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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Seins. Wenn nur das Gleiche, wie Becker sagt, das Gleiche
erkennt, so kann die Thätigkeit des Geistes die Thätigkeit der
Realität erkennen; aber das reale Sein verbirgt sich ihm so voll-
ständig, daß er entweder von dem Vorhandensein desselben nie er-
fährt, oder doch höchstens nur darauf stößt als auf ein ihm Frem-
des, als Nicht-Thätigkeit, Nicht-Geist, Nicht-Ich, ohne je mehr
davon zu erkennen. Wenn auch das Sein nur gehemmte Thä-
tigkeit ist, so ist es eben durch die Hemmung eine der Erkennt-
niß entzogene Thätigkeit. Alles aber zugestanden: wenn also
der Geist Thätigkeit und Sein erkennt, dann "werden die Dinge,
die sich der sinnlichen Anschauung als in sich identische
Dinge darstellen, in der geistigen Anschauung als zu einer
Einheit verbundene Gegensätze von Thätigkeit und Sein
aufgefaßt", wie uns schon oben als das Ergebniß der "tiefer
eingehenden Betrachtung" angezeigt war; und nicht um einen
Schritt sind wir jetzt weiter. "Derselbe Gegensatz, welcher im
Realen die Besonderheit der Dinge ausmacht, wird geistiger
Weise reproducirt in der Besonderheit der Begriffe, jedoch so,
daß die Besonderheit, die im Realen Individuelles ist, in den
Begriffen noch ein Allgemeines ist." -- Wie dies aber gesche-
hen könne, "fragt sich" ja erst. Hat also wohl Becker mehr
gethan, als die Frage in Form eines assertorischen Urtheils
wiederholt? Auf die Frage: wie geschieht es? wird geantwortet:
so, daß es geschieht, oder indem es geschieht. Das Tautolo-
gisiren geht nun fort: "Die Besonderheiten der Dinge werden
nämlich als besondere Verhältnisse des zu einer Einheit verbun-
denen Gegensatzes von Thätigkeit und Sein gedacht, nach denen
die allgemeinen Arten von Thätigkeitsbegriffen sich in Unter-
arten scheiden" -- wie wir kurz vorher gehört haben. -- "Wir
nennen diese besondern Verhältnisse des Gegensatzes die For-
men der Begriffe:
so sind z. B. Band, Bund, Bündniß, bändigen
unterschiedene Formen des Art-Begriffes binden. Jeder Begriff ist
nach seiner Form entweder Begriff einer Thätigkeit, z. B.
binden, oder Begriff eines Seins, z. B. Band: jedoch wird jede
Thätigkeit gedacht als Thätigkeit eines Seins, und jeder Begriff
des Seins entweder als ein thätiges Sein, z. B. Band, Trinker,
oder als Object der Thätigkeit, z. B. Bund, Trank. So ist in
jeden Thätigkeitsbegriff ein Sein, und in jeden Begriff eines
Seins die Thätigkeit aufgenommen, und jeder Begriff eine Ein-
heit von Thätigkeit und Sein; die Formen der Begriffe sind nur

