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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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ist Gedanke. Das ist Beckers Ansicht, welche durch obiges
"innerlich" durchbrochen wird.

Wir werden später das Verhältniß von Innerem und Aeu-
ßerem zu betrachten haben. Beckers unbestimmte Auffassung
dieser Kategorien aber und die Verwirrung, die er mit seiner
Identität anrichtet, berechtigt uns schon hier eine Analogie vor-
zubringen, in der ebenfalls ein Inneres und Aeußeres, ein Geisti-
ges und Leibliches sich findet, also auch ihre Einheit. Ich zeige
eine Bildsäule Cäsars. Hier ist offenbar ein Geistiges im Leib-
lichen in die Erscheinung getreten, gerade wie bei der Sprache
der Gedanke im Laute erscheint. Darum sagt man, die Sprache
sei der lautgewordene, verlautlichte, in der Sprache leiblich ge-
wordene Begriff oder Gedanke. Wenn ich nun eben so sagte:
diese Bildsäule ist der Stein gewordene, versteinerte, im Steine
leiblich gewordene Cäsar, was würde man dazu meinen? oder
umgekehrt, wenn ich sagte, diese Bildsäule sei der Cäsar ge-
wordene Stein? -- Diese Analogie ist noch nicht streng; ich
kann sie strenger machen. Sie würde nämlich nur passen, wenn
Becker gesagt hätte, die Sprache sei die lautgewordene oder
in Laute verwandelte Welt, d. h. eine vergeistigte, wenig-
stens dem Geiste genäherte Welt, wie Humboldt bemerkt hat,
der allemal zwei Seiten an den Dingen erkennt, wo Becker nur
eine sieht. Da also Becker in der Sprache keinen Vergeisti-
gungsproceß sieht, sondern nur die Verleiblichung des Gedan-
kens, so müßten wir auch sagen, diese Bildsäule ist unser ver-
leiblichter Gedanke Cäsars, unsere Stein gewordene, versteinerte
Vorstellung von Cäsar; und unsere Vorstellung von Cäsar und
die Bildsäule sind -- soll ich "innerlich" hinzusetzen? -- nur
eins und dasselbe. So viel Wahrheit hierin liegt, so viel Wahr-
heit liegt in der Einheit von Denken und Sprechen. Die Be-
ckerianer mögen sich wohl hüten, mir dies zuzugestehen; sie
mögen sich wohl vorsehen! denn die Bildsäule ist nach Becker
unorganisch; folglich, wenn die Einheit des Geistigen und Leib-
lichen rücksichtlich der Sprache nicht diejenige ist, welche Eisen
und Magnetismus, Gase und Wärme verbindet, sondern dieje-
nige, welche den Gedanken mit dem Material eines Kunstwerks
vereinigt: so ist die Sprache nicht mehr organisch.

Wie verhält es sich denn nun aber mit dieser Einheit des
Geistigen und Leiblichen im Kunstwerke? Wir sehen erstlich,
wie schief sich Becker ausdrückt, wenn er von Einheit des

ist Gedanke. Das ist Beckers Ansicht, welche durch obiges
„innerlich“ durchbrochen wird.

Wir werden später das Verhältniß von Innerem und Aeu-
ßerem zu betrachten haben. Beckers unbestimmte Auffassung
dieser Kategorien aber und die Verwirrung, die er mit seiner
Identität anrichtet, berechtigt uns schon hier eine Analogie vor-
zubringen, in der ebenfalls ein Inneres und Aeußeres, ein Geisti-
ges und Leibliches sich findet, also auch ihre Einheit. Ich zeige
eine Bildsäule Cäsars. Hier ist offenbar ein Geistiges im Leib-
lichen in die Erscheinung getreten, gerade wie bei der Sprache
der Gedanke im Laute erscheint. Darum sagt man, die Sprache
sei der lautgewordene, verlautlichte, in der Sprache leiblich ge-
wordene Begriff oder Gedanke. Wenn ich nun eben so sagte:
diese Bildsäule ist der Stein gewordene, versteinerte, im Steine
leiblich gewordene Cäsar, was würde man dazu meinen? oder
umgekehrt, wenn ich sagte, diese Bildsäule sei der Cäsar ge-
wordene Stein? — Diese Analogie ist noch nicht streng; ich
kann sie strenger machen. Sie würde nämlich nur passen, wenn
Becker gesagt hätte, die Sprache sei die lautgewordene oder
in Laute verwandelte Welt, d. h. eine vergeistigte, wenig-
stens dem Geiste genäherte Welt, wie Humboldt bemerkt hat,
der allemal zwei Seiten an den Dingen erkennt, wo Becker nur
eine sieht. Da also Becker in der Sprache keinen Vergeisti-
gungsproceß sieht, sondern nur die Verleiblichung des Gedan-
kens, so müßten wir auch sagen, diese Bildsäule ist unser ver-
leiblichter Gedanke Cäsars, unsere Stein gewordene, versteinerte
Vorstellung von Cäsar; und unsere Vorstellung von Cäsar und
die Bildsäule sind — soll ich „innerlich“ hinzusetzen? — nur
eins und dasselbe. So viel Wahrheit hierin liegt, so viel Wahr-
heit liegt in der Einheit von Denken und Sprechen. Die Be-
ckerianer mögen sich wohl hüten, mir dies zuzugestehen; sie
mögen sich wohl vorsehen! denn die Bildsäule ist nach Becker
unorganisch; folglich, wenn die Einheit des Geistigen und Leib-
lichen rücksichtlich der Sprache nicht diejenige ist, welche Eisen
und Magnetismus, Gase und Wärme verbindet, sondern dieje-
nige, welche den Gedanken mit dem Material eines Kunstwerks
vereinigt: so ist die Sprache nicht mehr organisch.

