhältniß von Subject und Prädicat. Das Urtheil schien ja gerade auch nur die Einheit von Subject und Prädicat zu sein. Hier bemerken wir aber sogleich den Unterschied, daß das Urtheil nur aus Subject und Prädicat besteht und keine andern Elemente in sich schließt; der Satz hingegen noch das Attribut und das Object als neue Prädicate hinzufügt, so daß wir im Satze mit einem Attribute das Subject mit zwei Prädicaten, und im objectiven Satzverhältnisse das Prädicat, obwohl es Prädicat des Subjects bleibt, dennoch zugleich sich selbst in ein Subject verwandeln sehen, wie obiges Beispiel lehrt. Ein Satz mit At- tribut und Object ist also ein Satz, der drei Urtheile in sich schließt, also drei logische Prädicate und zwei logische Subjecte, deren eines doppelt zählt; denn das ursprüngliche Prädicat ist hier logisches Subject so gut, wie das grammatische Subject. Wem diese wundervolle Autonomie der Sprache gegenüber der Logik unklar scheint, wer besonders etwa daran Anstoß nimmt, daß das grammatische und logische Prädicat, indem es solches bleibt, doch logisches Subject eines neuen Urtheils wird: der möge Folgendes überlegen. Jedes Urtheil kann durch einen Satz ausgedrückt werden. Also ist es leicht, sich durch die Probe davon zu überzeugen, wie viel Urtheile in einem Satze liegen; denn wie viel Urtheile vorliegen, so viel Sätze müssen sich bilden lassen. Jetzt nehmen wir ein Beispiel. Gesetzt, man machte einem Vater, der mit Strenge gegen seine Kinder verfährt, den Vorwurf der Lieblosigkeit. Dagegen bemerkt man: „der liebevolle Vater erzieht (seine Kinder) mit Strenge.“ Hier haben wir drei Urtheile. Das Attribut ist hier wichtiger, als das eigentliche Prädicat, es ist das logische Prädicat eines Urtheils: der Vater ist liebevoll. Eben so ist mit Strenge ein wichti- geres Prädicat, als das eigentliche, und macht das Urtheil aus: sein Erziehen ist mit Strenge. Nun können wir aber ohne Mühe

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/235>, abgerufen am 29.03.2024.