Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

nur durch noch dichteres Dunkel als besonderes Sein zu er-
kennen geben. Wenn erkennen so viel heißt, wie: die Dinge
sub specie quadam aeterni betrachten, so heißt das in Beckerisch
übersetzt, sie in die Form des Gegensatzes bringen. Diese Form
aber ist das Leere, das Hegelsche Nichts, d. h. nicht das Den-
ken des Denkens, sondern das Denken des Nichtdenkens, und
das Versetzen der Dinge in dieses Nirvana ist nach Becker ihre
Wahrheit. Beckers Wissenschaft ist der jüngste Tag, die Ent-
leibung der realen Welt, seine Erkenntniß ein Todtentanz. Die
realen Dinge werden in Gegensätzen aufgestellt, der Reigen be-
ginnt. Wer führt die Chöre an? Ei nun, Sense-Thätigkeit und
Gerippe-Sein. Wo kommen denn aber diese Gäste her? Die Thä-
tigkeit, erzählt uns Becker, war das Erste, und das Sein ist nur
die durch sich selbst gehemmte Thätigkeit. Brav! Zuerst ist
der Tod da mit der Sense; er beginnt seinen Tanz, indem er
seine Sense gegen sein eigenes Haupt schwingt und sich zum
Gerippe macht. Dies zu begreifen ist zwar schwer, nicht min-
der schwer als das biblische: "es werde Licht"; indessen das
thut nichts, man setze sich nur über diese erste Schwierigkeit
hinweg, und ist nur der erste Schwung zum Tanz genom-
men, so geht alles leicht vorwärts. Wo du hinsiehst, Thätigkeit
und Sein in Einheit -- Sense und Gerippe; und das wiederholt
sich unendliche Male. Die Thätigkeit aber ist's, die alles ver-
bindet; die Sense macht alles gleich. Nur geschwind noch eine
Frage: wie kommen wir denn zur Erkenntniß dieses realen
Todtentanzes? Ei, das Wesen des Geistes ist die Thätigkeit;
siehst du nicht? die Sense -- das ist Beckers Geist!

4. Verwechslung der Grammatik mit der Logik.

Becker betrachtet die Sprache unorganisch -- aber sie ist viel-
leicht an sich kein Organismus? er betrachtet sie logisch -- ihr
Wesen ist vielleicht Logik? er wird aber nichtssagend und spie-
lerisch -- so spielt er vielleicht doch wenigstens mit gramma-
tischen Kategorien? Nein! Beckers Grundanschauung ist so
falsch, daß er seinen Gegenstand, die Grammatik, gänzlich bei
Seite läßt und ihr ein der Sprache fremdartiges Wesen unter-
schiebt; statt der Grammatik bietet Becker bloß Logik; er muß
die Grammatik längnen, nur Logik kann für ihn da sein. Es
verhält sich zwar bei Becker in der That doch anders, sein Or-
ganism will keine Logik sein; er sollte es aber sein. Wir

nur durch noch dichteres Dunkel als besonderes Sein zu er-
kennen geben. Wenn erkennen so viel heißt, wie: die Dinge
sub specie quadam aeterni betrachten, so heißt das in Beckerisch
übersetzt, sie in die Form des Gegensatzes bringen. Diese Form
aber ist das Leere, das Hegelsche Nichts, d. h. nicht das Den-
ken des Denkens, sondern das Denken des Nichtdenkens, und
das Versetzen der Dinge in dieses Nirvāna ist nach Becker ihre
Wahrheit. Beckers Wissenschaft ist der jüngste Tag, die Ent-
leibung der realen Welt, seine Erkenntniß ein Todtentanz. Die
realen Dinge werden in Gegensätzen aufgestellt, der Reigen be-
ginnt. Wer führt die Chöre an? Ei nun, Sense-Thätigkeit und
Gerippe-Sein. Wo kommen denn aber diese Gäste her? Die Thä-
tigkeit, erzählt uns Becker, war das Erste, und das Sein ist nur
die durch sich selbst gehemmte Thätigkeit. Brav! Zuerst ist
der Tod da mit der Sense; er beginnt seinen Tanz, indem er
seine Sense gegen sein eigenes Haupt schwingt und sich zum
Gerippe macht. Dies zu begreifen ist zwar schwer, nicht min-
der schwer als das biblische: „es werde Licht“; indessen das
thut nichts, man setze sich nur über diese erste Schwierigkeit
hinweg, und ist nur der erste Schwung zum Tanz genom-
men, so geht alles leicht vorwärts. Wo du hinsiehst, Thätigkeit
und Sein in Einheit — Sense und Gerippe; und das wiederholt
sich unendliche Male. Die Thätigkeit aber ist’s, die alles ver-
bindet; die Sense macht alles gleich. Nur geschwind noch eine
Frage: wie kommen wir denn zur Erkenntniß dieses realen
Todtentanzes? Ei, das Wesen des Geistes ist die Thätigkeit;
siehst du nicht? die Sense — das ist Beckers Geist!

