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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Sprache geschaffen, und so gehört das gesprochene Wort nicht
bloß ihm, sondern auch dem Andern.

Die Sprache ist also wesentlich Erzeugniß der Gemeinschaft,
des Volkes. Nannten wir die Sprache das instinctive Selbstbe-
wußtsein, eine instinctive Weltanschauung und Logik: so be-
deutet dies also, daß sie das Selbstbewußtsein, die Welt-
anschauung und Logik des Volksgeistes
ist.

Wie muß also auf alle Principien der Völkerpsychologie
seitens der Sprache das hellste Licht fallen! Die Einheit der
Individuen als Volk spiegelt sich in der gemeinsamen Sprache
ab; die bestimmte Individualität des Volksgeistes kann sich nir-
gends klarer abdrücken, als in der individuellen Form der Spra-
che; ihr individuell gestaltendes Princip ist der eigentlichste Kern
des Volksgeistes; das Zusammenwirken des Individuums mit sei-
nem Volke beruht vorzüglich auf der Sprache, in der und durch
welche er denkt, und die doch seinem Volke gehört. Und auf
das Innigste durchdringen sich die Geschichte der Sprache und
die geschichtliche Entwickelung des Volksgeistes, die Bildung
neuer Völker und neuer Sprachen. Der Verfall des lautlichen
Baues der Sprachen und dagegen die feinere Ausbildung der
innern Form ist einer der wichtigsten Punkte für die Erkennt-
niß des individuellen Volksgeistes.

Hiermit beschließen wir diese Andeutungen über die Völ-
kerpsychologie und unser Buch überhaupt. Unsere Aufgabe,
das Princip der Grammatik fest zu bestimmen, sie von der Lo-
gik scharf abzuscheiden und ihren Zusammenhang mit der Psy-
chologie zu zeigen, ist im Vorliegenden gelöst, so gut dies mög-
lich war, ich sage nicht: nach den heutigen Umständen über-
haupt, sondern nur nach meinen Mitteln und Verhältnissen. Möge
auch in dieser Beschränktheit meine Arbeit die Wissenschaft
fördern!


Sprache geschaffen, und so gehört das gesprochene Wort nicht
bloß ihm, sondern auch dem Andern.

Die Sprache ist also wesentlich Erzeugniß der Gemeinschaft,
des Volkes. Nannten wir die Sprache das instinctive Selbstbe-
wußtsein, eine instinctive Weltanschauung und Logik: so be-
deutet dies also, daß sie das Selbstbewußtsein, die Welt-
anschauung und Logik des Volksgeistes
ist.

Wie muß also auf alle Principien der Völkerpsychologie
seitens der Sprache das hellste Licht fallen! Die Einheit der
Individuen als Volk spiegelt sich in der gemeinsamen Sprache
ab; die bestimmte Individualität des Volksgeistes kann sich nir-
gends klarer abdrücken, als in der individuellen Form der Spra-
che; ihr individuell gestaltendes Princip ist der eigentlichste Kern
des Volksgeistes; das Zusammenwirken des Individuums mit sei-
nem Volke beruht vorzüglich auf der Sprache, in der und durch
welche er denkt, und die doch seinem Volke gehört. Und auf
das Innigste durchdringen sich die Geschichte der Sprache und
die geschichtliche Entwickelung des Volksgeistes, die Bildung
neuer Völker und neuer Sprachen. Der Verfall des lautlichen
Baues der Sprachen und dagegen die feinere Ausbildung der
innern Form ist einer der wichtigsten Punkte für die Erkennt-
niß des individuellen Volksgeistes.

Hiermit beschließen wir diese Andeutungen über die Völ-
kerpsychologie und unser Buch überhaupt. Unsere Aufgabe,
das Princip der Grammatik fest zu bestimmen, sie von der Lo-
gik scharf abzuscheiden und ihren Zusammenhang mit der Psy-
chologie zu zeigen, ist im Vorliegenden gelöst, so gut dies mög-
lich war, ich sage nicht: nach den heutigen Umständen über-
haupt, sondern nur nach meinen Mitteln und Verhältnissen. Möge
auch in dieser Beschränktheit meine Arbeit die Wissenschaft
fördern!


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[392/0430] Sprache geschaffen, und so gehört das gesprochene Wort nicht bloß ihm, sondern auch dem Andern. Die Sprache ist also wesentlich Erzeugniß der Gemeinschaft, des Volkes. Nannten wir die Sprache das instinctive Selbstbe- wußtsein, eine instinctive Weltanschauung und Logik: so be- deutet dies also, daß sie das Selbstbewußtsein, die Welt- anschauung und Logik des Volksgeistes ist. Wie muß also auf alle Principien der Völkerpsychologie seitens der Sprache das hellste Licht fallen! Die Einheit der Individuen als Volk spiegelt sich in der gemeinsamen Sprache ab; die bestimmte Individualität des Volksgeistes kann sich nir- gends klarer abdrücken, als in der individuellen Form der Spra- che; ihr individuell gestaltendes Princip ist der eigentlichste Kern des Volksgeistes; das Zusammenwirken des Individuums mit sei- nem Volke beruht vorzüglich auf der Sprache, in der und durch welche er denkt, und die doch seinem Volke gehört. Und auf das Innigste durchdringen sich die Geschichte der Sprache und die geschichtliche Entwickelung des Volksgeistes, die Bildung neuer Völker und neuer Sprachen. Der Verfall des lautlichen Baues der Sprachen und dagegen die feinere Ausbildung der innern Form ist einer der wichtigsten Punkte für die Erkennt- niß des individuellen Volksgeistes. Hiermit beschließen wir diese Andeutungen über die Völ- kerpsychologie und unser Buch überhaupt. Unsere Aufgabe, das Princip der Grammatik fest zu bestimmen, sie von der Lo- gik scharf abzuscheiden und ihren Zusammenhang mit der Psy- chologie zu zeigen, ist im Vorliegenden gelöst, so gut dies mög- lich war, ich sage nicht: nach den heutigen Umständen über- haupt, sondern nur nach meinen Mitteln und Verhältnissen. Möge auch in dieser Beschränktheit meine Arbeit die Wissenschaft fördern!

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/430>, abgerufen am 25.04.2024.