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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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noch sind es die Reste der Lautformen und ihre Geschichte,
welche die innere Form suchen und deuten lehren.

b) Bedeutung.
§. 116.

Etwas, das auf etwas Anderes hindeutet, hinweist, so daß
wir dieses Andere, obwohl es fern oder versteckt ist, dennoch
aus jenem zu erkennen vermögen, bedeutet dieses Andere; und
diese seine Bedeutung wird erkannt, indem wir es deuten. In
diesem Sinne genommen ist alles und jedes in der Welt bedeut-
sam; denn jedes steht in vielseitiger Beziehung zu anderm, deu-
tet also auf anderes. Jedes Ding, jedes Erscheinende ist eine
Wirkung und bedeutet seine Ursache. Wir deuten jeden
Schein auf ein Wesen, jede Eigenschaft auf ein Ding, und um-
gekehrt.

Hiernach wäre es sehr nichtssagend, wollten wir die Spra-
che definiren als: bedeutsames Tönen. Denn jedes Ding,
jede Bewegung, und auch speciell jedes Tönen ist im obigen
Sinne bedeutsam. Es muß also noch gesagt werden, in wiefern
das sprachliche Tönen ganz besonders bedeutsam genannt werde,
und was es bedeute.

§. 117. Wie die Sprache bedeutet.

Jeder Ton deutet auf ein Tönendes, welches irgendwie zum
Tönen gebracht worden ist; d. h. er deutet auf eine Ursache,
und seine Deutung wäre demnach seine ursächliche Erklärung.
Er erzeugt aber auch eine Wirkung, und so verlangt er aber-
mals eine Deutung. Ich meine hier die Wirkung, welche alle
Wahrnehmungen auf die Seele, auf das Gefühl ausüben. Hier-
auf beruht zum Theil die Wirkung aller Künste; denn sie alle
reden durch Anschauungen zum Gefühl. Nur ist ihre Wirkung
schon zu mannigfach, ihre Anschauungen sind so zusammenge-
setzt, daß hier die Analyse sehr schwer wird. Aber jede ein-
fache Empfindung wirkt auf unser Gefühl. Wie stark stimmt
uns der Anblick einer Farbe oder einer Zusammenstellung meh-
rerer Farben! und wie noch viel mächtiger ergreifen uns ein-
fache Töne, Geräusche! Wenn ich hier das Aechzen und Stöh-
nen der Leidenden anführe: so könnte man sagen, das dadurch
erweckte Gefühl entstehe nur durch die Vorstellung des Schmer-
zes, welcher das Tönen erzeuge, nicht durch den Ton selbst.

noch sind es die Reste der Lautformen und ihre Geschichte,
welche die innere Form suchen und deuten lehren.

b) Bedeutung.
§. 116.

Etwas, das auf etwas Anderes hindeutet, hinweist, so daß
wir dieses Andere, obwohl es fern oder versteckt ist, dennoch
aus jenem zu erkennen vermögen, bedeutet dieses Andere; und
diese seine Bedeutung wird erkannt, indem wir es deuten. In
diesem Sinne genommen ist alles und jedes in der Welt bedeut-
sam; denn jedes steht in vielseitiger Beziehung zu anderm, deu-
tet also auf anderes. Jedes Ding, jedes Erscheinende ist eine
Wirkung und bedeutet seine Ursache. Wir deuten jeden
Schein auf ein Wesen, jede Eigenschaft auf ein Ding, und um-
gekehrt.

Hiernach wäre es sehr nichtssagend, wollten wir die Spra-
che definiren als: bedeutsames Tönen. Denn jedes Ding,
jede Bewegung, und auch speciell jedes Tönen ist im obigen
Sinne bedeutsam. Es muß also noch gesagt werden, in wiefern
das sprachliche Tönen ganz besonders bedeutsam genannt werde,
und was es bedeute.

§. 117. Wie die Sprache bedeutet.