4. Verwechslung der Grammatik mit der Logik.

Becker betrachtet die Sprache unorganisch — aber sie ist viel-
leicht an sich kein Organismus? er betrachtet sie logisch — ihr
Wesen ist vielleicht Logik? er wird aber nichtssagend und spie-
lerisch — so spielt er vielleicht doch wenigstens mit gramma-
tischen Kategorien? Nein! Beckers Grundanschauung ist so
falsch, daß er seinen Gegenstand, die Grammatik, gänzlich bei
Seite läßt und ihr ein der Sprache fremdartiges Wesen unter-
schiebt; statt der Grammatik bietet Becker bloß Logik; er muß
die Grammatik längnen, nur Logik kann für ihn da sein. Es
verhält sich zwar bei Becker in der That doch anders, sein Or-
ganism will keine Logik sein; er sollte es aber sein. Wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <p><pb facs="#f0133" n="95"/>
nur durch noch dichteres Dunkel als <hi rendition="#g">besonderes</hi> Sein zu er-<lb/>
kennen geben. Wenn erkennen so viel heißt, wie: die Dinge<lb/><hi rendition="#i">sub specie quadam aeterni</hi> betrachten, so heißt das in Beckerisch<lb/>
übersetzt, sie in die Form des Gegensatzes bringen. Diese Form<lb/>
aber ist das Leere, das Hegelsche Nichts, d. h. nicht das Den-<lb/>
ken des Denkens, sondern das Denken des Nichtdenkens, und<lb/>
das Versetzen der Dinge in dieses Nirv&#x0101;na ist nach Becker ihre<lb/>
Wahrheit. Beckers Wissenschaft ist der jüngste Tag, die Ent-<lb/>
leibung der realen Welt, seine Erkenntniß ein Todtentanz. Die<lb/>
realen Dinge werden in Gegensätzen aufgestellt, der Reigen be-<lb/>
ginnt. Wer führt die Chöre an? Ei nun, Sense-Thätigkeit und<lb/>
Gerippe-Sein. Wo kommen denn aber diese Gäste her? Die Thä-<lb/>
tigkeit, erzählt uns Becker, war das Erste, und das Sein ist nur<lb/>
die durch sich selbst gehemmte Thätigkeit. Brav! Zuerst ist<lb/>
der Tod da mit der Sense; er beginnt seinen Tanz, indem er<lb/>
seine Sense gegen sein eigenes Haupt schwingt und sich zum<lb/>
Gerippe macht. Dies zu begreifen ist zwar schwer, nicht min-<lb/>
der schwer als das biblische: &#x201E;es werde Licht&#x201C;; indessen das<lb/>
thut nichts, man setze sich nur über diese erste Schwierigkeit<lb/>
hinweg, und ist nur der erste Schwung zum Tanz genom-<lb/>
men, so geht alles leicht vorwärts. Wo du hinsiehst, Thätigkeit<lb/>
und Sein in Einheit &#x2014; Sense und Gerippe; und das wiederholt<lb/>
sich unendliche Male. Die Thätigkeit aber ist&#x2019;s, die alles ver-<lb/>
bindet; die Sense macht alles gleich. Nur geschwind noch eine<lb/>
Frage: wie kommen wir denn zur Erkenntniß dieses realen<lb/>
Todtentanzes? Ei, das Wesen des Geistes ist die Thätigkeit;<lb/>
siehst du nicht? die Sense &#x2014; das ist Beckers Geist!</p>
              </div>
            </div>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4. <hi rendition="#g">Verwechslung der Grammatik mit der Logik</hi>.</head><lb/>
            <p>Becker betrachtet die Sprache unorganisch &#x2014; aber sie ist viel-<lb/>
leicht an sich kein Organismus? er betrachtet sie logisch &#x2014; ihr<lb/>
Wesen ist vielleicht Logik? er wird aber nichtssagend und spie-<lb/>
