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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Sache kann dauernd sein. Auf diesen Act der Sache, den
der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver-
knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus. Kurz, was ein Ding
thut, das wird von seinem Begriffe geurtheilt."*)

Durch diese Worte Trendelenburgs scheine ich mir in eine
platonische ideale Welt erhoben. Wie Plato Ideen als Muster-
bilder der Dinge erkannte, so scheint mir Trendelenburg eine
intelligible Welt von Begriffen und Urtheilen, den Substanzen
und Thätigkeiten gegenüber, aufzustellen, welche als schöpfe-
rische Musterbilder die reale Welt schaffen, welche im Denken
sind, ohne daß der Mensch sie erst noch subjectiv zu denken
hat. Einem dauernden Acte der Realität steht ein Urtheil ge-
genüber, dem auch das Moment dieser Dauer nicht fehlt; wäh-
rend unser subjectives Urtheil ein momentaner Act einer Begriffs-
verbindung im menschlichen Denken ist. Jenes objective Urtheil
allein, das unabhängig ist von subjectiver Begriffsverbindung,
ist Gegenstand der metaphysischen Logik.

Aber die Sprache, sagen wir, aber der Satz? Trendelen-
burgs metaphysische Logik entfernt sich von diesen um so
mehr, je inniger Begriff und Urtheil an die Realität geschlossen
werden. Wenn Trendelenburgs Entwickelung der Stufen des Ur-
theils entsprechende Sprachformen vorfindet, so beweist dies
bloß, daß die Sprache fähig ist, solche Entwicklungen zu be-
gleiten,
oder daß die Sprache der Bildung des Urtheils immer
zur Seite stand -- mehr nicht. Daß die Entwicklung des Ur-
theils an sich auch schon die Entwicklung des Satzes sei, bleibt
erst noch zu erweisen. Wir wollen aber hier auf einige Ver-
schiedenheiten zwischen Urtheil und Satz aufmerksam machen.
Ist der blühende Baum nicht das sprachliche Abbild der Sub-
stanz Baum und seiner Thätigkeit blühen, in welcher jene Sub-
stanz lebendig wird? Drücken jene Worte nicht die Einheit
eines Begriffs mit einem primitiven Urtheile, also ein vollstän-
diges Urtheil aus? Um dies gewisser zu machen, dehnen wir
das Beispiel aus: Dieser blühende Baum muß Früchte tragen,
d. h. dieser Baum blüht und folglich muß er Früchte tragen.
Auch hat uns ja Becker schon zugestanden, daß das attributive
Verhältniß den Werth eines Urtheils haben kann. Eben so das

*) Die Vergleichung Trendelenburgs mit Becker überlassen wir dem Leser,
in so weit sie nämlich bei so großer Verschiedenheit noch möglich ist.

Sache kann dauernd sein. Auf diesen Act der Sache, den
der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver-
knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus. Kurz, was ein Ding
thut, das wird von seinem Begriffe geurtheilt.“*)

Durch diese Worte Trendelenburgs scheine ich mir in eine
platonische ideale Welt erhoben. Wie Plato Ideen als Muster-
bilder der Dinge erkannte, so scheint mir Trendelenburg eine
intelligible Welt von Begriffen und Urtheilen, den Substanzen
und Thätigkeiten gegenüber, aufzustellen, welche als schöpfe-
rische Musterbilder die reale Welt schaffen, welche im Denken
sind, ohne daß der Mensch sie erst noch subjectiv zu denken
hat. Einem dauernden Acte der Realität steht ein Urtheil ge-
genüber, dem auch das Moment dieser Dauer nicht fehlt; wäh-
rend unser subjectives Urtheil ein momentaner Act einer Begriffs-
verbindung im menschlichen Denken ist. Jenes objective Urtheil
allein, das unabhängig ist von subjectiver Begriffsverbindung,
ist Gegenstand der metaphysischen Logik.

