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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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tur das allgemeine Merkmal des Organismus und der Zweckbe-
griff das besondere, welche Verdrehung freilich nicht vollkom-
men durchgeführt werden konnte, da der Zweck doch mindestens
ebenso allgemein als die Natur ist, weswegen aber auch keine
feste Bestimmung des Organismus zu Stande kommen konnte.
-- Hierin liegt aber zugleich die Verdrehung des Begriffes Or-
ganismus selbst; er, der durch die Natur nach seiner Besonder-
heit bestimmt werden sollte, wird jetzt durch sie gerade nach
seiner Allgemeinheit, und durch den Zweck nach seiner Beson-
derheit bestimmt; er wird nicht so besonders, wie die Natur,
sondern eine Besonderheit innerhalb der Natur, eine Art der
Natur.

Diese Verdrehung war freilich, wie gesagt, gar nicht durch-
führbar, und sie erfährt nun durch eine andere ihr entgegenge-
setzte Verdrehung einen wunderlichen Rückschlag. Der Zweck-
begriff, allgemeiner als die Natur, wird zum specifischen Merk-
mal des Organismus gemacht. Was folgt hieraus? daß Orga-
nismus weiter, umfassender wird, als die Natur; die Natur ist
eine besondere Art des Organismus. Ein solcher Fehler muß
sich natürlich in der Darstellung ausdrücken. Nun lese man
den §. 4. und frage sich, was darin gesagt ist? Sicherlich nicht
sowohl, daß der Organismus ein natürlich gesetzter und ausge-
führter Zweck, als vielmehr umgekehrt, daß die Natur organisch
sei, mit einem, ich möchte sagen, unterdrückten "auch." Daß
dieses ausgesprochen werde, läßt die erste Verdrehung nicht zu.
Beide Verdrehungen hemmen sich in ihrer Wirkung und so liegt
denn doch in dem Ergebnisse die Gleichheit von Organismus
und Natur, der gleiche Umfang sowohl, als auch derselbe In-
halt beider, wie aus jedem Satze des §. 4. erhellt. Der Unter-
schied aber von der einfachen Ansicht der Sache, wie sie bei
Trendelenburg vorliegt, ist dabei nicht zu verkennen. Wäh-
rend bei diesem die Natur das specifische Merkmal des Orga-
nismus abgiebt, der unter der Allgemeinheit des Zweckes steht,
drückt bei Becker Organismus das ganze Wesen der Natur
aus, ist ihr eines umfassendes Attribut, die Darlegung ihres Be-
griffs. Doch dieser Unterschied ist nicht so sehr von Bedeu-
tung als die Unbestimmtheit, welche einem in solcher Weise wie
der Beckersche Organismus gebildeten Begriffe fortwährend
anhaften muß. -- Auch der Grund der doppelten Verdrehung
liegt klar in dem ersten Fehler, daß ein rein formal bestimmter

tur das allgemeine Merkmal des Organismus und der Zweckbe-
griff das besondere, welche Verdrehung freilich nicht vollkom-
men durchgeführt werden konnte, da der Zweck doch mindestens
ebenso allgemein als die Natur ist, weswegen aber auch keine
feste Bestimmung des Organismus zu Stande kommen konnte.
— Hierin liegt aber zugleich die Verdrehung des Begriffes Or-
ganismus selbst; er, der durch die Natur nach seiner Besonder-
heit bestimmt werden sollte, wird jetzt durch sie gerade nach
seiner Allgemeinheit, und durch den Zweck nach seiner Beson-
derheit bestimmt; er wird nicht so besonders, wie die Natur,
sondern eine Besonderheit innerhalb der Natur, eine Art der
Natur.

