Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

sen liegen kann, so liegt dies in sind. Denn das sind des
Satzes: einige Wesen sind Menschen und des Satzes es sind
Menschen
sind ja völlig verschieden, hier betont, dort unbetont;
dort Copula, hier das Sein ausdrückend. Es sind Menschen
bedeutet also: es sind Menschen wesend, oder Menschen sind
wesend.

Wir bemerken nun noch mancherlei. Erstlich machen wir
auch bei diesen Sätzen darauf aufmerksam, daß sie nicht mehr
absolut, nicht weniger hypothetisch sind, als alle andern Ur-
theile. Wenn einige Wesen, welche das Prädicat Menschen er-
warten, sind, so kommt ihnen das Prädicat zu; und ebenso
wird im andern Satze Menschen nur hypothetisch. Freilich lau-
tet das hypothetische Verhältniß der Existentialurtheile etwas
wunderlich: wenn das Subject ist, so ist es, oder: so ist es
seiend;
welche Tautologie nur ausdrückt, daß die Logik dies
nicht zu entscheiden hat.

Zweitens muß man den Satz: es blitzt gerade eben so gut wie
den Satz: es sind Menschen doppelt fassen, indem er bald ein Qua-
litäts-, bald ein Existential-Urtheil enthalten kann. Jemand erwacht
des Nachts; er sieht eine schnell verschwindende Erhellung und
sagt sich: es blitzt. Hier ist es unbestimmtes Subject: das, was
du sahst, ist Blitz
; gerade wie man dem Kurzsichtigen sagt:
es sind Menschen. In beiden Fällen kann man sich irren; die
Hellung war eine vorübergetragene Laterne, und im andern Bei-
spiele waren es vielleicht Bäume und keine Menschen: dies be-
weist, daß es sich bloß um ein Qualitätsurtheil handelt. Die
gesehene Helligkeit, der gesehene dunkele Fleck bleibt; es wird
eine Erklärung gesucht, was das Gesehene sei, und hierbei kann
man sich irren. Aber auch die Existenz des Gesehenen kann
bezweifelt werden. Die Helligkeit und der dunkle Fleck kön-
nen durch rein physiologische Eindrücke auf das Auge her-
vorgebracht worden sein. Durch einen Druck auf den Sehnerv,
durch den Blutandrang gegen das Auge entstand ein rein inne-
res Bild, Helligkeit oder Dunkel; dann wird natürlich das Ur-
theil: es blitzt, es sind Menschen falsch. Folglich sind auch
diese Urtheile hypothetisch; ihr Subject es ist hypothetisch.

Dieselbe Satzform, das absolute Prädicat, kann aber auch
ein Existentialurtheil darstellen. Man kann einem Bewohner der
Aequatorial-Gegend eine Vorstellung vom Frieren geben. Er
wird die Existenz desselben läugnen, und man wird ihm ver-

sen liegen kann, so liegt dies in sind. Denn das sind des
Satzes: einige Wesen sind Menschen und des Satzes es sind
Menschen
sind ja völlig verschieden, hier betont, dort unbetont;
dort Copula, hier das Sein ausdrückend. Es sind Menschen
bedeutet also: es sind Menschen wesend, oder Menschen sind
wesend.

Wir bemerken nun noch mancherlei. Erstlich machen wir
auch bei diesen Sätzen darauf aufmerksam, daß sie nicht mehr
absolut, nicht weniger hypothetisch sind, als alle andern Ur-
theile. Wenn einige Wesen, welche das Prädicat Menschen er-
warten, sind, so kommt ihnen das Prädicat zu; und ebenso
wird im andern Satze Menschen nur hypothetisch. Freilich lau-
tet das hypothetische Verhältniß der Existentialurtheile etwas
wunderlich: wenn das Subject ist, so ist es, oder: so ist es
seiend;
welche Tautologie nur ausdrückt, daß die Logik dies
nicht zu entscheiden hat.

