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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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der ehemals vom Worte bedeuteten Vorstellung einnimmt, und
die Vorstellung dadurch eine ganz ähnliche Rolle spielt, wie die
ehemalige innere Sprachform. Ein Beispiel mag uns den Ur-
sprung dieses Verhältnisses und den Unterschied zwischen Vor-
stellung und Begriff, psychologischem und logischem Urtheil klar
machen. Wenn man im gemeinen Leben sagt: das Wasser
macht naß,
so denkt man hierbei wenig mehr als Laute; denn
bei Wasser bildet man nicht die Anschauung des Wassers; und
eben so wenig bildet man bei naß eine bestimmte Anschauung;
die Seele gleitet also bei jenen Worten nur ganz leise über jene
Anschauungen hin, bezieht sich bloß auf sie. Will man aber
bei jenem Satze sich etwas klar denken, so wird man sich wahr-
scheinlich die Anschauung eines von Wasser benetzten Gegen-
standes vergegenwärtigen, auch wohl noch die Thätigkeit des
Benetzens selbst im Hintergrunde, und dies alles als ein einheit-
lich angeschautes Bild in der Seele haben. Diese Anschauung
ist auch wirklich die Bedeutung jenes Satzes, welcher dieselbe
in Form der Vorstellung ausdrückt. Diese Form der Vorstel-
lung unterscheidet sich also von der der Anschauung erstlich
durch die Theilung der Elemente, welche die Anschauung als
zusammenhängendes Bild besitzt, und zweitens durch die Blässe,
Abstractheit, Allgemeinheit dieser Elemente, wie sie in den Wör-
tern naß, machen, Wasser, ausgedrückt liegen. Obgleich wir
nun hier auf der Stufe stehen, wo die Vorstellung mit der in-
nern Sprachform verschmolzen, oder letztere verschwunden ist:
so glaube ich doch, daß gerade in unserm Beispiele der Satz
an sich nach seiner innern Sprachform noch etwas anderes be-
deutet, als das psychologische Urtheil der Vorstellung. Denn
dieses meint gewiß bloß, daß etwas durch Wasser, es sei ab-
sichtlich oder zufällig darauf gegossen, naß werde, während
die innere Sprachform, der Satz, das Wasser als lebendiges ener-
gisches Subject ansieht, welches aus eigner Kraft "naß macht".
Wenn aber der Chemiker von Wasser spricht, er, der den
Begriff des Wassers gebildet hat: so denkt er bei diesem
Worte etwas ganz anderes, als die gemeine Vorstellung und
Anschauung; und sein Begriff naß hat einen ganz andern Werth.
Bei ihm ist der Satz: Wasser macht naß ein Urtheil, welches
zu einem ganzen System von Urtheilen über das Wasser ge-
hört: dieses System von Urtheilen ist sein explicirter Begriff des
Wassers. Er denkt also bei jenem Satze das Urtheil, daß die