Wie verhält es sich denn nun aber mit dieser Einheit des
Geistigen und Leiblichen im Kunstwerke? Wir sehen erstlich,
wie schief sich Becker ausdrückt, wenn er von Einheit des

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[162/0200] ist Gedanke. Das ist Beckers Ansicht, welche durch obiges „innerlich“ durchbrochen wird. Wir werden später das Verhältniß von Innerem und Aeu- ßerem zu betrachten haben. Beckers unbestimmte Auffassung dieser Kategorien aber und die Verwirrung, die er mit seiner Identität anrichtet, berechtigt uns schon hier eine Analogie vor- zubringen, in der ebenfalls ein Inneres und Aeußeres, ein Geisti- ges und Leibliches sich findet, also auch ihre Einheit. Ich zeige eine Bildsäule Cäsars. Hier ist offenbar ein Geistiges im Leib- lichen in die Erscheinung getreten, gerade wie bei der Sprache der Gedanke im Laute erscheint. Darum sagt man, die Sprache sei der lautgewordene, verlautlichte, in der Sprache leiblich ge- wordene Begriff oder Gedanke. Wenn ich nun eben so sagte: diese Bildsäule ist der Stein gewordene, versteinerte, im Steine leiblich gewordene Cäsar, was würde man dazu meinen? oder umgekehrt, wenn ich sagte, diese Bildsäule sei der Cäsar ge- wordene Stein? — Diese Analogie ist noch nicht streng; ich kann sie strenger machen. Sie würde nämlich nur passen, wenn Becker gesagt hätte, die Sprache sei die lautgewordene oder in Laute verwandelte Welt, d. h. eine vergeistigte, wenig- stens dem Geiste genäherte Welt, wie Humboldt bemerkt hat, der allemal zwei Seiten an den Dingen erkennt, wo Becker nur eine sieht. Da also Becker in der Sprache keinen Vergeisti- gungsproceß sieht, sondern nur die Verleiblichung des Gedan- kens, so müßten wir auch sagen, diese Bildsäule ist unser ver- leiblichter Gedanke Cäsars, unsere Stein gewordene, versteinerte Vorstellung von Cäsar; und unsere Vorstellung von Cäsar und die Bildsäule sind — soll ich „innerlich“ hinzusetzen? — nur eins und dasselbe. So viel Wahrheit hierin liegt, so viel Wahr- heit liegt in der Einheit von Denken und Sprechen. Die Be- ckerianer mögen sich wohl hüten, mir dies zuzugestehen; sie mögen sich wohl vorsehen! denn die Bildsäule ist nach Becker unorganisch; folglich, wenn die Einheit des Geistigen und Leib- lichen rücksichtlich der Sprache nicht diejenige ist, welche Eisen und Magnetismus, Gase und Wärme verbindet, sondern dieje- nige, welche den Gedanken mit dem Material eines Kunstwerks vereinigt: so ist die Sprache nicht mehr organisch. Wie verhält es sich denn nun aber mit dieser Einheit des Geistigen und Leiblichen im Kunstwerke? Wir sehen erstlich, wie schief sich Becker ausdrückt, wenn er von Einheit des

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/200>, abgerufen am 29.03.2024.