Zweitens muß man den Satz: es blitzt gerade eben so gut wie
den Satz: es sind Menschen doppelt fassen, indem er bald ein Qua-
litäts-, bald ein Existential-Urtheil enthalten kann. Jemand erwacht
des Nachts; er sieht eine schnell verschwindende Erhellung und
sagt sich: es blitzt. Hier ist es unbestimmtes Subject: das, was
du sahst, ist Blitz
; gerade wie man dem Kurzsichtigen sagt:
es sind Menschen. In beiden Fällen kann man sich irren; die
Hellung war eine vorübergetragene Laterne, und im andern Bei-
spiele waren es vielleicht Bäume und keine Menschen: dies be-
weist, daß es sich bloß um ein Qualitätsurtheil handelt. Die
gesehene Helligkeit, der gesehene dunkele Fleck bleibt; es wird
eine Erklärung gesucht, was das Gesehene sei, und hierbei kann
man sich irren. Aber auch die Existenz des Gesehenen kann
bezweifelt werden. Die Helligkeit und der dunkle Fleck kön-
nen durch rein physiologische Eindrücke auf das Auge her-
vorgebracht worden sein. Durch einen Druck auf den Sehnerv,
durch den Blutandrang gegen das Auge entstand ein rein inne-
res Bild, Helligkeit oder Dunkel; dann wird natürlich das Ur-
theil: es blitzt, es sind Menschen falsch. Folglich sind auch
diese Urtheile hypothetisch; ihr Subject es ist hypothetisch.