der ehemals vom Worte bedeuteten Vorstellung einnimmt, und
die Vorstellung dadurch eine ganz ähnliche Rolle spielt, wie die
ehemalige innere Sprachform. Ein Beispiel mag uns den Ur-
sprung dieses Verhältnisses und den Unterschied zwischen Vor-
stellung und Begriff, psychologischem und logischem Urtheil klar
machen. Wenn man im gemeinen Leben sagt: das Wasser
macht naß,
so denkt man hierbei wenig mehr als Laute; denn
bei Wasser bildet man nicht die Anschauung des Wassers; und
eben so wenig bildet man bei naß eine bestimmte Anschauung;
die Seele gleitet also bei jenen Worten nur ganz leise über jene
Anschauungen hin, bezieht sich bloß auf sie. Will man aber
bei jenem Satze sich etwas klar denken, so wird man sich wahr-
scheinlich die Anschauung eines von Wasser benetzten Gegen-
standes vergegenwärtigen, auch wohl noch die Thätigkeit des
Benetzens selbst im Hintergrunde, und dies alles als ein einheit-
lich angeschautes Bild in der Seele haben. Diese Anschauung
ist auch wirklich die Bedeutung jenes Satzes, welcher dieselbe
in Form der Vorstellung ausdrückt. Diese Form der Vorstel-
lung unterscheidet sich also von der der Anschauung erstlich
durch die Theilung der Elemente, welche die Anschauung als
zusammenhängendes Bild besitzt, und zweitens durch die Blässe,
Abstractheit, Allgemeinheit dieser Elemente, wie sie in den Wör-
tern naß, machen, Wasser, ausgedrückt liegen. Obgleich wir
nun hier auf der Stufe stehen, wo die Vorstellung mit der in-
nern Sprachform verschmolzen, oder letztere verschwunden ist:
so glaube ich doch, daß gerade in unserm Beispiele der Satz
an sich nach seiner innern Sprachform noch etwas anderes be-
deutet, als das psychologische Urtheil der Vorstellung. Denn
dieses meint gewiß bloß, daß etwas durch Wasser, es sei ab-
sichtlich oder zufällig darauf gegossen, naß werde, während
die innere Sprachform, der Satz, das Wasser als lebendiges ener-
gisches Subject ansieht, welches aus eigner Kraft „naß macht“.
Wenn aber der Chemiker von Wasser spricht, er, der den
Begriff des Wassers gebildet hat: so denkt er bei diesem
Worte etwas ganz anderes, als die gemeine Vorstellung und
Anschauung; und sein Begriff naß hat einen ganz andern Werth.
Bei ihm ist der Satz: Wasser macht naß ein Urtheil, welches
zu einem ganzen System von Urtheilen über das Wasser ge-
hört: dieses System von Urtheilen ist sein explicirter Begriff des
Wassers. Er denkt also bei jenem Satze das Urtheil, daß die

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[338/0376] der ehemals vom Worte bedeuteten Vorstellung einnimmt, und die Vorstellung dadurch eine ganz ähnliche Rolle spielt, wie die ehemalige innere Sprachform. Ein Beispiel mag uns den Ur- sprung dieses Verhältnisses und den Unterschied zwischen Vor- stellung und Begriff, psychologischem und logischem Urtheil klar machen. Wenn man im gemeinen Leben sagt: das Wasser macht naß, so denkt man hierbei wenig mehr als Laute; denn bei Wasser bildet man nicht die Anschauung des Wassers; und eben so wenig bildet man bei naß eine bestimmte Anschauung; die Seele gleitet also bei jenen Worten nur ganz leise über jene Anschauungen hin, bezieht sich bloß auf sie. Will man aber bei jenem Satze sich etwas klar denken, so wird man sich wahr- scheinlich die Anschauung eines von Wasser benetzten Gegen- standes vergegenwärtigen, auch wohl noch die Thätigkeit des Benetzens selbst im Hintergrunde, und dies alles als ein einheit- lich angeschautes Bild in der Seele haben. Diese Anschauung ist auch wirklich die Bedeutung jenes Satzes, welcher dieselbe in Form der Vorstellung ausdrückt. Diese Form der Vorstel- lung unterscheidet sich also von der der Anschauung erstlich durch die Theilung der Elemente, welche die Anschauung als zusammenhängendes Bild besitzt, und zweitens durch die Blässe, Abstractheit, Allgemeinheit dieser Elemente, wie sie in den Wör- tern naß, machen, Wasser, ausgedrückt liegen. Obgleich wir nun hier auf der Stufe stehen, wo die Vorstellung mit der in- nern Sprachform verschmolzen, oder letztere verschwunden ist: so glaube ich doch, daß gerade in unserm Beispiele der Satz an sich nach seiner innern Sprachform noch etwas anderes be- deutet, als das psychologische Urtheil der Vorstellung. Denn dieses meint gewiß bloß, daß etwas durch Wasser, es sei ab- sichtlich oder zufällig darauf gegossen, naß werde, während die innere Sprachform, der Satz, das Wasser als lebendiges ener- gisches Subject ansieht, welches aus eigner Kraft „naß macht“. Wenn aber der Chemiker von Wasser spricht, er, der den Begriff des Wassers gebildet hat: so denkt er bei diesem Worte etwas ganz anderes, als die gemeine Vorstellung und Anschauung; und sein Begriff naß hat einen ganz andern Werth. Bei ihm ist der Satz: Wasser macht naß ein Urtheil, welches zu einem ganzen System von Urtheilen über das Wasser ge- hört: dieses System von Urtheilen ist sein explicirter Begriff des Wassers. Er denkt also bei jenem Satze das Urtheil, daß die

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 338. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/376>, abgerufen am 28.03.2024.