Diese Verdrehung war freilich, wie gesagt, gar nicht durch-
führbar, und sie erfährt nun durch eine andere ihr entgegenge-
setzte Verdrehung einen wunderlichen Rückschlag. Der Zweck-
begriff, allgemeiner als die Natur, wird zum specifischen Merk-
mal des Organismus gemacht. Was folgt hieraus? daß Orga-
nismus weiter, umfassender wird, als die Natur; die Natur ist
eine besondere Art des Organismus. Ein solcher Fehler muß
sich natürlich in der Darstellung ausdrücken. Nun lese man
den §. 4. und frage sich, was darin gesagt ist? Sicherlich nicht
sowohl, daß der Organismus ein natürlich gesetzter und ausge-
führter Zweck, als vielmehr umgekehrt, daß die Natur organisch
sei, mit einem, ich möchte sagen, unterdrückten „auch.” Daß
dieses ausgesprochen werde, läßt die erste Verdrehung nicht zu.
Beide Verdrehungen hemmen sich in ihrer Wirkung und so liegt
denn doch in dem Ergebnisse die Gleichheit von Organismus
und Natur, der gleiche Umfang sowohl, als auch derselbe In-
halt beider, wie aus jedem Satze des §. 4. erhellt. Der Unter-
schied aber von der einfachen Ansicht der Sache, wie sie bei
Trendelenburg vorliegt, ist dabei nicht zu verkennen. Wäh-
rend bei diesem die Natur das specifische Merkmal des Orga-
nismus abgiebt, der unter der Allgemeinheit des Zweckes steht,
drückt bei Becker Organismus das ganze Wesen der Natur
aus, ist ihr eines umfassendes Attribut, die Darlegung ihres Be-
griffs. Doch dieser Unterschied ist nicht so sehr von Bedeu-
tung als die Unbestimmtheit, welche einem in solcher Weise wie
der Beckersche Organismus gebildeten Begriffe fortwährend
anhaften muß. — Auch der Grund der doppelten Verdrehung
liegt klar in dem ersten Fehler, daß ein rein formal bestimmter

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[13/0051] tur das allgemeine Merkmal des Organismus und der Zweckbe- griff das besondere, welche Verdrehung freilich nicht vollkom- men durchgeführt werden konnte, da der Zweck doch mindestens ebenso allgemein als die Natur ist, weswegen aber auch keine feste Bestimmung des Organismus zu Stande kommen konnte. — Hierin liegt aber zugleich die Verdrehung des Begriffes Or- ganismus selbst; er, der durch die Natur nach seiner Besonder- heit bestimmt werden sollte, wird jetzt durch sie gerade nach seiner Allgemeinheit, und durch den Zweck nach seiner Beson- derheit bestimmt; er wird nicht so besonders, wie die Natur, sondern eine Besonderheit innerhalb der Natur, eine Art der Natur. Diese Verdrehung war freilich, wie gesagt, gar nicht durch- führbar, und sie erfährt nun durch eine andere ihr entgegenge- setzte Verdrehung einen wunderlichen Rückschlag. Der Zweck- begriff, allgemeiner als die Natur, wird zum specifischen Merk- mal des Organismus gemacht. Was folgt hieraus? daß Orga- nismus weiter, umfassender wird, als die Natur; die Natur ist eine besondere Art des Organismus. Ein solcher Fehler muß sich natürlich in der Darstellung ausdrücken. Nun lese man den §. 4. und frage sich, was darin gesagt ist? Sicherlich nicht sowohl, daß der Organismus ein natürlich gesetzter und ausge- führter Zweck, als vielmehr umgekehrt, daß die Natur organisch sei, mit einem, ich möchte sagen, unterdrückten „auch.” Daß dieses ausgesprochen werde, läßt die erste Verdrehung nicht zu. Beide Verdrehungen hemmen sich in ihrer Wirkung und so liegt denn doch in dem Ergebnisse die Gleichheit von Organismus und Natur, der gleiche Umfang sowohl, als auch derselbe In- halt beider, wie aus jedem Satze des §. 4. erhellt. Der Unter- schied aber von der einfachen Ansicht der Sache, wie sie bei Trendelenburg vorliegt, ist dabei nicht zu verkennen. Wäh- rend bei diesem die Natur das specifische Merkmal des Orga- nismus abgiebt, der unter der Allgemeinheit des Zweckes steht, drückt bei Becker Organismus das ganze Wesen der Natur aus, ist ihr eines umfassendes Attribut, die Darlegung ihres Be- griffs. Doch dieser Unterschied ist nicht so sehr von Bedeu- tung als die Unbestimmtheit, welche einem in solcher Weise wie der Beckersche Organismus gebildeten Begriffe fortwährend anhaften muß. — Auch der Grund der doppelten Verdrehung liegt klar in dem ersten Fehler, daß ein rein formal bestimmter

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/51>, abgerufen am 28.03.2024.