Jeder Ton deutet auf ein Tönendes, welches irgendwie zum
Tönen gebracht worden ist; d. h. er deutet auf eine Ursache,
und seine Deutung wäre demnach seine ursächliche Erklärung.
Er erzeugt aber auch eine Wirkung, und so verlangt er aber-
mals eine Deutung. Ich meine hier die Wirkung, welche alle
Wahrnehmungen auf die Seele, auf das Gefühl ausüben. Hier-
auf beruht zum Theil die Wirkung aller Künste; denn sie alle
reden durch Anschauungen zum Gefühl. Nur ist ihre Wirkung
schon zu mannigfach, ihre Anschauungen sind so zusammenge-
setzt, daß hier die Analyse sehr schwer wird. Aber jede ein-
fache Empfindung wirkt auf unser Gefühl. Wie stark stimmt
uns der Anblick einer Farbe oder einer Zusammenstellung meh-
rerer Farben! und wie noch viel mächtiger ergreifen uns ein-
fache Töne, Geräusche! Wenn ich hier das Aechzen und Stöh-
nen der Leidenden anführe: so könnte man sagen, das dadurch
erweckte Gefühl entstehe nur durch die Vorstellung des Schmer-
zes, welcher das Tönen erzeuge, nicht durch den Ton selbst.

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[344/0382] noch sind es die Reste der Lautformen und ihre Geschichte, welche die innere Form suchen und deuten lehren. b) Bedeutung. §. 116. Etwas, das auf etwas Anderes hindeutet, hinweist, so daß wir dieses Andere, obwohl es fern oder versteckt ist, dennoch aus jenem zu erkennen vermögen, bedeutet dieses Andere; und diese seine Bedeutung wird erkannt, indem wir es deuten. In diesem Sinne genommen ist alles und jedes in der Welt bedeut- sam; denn jedes steht in vielseitiger Beziehung zu anderm, deu- tet also auf anderes. Jedes Ding, jedes Erscheinende ist eine Wirkung und bedeutet seine Ursache. Wir deuten jeden Schein auf ein Wesen, jede Eigenschaft auf ein Ding, und um- gekehrt. Hiernach wäre es sehr nichtssagend, wollten wir die Spra- che definiren als: bedeutsames Tönen. Denn jedes Ding, jede Bewegung, und auch speciell jedes Tönen ist im obigen Sinne bedeutsam. Es muß also noch gesagt werden, in wiefern das sprachliche Tönen ganz besonders bedeutsam genannt werde, und was es bedeute. §. 117. Wie die Sprache bedeutet. Jeder Ton deutet auf ein Tönendes, welches irgendwie zum Tönen gebracht worden ist; d. h. er deutet auf eine Ursache, und seine Deutung wäre demnach seine ursächliche Erklärung. Er erzeugt aber auch eine Wirkung, und so verlangt er aber- mals eine Deutung. Ich meine hier die Wirkung, welche alle Wahrnehmungen auf die Seele, auf das Gefühl ausüben. Hier- auf beruht zum Theil die Wirkung aller Künste; denn sie alle reden durch Anschauungen zum Gefühl. Nur ist ihre Wirkung schon zu mannigfach, ihre Anschauungen sind so zusammenge- setzt, daß hier die Analyse sehr schwer wird. Aber jede ein- fache Empfindung wirkt auf unser Gefühl. Wie stark stimmt uns der Anblick einer Farbe oder einer Zusammenstellung meh- rerer Farben! und wie noch viel mächtiger ergreifen uns ein- fache Töne, Geräusche! Wenn ich hier das Aechzen und Stöh- nen der Leidenden anführe: so könnte man sagen, das dadurch erweckte Gefühl entstehe nur durch die Vorstellung des Schmer- zes, welcher das Tönen erzeuge, nicht durch den Ton selbst.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 344. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/382>, abgerufen am 29.03.2024.