Dieselbe Satzform, das absolute Prädicat, kann aber auch
ein Existentialurtheil darstellen. Man kann einem Bewohner der
Aequatorial-Gegend eine Vorstellung vom Frieren geben. Er
wird die Existenz desselben läugnen, und man wird ihm ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0248" n="210"/><hi rendition="#i">sen</hi> liegen kann, so liegt dies in <hi rendition="#i">sind</hi>. Denn das <hi rendition="#i">sind</hi> des<lb/>
Satzes: <hi rendition="#i">einige Wesen sind Menschen</hi> und des Satzes <hi rendition="#i">es <hi rendition="#g">sind</hi><lb/>
Menschen</hi> sind ja völlig verschieden, hier betont, dort unbetont;<lb/>
dort Copula, hier das Sein ausdrückend. <hi rendition="#i">Es <hi rendition="#g">sind</hi> Menschen</hi><lb/>
bedeutet also: <hi rendition="#i">es sind Menschen wesend</hi>, oder <hi rendition="#i">Menschen</hi> sind<lb/><hi rendition="#i">wesend</hi>.</p><lb/>
              <p>Wir bemerken nun noch mancherlei. Erstlich machen wir<lb/>
auch bei diesen Sätzen darauf aufmerksam, daß sie nicht mehr<lb/>
absolut, nicht weniger hypothetisch sind, als alle andern Ur-<lb/>
theile. Wenn <hi rendition="#i">einige Wesen</hi>, welche das Prädicat <hi rendition="#i">Menschen</hi> er-<lb/>
warten, <hi rendition="#i"><hi rendition="#g">sind</hi></hi>, so kommt ihnen das Prädicat zu; und ebenso<lb/>
wird im andern Satze <hi rendition="#i">Menschen</hi> nur hypothetisch. Freilich lau-<lb/>
tet das hypothetische Verhältniß der Existentialurtheile etwas<lb/>
wunderlich: <hi rendition="#i">wenn das Subject <hi rendition="#g">ist,</hi> so <hi rendition="#g">ist</hi> es</hi>, oder: <hi rendition="#i">so ist es<lb/>
seiend;</hi> welche Tautologie nur ausdrückt, daß die Logik dies<lb/>
nicht zu entscheiden hat.</p><lb/>
              <p>Zweitens muß man den Satz: <hi rendition="#i">es blitzt</hi> gerade eben so gut wie<lb/>
den Satz: <hi rendition="#i">es sind Menschen</hi> doppelt fassen, indem er bald ein Qua-<lb/>
litäts-, bald ein Existential-Urtheil enthalten kann. Jemand erwacht<lb/>
des Nachts; er sieht eine schnell verschwindende Erhellung und<lb/>
sagt sich: <hi rendition="#i">es blitzt</hi>. Hier ist <hi rendition="#i">es</hi> unbestimmtes Subject: <hi rendition="#i">das, was<lb/>
du sahst, ist <hi rendition="#g">Blitz</hi></hi>; gerade wie man dem Kurzsichtigen sagt:<lb/><hi rendition="#i">es sind <hi rendition="#g">Menschen</hi></hi>. In beiden Fällen kann man sich irren; die<lb/>
Hellung war eine vorübergetragene Laterne, und im andern Bei-<lb/>
spiele waren es vielleicht Bäume und keine Menschen: dies be-<lb/>
weist, daß es sich bloß um ein Qualitätsurtheil handelt. Die<lb/>
gesehene Helligkeit, der gesehene dunkele Fleck bleibt; es wird<lb/>
eine Erklärung gesucht, was das Gesehene sei, und hierbei kann<lb/>
man sich irren. Aber auch die <hi rendition="#g">Existenz</hi> des Gesehenen kann<lb/>
bezweifelt werden. Die Helligkeit und der dunkle Fleck kön-<lb/>
nen durch rein physiologische Eindrücke auf das Auge her-<lb/>
vorgebracht worden sein. Durch einen Druck auf den Sehnerv,<lb/>
durch den Blutandrang gegen das Auge entstand ein rein inne-<lb/>
res Bild, Helligkeit oder Dunkel; dann wird natürlich das Ur-<lb/>
theil: <hi rendition="#i">es blitzt</hi>, <hi rendition="#i">es sind Menschen</hi> falsch. Folglich sind auch<lb/>
diese Urtheile hypothetisch; ihr Subject <hi rendition="#i">es</hi> ist hypothetisch.</p><lb/>
              <p>Dieselbe Satzform, das absolute Prädicat, <hi rendition="#g">kann</hi> aber auch<lb/>
ein Existentialurtheil darstellen. Man kann einem Bewohner der<lb/>
Aequatorial-Gegend eine Vorstellung vom Frieren geben. Er<lb/>
wird die Existenz <choice><sic>desselb&#xFFFC;n</sic><corr>desselben</corr></choice> läugnen, und man wird ihm ver-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0248] sen liegen kann, so liegt dies in sind. Denn das sind des Satzes: einige Wesen sind Menschen und des Satzes es sind Menschen sind ja völlig verschieden, hier betont, dort unbetont; dort Copula, hier das Sein ausdrückend. Es sind Menschen bedeutet also: es sind Menschen wesend, oder Menschen sind wesend. Wir bemerken nun noch mancherlei. Erstlich machen wir auch bei diesen Sätzen darauf aufmerksam, daß sie nicht mehr absolut, nicht weniger hypothetisch sind, als alle andern Ur- theile. Wenn einige Wesen, welche das Prädicat Menschen er- warten, sind, so kommt ihnen das Prädicat zu; und ebenso wird im andern Satze Menschen nur hypothetisch. Freilich lau- tet das hypothetische Verhältniß der Existentialurtheile etwas wunderlich: wenn das Subject ist, so ist es, oder: so ist es seiend; welche Tautologie nur ausdrückt, daß die Logik dies nicht zu entscheiden hat. Zweitens muß man den Satz: es blitzt gerade eben so gut wie den Satz: es sind Menschen doppelt fassen, indem er bald ein Qua- litäts-, bald ein Existential-Urtheil enthalten kann. Jemand erwacht des Nachts; er sieht eine schnell verschwindende Erhellung und sagt sich: es blitzt. Hier ist es unbestimmtes Subject: das, was du sahst, ist Blitz; gerade wie man dem Kurzsichtigen sagt: es sind Menschen. In beiden Fällen kann man sich irren; die Hellung war eine vorübergetragene Laterne, und im andern Bei- spiele waren es vielleicht Bäume und keine Menschen: dies be- weist, daß es sich bloß um ein Qualitätsurtheil handelt. Die gesehene Helligkeit, der gesehene dunkele Fleck bleibt; es wird eine Erklärung gesucht, was das Gesehene sei, und hierbei kann man sich irren. Aber auch die Existenz des Gesehenen kann bezweifelt werden. Die Helligkeit und der dunkle Fleck kön- nen durch rein physiologische Eindrücke auf das Auge her- vorgebracht worden sein. Durch einen Druck auf den Sehnerv, durch den Blutandrang gegen das Auge entstand ein rein inne- res Bild, Helligkeit oder Dunkel; dann wird natürlich das Ur- theil: es blitzt, es sind Menschen falsch. Folglich sind auch diese Urtheile hypothetisch; ihr Subject es ist hypothetisch. Dieselbe Satzform, das absolute Prädicat, kann aber auch ein Existentialurtheil darstellen. Man kann einem Bewohner der Aequatorial-Gegend eine Vorstellung vom Frieren geben. Er wird die Existenz desselben läugnen, und man wird ihm ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/248
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/248>, abgerufen am 24.04.2024.