lerisch &#x2014; so spielt er vielleicht doch wenigstens mit gramma-<lb/>
tischen Kategorien? Nein! Beckers Grundanschauung ist so<lb/>
falsch, daß er seinen Gegenstand, die Grammatik, gänzlich bei<lb/>
Seite läßt und ihr ein der Sprache fremdartiges Wesen unter-<lb/>
schiebt; statt der Grammatik bietet Becker bloß Logik; er muß<lb/>
die Grammatik längnen, nur Logik kann für ihn da sein. Es<lb/>
verhält sich zwar bei Becker in der That doch anders, sein Or-<lb/>
ganism will keine Logik sein; er <hi rendition="#g">sollte</hi> es aber sein. Wir<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0133] nur durch noch dichteres Dunkel als besonderes Sein zu er- kennen geben. Wenn erkennen so viel heißt, wie: die Dinge sub specie quadam aeterni betrachten, so heißt das in Beckerisch übersetzt, sie in die Form des Gegensatzes bringen. Diese Form aber ist das Leere, das Hegelsche Nichts, d. h. nicht das Den- ken des Denkens, sondern das Denken des Nichtdenkens, und das Versetzen der Dinge in dieses Nirvāna ist nach Becker ihre Wahrheit. Beckers Wissenschaft ist der jüngste Tag, die Ent- leibung der realen Welt, seine Erkenntniß ein Todtentanz. Die realen Dinge werden in Gegensätzen aufgestellt, der Reigen be- ginnt. Wer führt die Chöre an? Ei nun, Sense-Thätigkeit und Gerippe-Sein. Wo kommen denn aber diese Gäste her? Die Thä- tigkeit, erzählt uns Becker, war das Erste, und das Sein ist nur die durch sich selbst gehemmte Thätigkeit. Brav! Zuerst ist der Tod da mit der Sense; er beginnt seinen Tanz, indem er seine Sense gegen sein eigenes Haupt schwingt und sich zum Gerippe macht. Dies zu begreifen ist zwar schwer, nicht min- der schwer als das biblische: „es werde Licht“; indessen das thut nichts, man setze sich nur über diese erste Schwierigkeit hinweg, und ist nur der erste Schwung zum Tanz genom- men, so geht alles leicht vorwärts. Wo du hinsiehst, Thätigkeit und Sein in Einheit — Sense und Gerippe; und das wiederholt sich unendliche Male. Die Thätigkeit aber ist’s, die alles ver- bindet; die Sense macht alles gleich. Nur geschwind noch eine Frage: wie kommen wir denn zur Erkenntniß dieses realen Todtentanzes? Ei, das Wesen des Geistes ist die Thätigkeit; siehst du nicht? die Sense — das ist Beckers Geist! 4. Verwechslung der Grammatik mit der Logik. Becker betrachtet die Sprache unorganisch — aber sie ist viel- leicht an sich kein Organismus? er betrachtet sie logisch — ihr Wesen ist vielleicht Logik? er wird aber nichtssagend und spie- lerisch — so spielt er vielleicht doch wenigstens mit gramma- tischen Kategorien? Nein! Beckers Grundanschauung ist so falsch, daß er seinen Gegenstand, die Grammatik, gänzlich bei Seite läßt und ihr ein der Sprache fremdartiges Wesen unter- schiebt; statt der Grammatik bietet Becker bloß Logik; er muß die Grammatik längnen, nur Logik kann für ihn da sein. Es verhält sich zwar bei Becker in der That doch anders, sein Or- ganism will keine Logik sein; er sollte es aber sein. Wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/133
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/133>, abgerufen am 25.04.2024.