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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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4. Die Classification der Sprachen.
§. 137.

Sie stellt das allgemeine Wesen der Sprache dar, wie es
sich in den einzelnen Sprachen in individuellen Formen verwirk-
licht hat, und ist die wahre allgemeine Grammatik. Sie stellt
jede Sprache dar als eine individuelle Verwirklichung des Be-
griffs der Sprache, und zeigt die Einheit der Sprachen, indem
sie dieselben sämmtlich zu einander in Beziehung setzt und nach
der Verwandtschaft und Würde ihrer Organisation zu einem
Systeme zusammenstellt.

Ich will hier nicht weiter auf diesen Punkt eingehen; es
wäre mehr darüber zu sagen, als der beabsichtigte Umfang die-
ses Buches erlaubt*).

5. Sprachwissenschaft als Moment der Völkerpsycho-
logie.

Wir haben schon in unsern Vorbemerkungen gesagt, daß
die Sprache nicht bloß als eine Seelenthätigkeit, wie jede an-
dere, ein Gegenstand psychologischer Betrachtung ist, sondern
daß auch der Nachweis ihrer Entstehung, ihres Wesens im All-
gemeinen, ihrer Stellung in der Entwickelung und Thätigkeit des

*) Nur muß ich bemerken, daß seit dem Erscheinen meiner Schrift
"die Classification der Sprachen, dargestellt als die Entwickelung der Sprach-
idee" auch Böhtlingk über diesen Punkt sich geäußert hat, jedoch in einer
wenig befriedigenden Weise. (Böhtlingk, Ueber die Yakutische Sprache). Ich
kann nur bedauern, daß ein so verdienstvoller Mann sich auf ein Gebiet ein-
lassen konnte, wo er nicht einheimisch ist, auf Probleme eingehen konnte, de-
ren Wesen er nicht begriffen hat. Ich würde aus Achtung vor seinen vor-
trefflichen Leistungen auf dem historischen Sprachboden dies gern ignorirt
haben, wäre ich nicht öffentlich (durch Pott) aufgefordert worden, zu sagen,
was ich über seine Ansicht und seine Bekämpfung der meinigen denke. Ueber
letztere muß ich hier schweigen, da es besser ist, nichts zu sagen, als ein Weni-
ges statt des Vielen, was zu sagen wäre, hier aber nicht gesagt werden kann.
In einem Seitenstücke zum vorliegenden Buche, in einer Arbeit über die Me-
thode
der Grammatik, werde ich Gelegenheit haben, auf alles hier in dem
Abschnitte über die Verschiedenheit der Sprache nur Angedeutete ausführlich
zurückzukommen. Was aber Hrn. Böhtlingks sogenannte eigene Ansicht be-
trifft, die keineswegs neu ist, sondern schon im Mithridates, wenn nicht Ade-
lungs, wenigstens Vaters, vorliegt: so genügt dagegen eine Verweisung auf
Humboldts Einleitung in die Kawi-Sprache S. CCLXVIII oder 252.
25*
4. Die Classification der Sprachen.
§. 137.

Sie stellt das allgemeine Wesen der Sprache dar, wie es
sich in den einzelnen Sprachen in individuellen Formen verwirk-
licht hat, und ist die wahre allgemeine Grammatik. Sie stellt
jede Sprache dar als eine individuelle Verwirklichung des Be-
griffs der Sprache, und zeigt die Einheit der Sprachen, indem
sie dieselben sämmtlich zu einander in Beziehung setzt und nach
der Verwandtschaft und Würde ihrer Organisation zu einem
Systeme zusammenstellt.

Ich will hier nicht weiter auf diesen Punkt eingehen; es
wäre mehr darüber zu sagen, als der beabsichtigte Umfang die-
ses Buches erlaubt*).

5. Sprachwissenschaft als Moment der Völkerpsycho-
logie.

Wir haben schon in unsern Vorbemerkungen gesagt, daß
die Sprache nicht bloß als eine Seelenthätigkeit, wie jede an-
dere, ein Gegenstand psychologischer Betrachtung ist, sondern
daß auch der Nachweis ihrer Entstehung, ihres Wesens im All-
gemeinen, ihrer Stellung in der Entwickelung und Thätigkeit des

