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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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vereinigt. Wir haben also hier Natur und Seele, zwar eine
Verbindung beider, aber keine Identität. Nun ist es höchst
wichtig zu erkennen, wie eng diese Verbindung ist. Es ist dies
darum so wichtig, weil wir kein Mittel haben, das Innere zu
erkennen, wenn nicht vermittelst des Aeußern. Die innere Sprach-
form ist uns nur so weit offenbar, als sie es durch die Lautform
wird. Es ist also eine Grundfrage für die Grammatik: Ist die
Einheit von Laut- und innerer Form so innig, daß jeder Punkt
im Innern sich in einem entsprechenden Punkte des Aeußern
offenbart oder ankündigt?

Wenn aus dem Vorangehenden die Beantwortung dieser
Frage nicht mit Bestimmtheit hervorgehen sollte: so könnte ich
sie hier nicht geben. Ich denke aber, daß allerdings die un-
bedingte Bejahung daraus hervorgeht. Die Verbindung des Lau-
tes mit der innern Sprachform, wie wir sie kennen gelernt ha-
ben als Product des Mechanismus der Seele und ihres Zusam-
menhanges mit dem Leibe, kann unmöglich so lose angenommen
werden, daß ursprünglich etwas in der innern Sprachform lie-
gen könnte, was nicht vollständig in der Lautform ausgeprägt
wäre. Nur ein wenig erläutert mag dies noch im Folgenden
werden.

Wir haben gesagt, das Verhältniß zwischen der innern
Sprachform und dem Laute sei wirklich das des Innern zum
Aeußern, wie das Verhältniß der Seele zum Leibe. Diese Ana-
logie bedarf näherer Bestimmung um so mehr, da das Verhält-
niß zwischen Seele und Leib in dem wesentlichsten Punkte Ge-
genstand des Streites ist. Auf diesen Streit aber brauchen wir
uns nicht einzulassen. Denn in jedem Falle steht so viel fest,
daß die innern seelischen und geistigen Erzeugnisse etwas Un-
körperliches, Unräumliches, nicht sinnlich Wahrnehmbares sind:
und ebenso ist es die innere Sprachform, welche eine bestimmte
Weise des Denkens ist. Diesem Innern gegenüber steht ein
Aeußeres; aber der Leib verhält sich doch ganz anders zur
Seele, als der Laut zur innern Sprachform. Dies rührt daher,
daß die Sprache schon ein Product des Zusammenhanges von
Leib und Seele, des Einwirkens der Seele auf den Leib ist. Die
innere Sprachform ist ein Erzeugniß der Seele, welches den
Leib zum Tönen reizt; und so ist jene die Ursache, der Ton
die Wirkung derselben, wiewohl der Leib nicht die Wirkung
der Seele ist.

vereinigt. Wir haben also hier Natur und Seele, zwar eine
Verbindung beider, aber keine Identität. Nun ist es höchst
wichtig zu erkennen, wie eng diese Verbindung ist. Es ist dies
darum so wichtig, weil wir kein Mittel haben, das Innere zu
erkennen, wenn nicht vermittelst des Aeußern. Die innere Sprach-
form ist uns nur so weit offenbar, als sie es durch die Lautform
wird. Es ist also eine Grundfrage für die Grammatik: Ist die
Einheit von Laut- und innerer Form so innig, daß jeder Punkt
im Innern sich in einem entsprechenden Punkte des Aeußern
offenbart oder ankündigt?

Wenn aus dem Vorangehenden die Beantwortung dieser
Frage nicht mit Bestimmtheit hervorgehen sollte: so könnte ich
sie hier nicht geben. Ich denke aber, daß allerdings die un-
bedingte Bejahung daraus hervorgeht. Die Verbindung des Lau-
tes mit der innern Sprachform, wie wir sie kennen gelernt ha-
ben als Product des Mechanismus der Seele und ihres Zusam-
menhanges mit dem Leibe, kann unmöglich so lose angenommen
werden, daß ursprünglich etwas in der innern Sprachform lie-
gen könnte, was nicht vollständig in der Lautform ausgeprägt
wäre. Nur ein wenig erläutert mag dies noch im Folgenden
werden.