Seins. Wenn nur das Gleiche, wie Becker sagt, das Gleiche
erkennt, so kann die Thätigkeit des Geistes die Thätigkeit der
Realität erkennen; aber das reale Sein verbirgt sich ihm so voll-
ständig, daß er entweder von dem Vorhandensein desselben nie er-
fährt, oder doch höchstens nur darauf stößt als auf ein ihm Frem-
des, als Nicht-Thätigkeit, Nicht-Geist, Nicht-Ich, ohne je mehr
davon zu erkennen. Wenn auch das Sein nur gehemmte Thä-
tigkeit ist, so ist es eben durch die Hemmung eine der Erkennt-
niß entzogene Thätigkeit. Alles aber zugestanden: wenn also
der Geist Thätigkeit und Sein erkennt, dann „werden die Dinge,
die sich der sinnlichen Anschauung als in sich identische
Dinge darstellen, in der geistigen Anschauung als zu einer
Einheit verbundene Gegensätze von Thätigkeit und Sein
aufgefaßt“, wie uns schon oben als das Ergebniß der „tiefer
eingehenden Betrachtung“ angezeigt war; und nicht um einen
Schritt sind wir jetzt weiter. „Derselbe Gegensatz, welcher im
Realen die Besonderheit der Dinge ausmacht, wird geistiger
Weise reproducirt in der Besonderheit der Begriffe, jedoch so,
daß die Besonderheit, die im Realen Individuelles ist, in den
Begriffen noch ein Allgemeines ist.“ — Wie dies aber gesche-
hen könne, „fragt sich“ ja erst. Hat also wohl Becker mehr
gethan, als die Frage in Form eines assertorischen Urtheils
wiederholt? Auf die Frage: wie geschieht es? wird geantwortet:
so, daß es geschieht, oder indem es geschieht. Das Tautolo-
gisiren geht nun fort: „Die Besonderheiten der Dinge werden
nämlich als besondere Verhältnisse des zu einer Einheit verbun-
denen Gegensatzes von Thätigkeit und Sein gedacht, nach denen
die allgemeinen Arten von Thätigkeitsbegriffen sich in Unter-
arten scheiden“ — wie wir kurz vorher gehört haben. — „Wir
nennen diese besondern Verhältnisse des Gegensatzes die For-
men der Begriffe:
so sind z. B. Band, Bund, Bündniß, bändigen
unterschiedene Formen des Art-Begriffes binden. Jeder Begriff ist
nach seiner Form entweder Begriff einer Thätigkeit, z. B.
binden, oder Begriff eines Seins, z. B. Band: jedoch wird jede
Thätigkeit gedacht als Thätigkeit eines Seins, und jeder Begriff
des Seins entweder als ein thätiges Sein, z. B. Band, Trinker,
oder als Object der Thätigkeit, z. B. Bund, Trank. So ist in
jeden Thätigkeitsbegriff ein Sein, und in jeden Begriff eines
Seins die Thätigkeit aufgenommen, und jeder Begriff eine Ein-
heit von Thätigkeit und Sein; die Formen der Begriffe sind nur

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[90/0128] Seins. Wenn nur das Gleiche, wie Becker sagt, das Gleiche erkennt, so kann die Thätigkeit des Geistes die Thätigkeit der Realität erkennen; aber das reale Sein verbirgt sich ihm so voll- ständig, daß er entweder von dem Vorhandensein desselben nie er- fährt, oder doch höchstens nur darauf stößt als auf ein ihm Frem- des, als Nicht-Thätigkeit, Nicht-Geist, Nicht-Ich, ohne je mehr davon zu erkennen. Wenn auch das Sein nur gehemmte Thä- tigkeit ist, so ist es eben durch die Hemmung eine der Erkennt- niß entzogene Thätigkeit. Alles aber zugestanden: wenn also der Geist Thätigkeit und Sein erkennt, dann „werden die Dinge, die sich der sinnlichen Anschauung als in sich identische Dinge darstellen, in der geistigen Anschauung als zu einer Einheit verbundene Gegensätze von Thätigkeit und Sein aufgefaßt“, wie uns schon oben als das Ergebniß der „tiefer eingehenden Betrachtung“ angezeigt war; und nicht um einen Schritt sind wir jetzt weiter. „Derselbe Gegensatz, welcher im Realen die Besonderheit der Dinge ausmacht, wird geistiger Weise reproducirt in der Besonderheit der Begriffe, jedoch so, daß die Besonderheit, die im Realen Individuelles ist, in den Begriffen noch ein Allgemeines ist.“ — Wie dies aber gesche- hen könne, „fragt sich“ ja erst. Hat also wohl Becker mehr gethan, als die Frage in Form eines assertorischen Urtheils wiederholt? Auf die Frage: wie geschieht es? wird geantwortet: so, daß es geschieht, oder indem es geschieht. Das Tautolo- gisiren geht nun fort: „Die Besonderheiten der Dinge werden nämlich als besondere Verhältnisse des zu einer Einheit verbun- denen Gegensatzes von Thätigkeit und Sein gedacht, nach denen die allgemeinen Arten von Thätigkeitsbegriffen sich in Unter- arten scheiden“ — wie wir kurz vorher gehört haben. — „Wir nennen diese besondern Verhältnisse des Gegensatzes die For- men der Begriffe: so sind z. B. Band, Bund, Bündniß, bändigen unterschiedene Formen des Art-Begriffes binden. Jeder Begriff ist nach seiner Form entweder Begriff einer Thätigkeit, z. B. binden, oder Begriff eines Seins, z. B. Band: jedoch wird jede Thätigkeit gedacht als Thätigkeit eines Seins, und jeder Begriff des Seins entweder als ein thätiges Sein, z. B. Band, Trinker, oder als Object der Thätigkeit, z. B. Bund, Trank. So ist in jeden Thätigkeitsbegriff ein Sein, und in jeden Begriff eines Seins die Thätigkeit aufgenommen, und jeder Begriff eine Ein- heit von Thätigkeit und Sein; die Formen der Begriffe sind nur

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/128>, abgerufen am 28.03.2024.