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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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und Weichens, des Verbindens und Scheidens u. s. w. bildet
darin durchgehends das Maß der zu Grunde liegenden Anschau-
ung. Alle Aeußerungen der Materie unterliegen diesem Kenn-
zeichen, da sie auf die Bewegung zurückgehen. Noch in den
Eindrücken der Sinne erkennen wir diese Aehnlichkeit. Und da
die Bewegung die erste That des nachbildenden und vorbilden-
den Denkens ist, so setzt sich diese Ansicht auch in den geisti-
gen Begriffen fort. -- Abstand der Begriffe und die Richtung
in der Wirkung wäre hiernach das Kennzeichen des Gegen-
satzes." Wir fassen wohl beides zusammen in dem einen Aus-
drucke: Grenzbeziehung der Begriffe, wobei man nicht an die
beiden ruhenden Grenzpunkte, sondern an das Durchschreiten
des Abstandes von einer Grenze zur andern zu denken hat.

Trendelenburg hat die allgemeine Bestimmung des Gegen-
satzes für schwer erklärt. Man wird ihm darin Recht geben
müssen, wenn man weiß, wie viel Mühe dieser Begriff auch al-
len andern Philosophen gemacht hat, wie es ihm selbst kaum
gelungen ist, seinen Grundgedanken festzuhalten, dessen Dar-
stellung vielmehr einer kleinen Verbesserung bedurfte, und wie
wir nun endlich durch ihn immer noch nicht im Stande sind,
den Gegensatz vom grellen Widerspiel und der schneidenden Dis-
harmonie zu unterscheiden.

§. 17. Der Gegensatz bei Becker.

Becker kennt keine Schwierigkeiten; ihm ist alles leicht,
und er hat auf jede mögliche Frage die Antwort bereit. Wir
kennen seine Bestimmung des Gegensatzes schon (Organism §. 7):
"Organisch different" (giebt es auch unorganisch Differen-
tes? nach Becker nirgends) "nennt man solche Thätigkeiten
und Stoffe, welche einander entgegengesetzt sind, aber ge-
rade durch den Gegensatz einander bedingen, und mit einander
ein gegenseitiges Verhältniß eingehen, vermöge dessen a nur da-
durch a ist, daß es einem b entgegengesetzt ist, und umgekehrt."
Diese Tautologie ist noch schöner und klarer, als die obige in
der Definition der organischen Verrichtung. Differenz wird hier
durch Gegensatz definirt. Es ist freilich auch hier ein Schein
gerettet, als wäre die Differenz nur eine Art des Gegensatzes;
und auch umgekehrt sorgt der Zusatz organisch dafür, daß der
Gegensatz nur eine Art, nämlich die organische Art der Diffe-
renz zu sein scheint. Wir haben hier dasselbe Durcheinander
und Schwanken von Allgemeinem und Besonderem, das wir schon

und Weichens, des Verbindens und Scheidens u. s. w. bildet
darin durchgehends das Maß der zu Grunde liegenden Anschau-
ung. Alle Aeußerungen der Materie unterliegen diesem Kenn-
zeichen, da sie auf die Bewegung zurückgehen. Noch in den
Eindrücken der Sinne erkennen wir diese Aehnlichkeit. Und da
die Bewegung die erste That des nachbildenden und vorbilden-
den Denkens ist, so setzt sich diese Ansicht auch in den geisti-
gen Begriffen fort. — Abstand der Begriffe und die Richtung
in der Wirkung wäre hiernach das Kennzeichen des Gegen-
satzes.“ Wir fassen wohl beides zusammen in dem einen Aus-
drucke: Grenzbeziehung der Begriffe, wobei man nicht an die
beiden ruhenden Grenzpunkte, sondern an das Durchschreiten
des Abstandes von einer Grenze zur andern zu denken hat.

Trendelenburg hat die allgemeine Bestimmung des Gegen-
satzes für schwer erklärt. Man wird ihm darin Recht geben
müssen, wenn man weiß, wie viel Mühe dieser Begriff auch al-
len andern Philosophen gemacht hat, wie es ihm selbst kaum
gelungen ist, seinen Grundgedanken festzuhalten, dessen Dar-
stellung vielmehr einer kleinen Verbesserung bedurfte, und wie
wir nun endlich durch ihn immer noch nicht im Stande sind,
den Gegensatz vom grellen Widerspiel und der schneidenden Dis-
harmonie zu unterscheiden.