Aber die Sprache, sagen wir, aber der Satz? Trendelen-
burgs metaphysische Logik entfernt sich von diesen um so
mehr, je inniger Begriff und Urtheil an die Realität geschlossen
werden. Wenn Trendelenburgs Entwickelung der Stufen des Ur-
theils entsprechende Sprachformen vorfindet, so beweist dies
bloß, daß die Sprache fähig ist, solche Entwicklungen zu be-
gleiten,
oder daß die Sprache der Bildung des Urtheils immer
zur Seite stand — mehr nicht. Daß die Entwicklung des Ur-
theils an sich auch schon die Entwicklung des Satzes sei, bleibt
erst noch zu erweisen. Wir wollen aber hier auf einige Ver-
schiedenheiten zwischen Urtheil und Satz aufmerksam machen.
Ist der blühende Baum nicht das sprachliche Abbild der Sub-
stanz Baum und seiner Thätigkeit blühen, in welcher jene Sub-
stanz lebendig wird? Drücken jene Worte nicht die Einheit
eines Begriffs mit einem primitiven Urtheile, also ein vollstän-
diges Urtheil aus? Um dies gewisser zu machen, dehnen wir
das Beispiel aus: Dieser blühende Baum muß Früchte tragen,
d. h. dieser Baum blüht und folglich muß er Früchte tragen.
Auch hat uns ja Becker schon zugestanden, daß das attributive
Verhältniß den Werth eines Urtheils haben kann. Eben so das

*) Die Vergleichung Trendelenburgs mit Becker überlassen wir dem Leser,
in so weit sie nämlich bei so großer Verschiedenheit noch möglich ist.
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[196/0234] Sache kann dauernd sein. Auf diesen Act der Sache, den der Geist erfaßt, kommt es zunächst an; die subjective Ver- knüpfung der Begriffe ergiebt sich daraus. Kurz, was ein Ding thut, das wird von seinem Begriffe geurtheilt.“ *) Durch diese Worte Trendelenburgs scheine ich mir in eine platonische ideale Welt erhoben. Wie Plato Ideen als Muster- bilder der Dinge erkannte, so scheint mir Trendelenburg eine intelligible Welt von Begriffen und Urtheilen, den Substanzen und Thätigkeiten gegenüber, aufzustellen, welche als schöpfe- rische Musterbilder die reale Welt schaffen, welche im Denken sind, ohne daß der Mensch sie erst noch subjectiv zu denken hat. Einem dauernden Acte der Realität steht ein Urtheil ge- genüber, dem auch das Moment dieser Dauer nicht fehlt; wäh- rend unser subjectives Urtheil ein momentaner Act einer Begriffs- verbindung im menschlichen Denken ist. Jenes objective Urtheil allein, das unabhängig ist von subjectiver Begriffsverbindung, ist Gegenstand der metaphysischen Logik. Aber die Sprache, sagen wir, aber der Satz? Trendelen- burgs metaphysische Logik entfernt sich von diesen um so mehr, je inniger Begriff und Urtheil an die Realität geschlossen werden. Wenn Trendelenburgs Entwickelung der Stufen des Ur- theils entsprechende Sprachformen vorfindet, so beweist dies bloß, daß die Sprache fähig ist, solche Entwicklungen zu be- gleiten, oder daß die Sprache der Bildung des Urtheils immer zur Seite stand — mehr nicht. Daß die Entwicklung des Ur- theils an sich auch schon die Entwicklung des Satzes sei, bleibt erst noch zu erweisen. Wir wollen aber hier auf einige Ver- schiedenheiten zwischen Urtheil und Satz aufmerksam machen. Ist der blühende Baum nicht das sprachliche Abbild der Sub- stanz Baum und seiner Thätigkeit blühen, in welcher jene Sub- stanz lebendig wird? Drücken jene Worte nicht die Einheit eines Begriffs mit einem primitiven Urtheile, also ein vollstän- diges Urtheil aus? Um dies gewisser zu machen, dehnen wir das Beispiel aus: Dieser blühende Baum muß Früchte tragen, d. h. dieser Baum blüht und folglich muß er Früchte tragen. Auch hat uns ja Becker schon zugestanden, daß das attributive Verhältniß den Werth eines Urtheils haben kann. Eben so das *) Die Vergleichung Trendelenburgs mit Becker überlassen wir dem Leser, in so weit sie nämlich bei so großer Verschiedenheit noch möglich ist.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/234>, abgerufen am 25.04.2024.