Wir haben gesagt, das Verhältniß zwischen der innern
Sprachform und dem Laute sei wirklich das des Innern zum
Aeußern, wie das Verhältniß der Seele zum Leibe. Diese Ana-
logie bedarf näherer Bestimmung um so mehr, da das Verhält-
niß zwischen Seele und Leib in dem wesentlichsten Punkte Ge-
genstand des Streites ist. Auf diesen Streit aber brauchen wir
uns nicht einzulassen. Denn in jedem Falle steht so viel fest,
daß die innern seelischen und geistigen Erzeugnisse etwas Un-
körperliches, Unräumliches, nicht sinnlich Wahrnehmbares sind:
und ebenso ist es die innere Sprachform, welche eine bestimmte
Weise des Denkens ist. Diesem Innern gegenüber steht ein
Aeußeres; aber der Leib verhält sich doch ganz anders zur
Seele, als der Laut zur innern Sprachform. Dies rührt daher,
daß die Sprache schon ein Product des Zusammenhanges von
Leib und Seele, des Einwirkens der Seele auf den Leib ist. Die
innere Sprachform ist ein Erzeugniß der Seele, welches den
Leib zum Tönen reizt; und so ist jene die Ursache, der Ton
die Wirkung derselben, wiewohl der Leib nicht die Wirkung
der Seele ist.

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[342/0380] vereinigt. Wir haben also hier Natur und Seele, zwar eine Verbindung beider, aber keine Identität. Nun ist es höchst wichtig zu erkennen, wie eng diese Verbindung ist. Es ist dies darum so wichtig, weil wir kein Mittel haben, das Innere zu erkennen, wenn nicht vermittelst des Aeußern. Die innere Sprach- form ist uns nur so weit offenbar, als sie es durch die Lautform wird. Es ist also eine Grundfrage für die Grammatik: Ist die Einheit von Laut- und innerer Form so innig, daß jeder Punkt im Innern sich in einem entsprechenden Punkte des Aeußern offenbart oder ankündigt? Wenn aus dem Vorangehenden die Beantwortung dieser Frage nicht mit Bestimmtheit hervorgehen sollte: so könnte ich sie hier nicht geben. Ich denke aber, daß allerdings die un- bedingte Bejahung daraus hervorgeht. Die Verbindung des Lau- tes mit der innern Sprachform, wie wir sie kennen gelernt ha- ben als Product des Mechanismus der Seele und ihres Zusam- menhanges mit dem Leibe, kann unmöglich so lose angenommen werden, daß ursprünglich etwas in der innern Sprachform lie- gen könnte, was nicht vollständig in der Lautform ausgeprägt wäre. Nur ein wenig erläutert mag dies noch im Folgenden werden. Wir haben gesagt, das Verhältniß zwischen der innern Sprachform und dem Laute sei wirklich das des Innern zum Aeußern, wie das Verhältniß der Seele zum Leibe. Diese Ana- logie bedarf näherer Bestimmung um so mehr, da das Verhält- niß zwischen Seele und Leib in dem wesentlichsten Punkte Ge- genstand des Streites ist. Auf diesen Streit aber brauchen wir uns nicht einzulassen. Denn in jedem Falle steht so viel fest, daß die innern seelischen und geistigen Erzeugnisse etwas Un- körperliches, Unräumliches, nicht sinnlich Wahrnehmbares sind: und ebenso ist es die innere Sprachform, welche eine bestimmte Weise des Denkens ist. Diesem Innern gegenüber steht ein Aeußeres; aber der Leib verhält sich doch ganz anders zur Seele, als der Laut zur innern Sprachform. Dies rührt daher, daß die Sprache schon ein Product des Zusammenhanges von Leib und Seele, des Einwirkens der Seele auf den Leib ist. Die innere Sprachform ist ein Erzeugniß der Seele, welches den Leib zum Tönen reizt; und so ist jene die Ursache, der Ton die Wirkung derselben, wiewohl der Leib nicht die Wirkung der Seele ist.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 342. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/380>, abgerufen am 25.04.2024.