§. 17. Der Gegensatz bei Becker.

Becker kennt keine Schwierigkeiten; ihm ist alles leicht,
und er hat auf jede mögliche Frage die Antwort bereit. Wir
kennen seine Bestimmung des Gegensatzes schon (Organism §. 7):
„Organisch different“ (giebt es auch unorganisch Differen-
tes? nach Becker nirgends) „nennt man solche Thätigkeiten
und Stoffe, welche einander entgegengesetzt sind, aber ge-
rade durch den Gegensatz einander bedingen, und mit einander
ein gegenseitiges Verhältniß eingehen, vermöge dessen a nur da-
durch a ist, daß es einem b entgegengesetzt ist, und umgekehrt.“
Diese Tautologie ist noch schöner und klarer, als die obige in
der Definition der organischen Verrichtung. Differenz wird hier
durch Gegensatz definirt. Es ist freilich auch hier ein Schein
gerettet, als wäre die Differenz nur eine Art des Gegensatzes;
und auch umgekehrt sorgt der Zusatz organisch dafür, daß der
Gegensatz nur eine Art, nämlich die organische Art der Diffe-
renz zu sein scheint. Wir haben hier dasselbe Durcheinander
und Schwanken von Allgemeinem und Besonderem, das wir schon

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[43/0081] und Weichens, des Verbindens und Scheidens u. s. w. bildet darin durchgehends das Maß der zu Grunde liegenden Anschau- ung. Alle Aeußerungen der Materie unterliegen diesem Kenn- zeichen, da sie auf die Bewegung zurückgehen. Noch in den Eindrücken der Sinne erkennen wir diese Aehnlichkeit. Und da die Bewegung die erste That des nachbildenden und vorbilden- den Denkens ist, so setzt sich diese Ansicht auch in den geisti- gen Begriffen fort. — Abstand der Begriffe und die Richtung in der Wirkung wäre hiernach das Kennzeichen des Gegen- satzes.“ Wir fassen wohl beides zusammen in dem einen Aus- drucke: Grenzbeziehung der Begriffe, wobei man nicht an die beiden ruhenden Grenzpunkte, sondern an das Durchschreiten des Abstandes von einer Grenze zur andern zu denken hat. Trendelenburg hat die allgemeine Bestimmung des Gegen- satzes für schwer erklärt. Man wird ihm darin Recht geben müssen, wenn man weiß, wie viel Mühe dieser Begriff auch al- len andern Philosophen gemacht hat, wie es ihm selbst kaum gelungen ist, seinen Grundgedanken festzuhalten, dessen Dar- stellung vielmehr einer kleinen Verbesserung bedurfte, und wie wir nun endlich durch ihn immer noch nicht im Stande sind, den Gegensatz vom grellen Widerspiel und der schneidenden Dis- harmonie zu unterscheiden. §. 17. Der Gegensatz bei Becker. Becker kennt keine Schwierigkeiten; ihm ist alles leicht, und er hat auf jede mögliche Frage die Antwort bereit. Wir kennen seine Bestimmung des Gegensatzes schon (Organism §. 7): „Organisch different“ (giebt es auch unorganisch Differen- tes? nach Becker nirgends) „nennt man solche Thätigkeiten und Stoffe, welche einander entgegengesetzt sind, aber ge- rade durch den Gegensatz einander bedingen, und mit einander ein gegenseitiges Verhältniß eingehen, vermöge dessen a nur da- durch a ist, daß es einem b entgegengesetzt ist, und umgekehrt.“ Diese Tautologie ist noch schöner und klarer, als die obige in der Definition der organischen Verrichtung. Differenz wird hier durch Gegensatz definirt. Es ist freilich auch hier ein Schein gerettet, als wäre die Differenz nur eine Art des Gegensatzes; und auch umgekehrt sorgt der Zusatz organisch dafür, daß der Gegensatz nur eine Art, nämlich die organische Art der Diffe- renz zu sein scheint. Wir haben hier dasselbe Durcheinander und Schwanken von Allgemeinem und Besonderem, das wir schon

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/81>, abgerufen am 23.04.2024.