*) Nur muß ich bemerken, daß seit dem Erscheinen meiner Schrift
„die Classification der Sprachen, dargestellt als die Entwickelung der Sprach-
idee“ auch Böhtlingk über diesen Punkt sich geäußert hat, jedoch in einer
wenig befriedigenden Weise. (Böhtlingk, Ueber die Yakutische Sprache). Ich
kann nur bedauern, daß ein so verdienstvoller Mann sich auf ein Gebiet ein-
lassen konnte, wo er nicht einheimisch ist, auf Probleme eingehen konnte, de-
ren Wesen er nicht begriffen hat. Ich würde aus Achtung vor seinen vor-
trefflichen Leistungen auf dem historischen Sprachboden dies gern ignorirt
haben, wäre ich nicht öffentlich (durch Pott) aufgefordert worden, zu sagen,
was ich über seine Ansicht und seine Bekämpfung der meinigen denke. Ueber
letztere muß ich hier schweigen, da es besser ist, nichts zu sagen, als ein Weni-
ges statt des Vielen, was zu sagen wäre, hier aber nicht gesagt werden kann.
In einem Seitenstücke zum vorliegenden Buche, in einer Arbeit über die Me-
thode
der Grammatik, werde ich Gelegenheit haben, auf alles hier in dem
Abschnitte über die Verschiedenheit der Sprache nur Angedeutete ausführlich
zurückzukommen. Was aber Hrn. Böhtlingks sogenannte eigene Ansicht be-
trifft, die keineswegs neu ist, sondern schon im Mithridates, wenn nicht Ade-
lungs, wenigstens Vaters, vorliegt: so genügt dagegen eine Verweisung auf
Humboldts Einleitung in die Kawi-Sprache S. CCLXVIII oder 252.
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[387/0425] 4. Die Classification der Sprachen. §. 137. Sie stellt das allgemeine Wesen der Sprache dar, wie es sich in den einzelnen Sprachen in individuellen Formen verwirk- licht hat, und ist die wahre allgemeine Grammatik. Sie stellt jede Sprache dar als eine individuelle Verwirklichung des Be- griffs der Sprache, und zeigt die Einheit der Sprachen, indem sie dieselben sämmtlich zu einander in Beziehung setzt und nach der Verwandtschaft und Würde ihrer Organisation zu einem Systeme zusammenstellt. Ich will hier nicht weiter auf diesen Punkt eingehen; es wäre mehr darüber zu sagen, als der beabsichtigte Umfang die- ses Buches erlaubt *). 5. Sprachwissenschaft als Moment der Völkerpsycho- logie. Wir haben schon in unsern Vorbemerkungen gesagt, daß die Sprache nicht bloß als eine Seelenthätigkeit, wie jede an- dere, ein Gegenstand psychologischer Betrachtung ist, sondern daß auch der Nachweis ihrer Entstehung, ihres Wesens im All- gemeinen, ihrer Stellung in der Entwickelung und Thätigkeit des *) Nur muß ich bemerken, daß seit dem Erscheinen meiner Schrift „die Classification der Sprachen, dargestellt als die Entwickelung der Sprach- idee“ auch Böhtlingk über diesen Punkt sich geäußert hat, jedoch in einer wenig befriedigenden Weise. (Böhtlingk, Ueber die Yakutische Sprache). Ich kann nur bedauern, daß ein so verdienstvoller Mann sich auf ein Gebiet ein- lassen konnte, wo er nicht einheimisch ist, auf Probleme eingehen konnte, de- ren Wesen er nicht begriffen hat. Ich würde aus Achtung vor seinen vor- trefflichen Leistungen auf dem historischen Sprachboden dies gern ignorirt haben, wäre ich nicht öffentlich (durch Pott) aufgefordert worden, zu sagen, was ich über seine Ansicht und seine Bekämpfung der meinigen denke. Ueber letztere muß ich hier schweigen, da es besser ist, nichts zu sagen, als ein Weni- ges statt des Vielen, was zu sagen wäre, hier aber nicht gesagt werden kann. In einem Seitenstücke zum vorliegenden Buche, in einer Arbeit über die Me- thode der Grammatik, werde ich Gelegenheit haben, auf alles hier in dem Abschnitte über die Verschiedenheit der Sprache nur Angedeutete ausführlich zurückzukommen. Was aber Hrn. Böhtlingks sogenannte eigene Ansicht be- trifft, die keineswegs neu ist, sondern schon im Mithridates, wenn nicht Ade- lungs, wenigstens Vaters, vorliegt: so genügt dagegen eine Verweisung auf Humboldts Einleitung in die Kawi-Sprache S. CCLXVIII oder 252. 25*

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/425>, abgerufen am 29.03.2024.