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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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§. 18. Logische Dichotomie.

Wir sehen hiermit, wie nicht bloß durch den Gegensatz
der Organismus unorganisch wird, sondern wie selbst der Ge-
gensatz nicht einmal auf seiner eigentlichen Höhe der Beziehung
festgehalten wird, sondern zur Beziehung überhaupt herabsinkt.
Hieraus folgt aber eine noch nähere Bestimmung. Wenn nämlich
der organische Zusammenhang zerrissen ist, so kann die an des-
sen Stelle tretende Beziehung eben nur dem Gedanken angehö-
ren, dem Urtheile, welches mit Willkür irgend ein Element zum
Ausgangspunkte der Vergleichung wählt und hiernach eine künst-
liche Classification von Begriffen, aber keine Entwickelung, wel-
che der Wirklichkeit entspräche, zu Stande bringt. Die Be-
griffe, hieß es bei Trendelenburg, ordnen sich in Abständen;
denn je nach ihrer Uebereinstimmung und Verschiedenheit zie-
hen sie sich an und stoßen sich ab. So bilden sich" Ge-
schlechter," deren Grenzbegriffe Gegensätze bilden. Hierbei ist
es ganz gleichgültig, ob der eigentliche Ausgangspunkt und Maß-
stab jener Abstände der organische und reale ist, oder ein künst-
lich gewählter, von dem aus aber sehr streng logisch fortge-
schritten wird. Die so hervortretenden Gegensätze werden lo-
gisch unangreifbar sein, aber dennoch werthlos, weil bloß lo-
gisch-künstlich. An die Stelle des realen Gegensatzes tritt lo-
gische Dichotomie.

Als bezeichnendes Merkmal der unorganischen Sprachfor-
schung Beckers erkennen wir also näher die logische Dicho-
tomie der Begriffe
.

§. 19. Die Einheit.

Hiermit ist nun aber auch schon das Wesen der Einheit
bei Becker bestimmt. Die Einheit des Organismus beruht ja
nach ihm lediglich darauf, daß die Elemente desselben organisch
different, einander entgegengesetzt sind (§. 7. Anf.): "Die Ver-
bindung alles Besonderen und Einzelnen in der Sprache zu Ei-
nem organischen Ganzen kömmt durch diejenige Wechselbezie-
hung zu Stande, welche sich, wie alle organische Wechselbe-
ziehung, auf ein organisches Differenzverhältniß gründet." Hier-
aus sollte man folgern, daß die begriffliche Einheit auf dem
Gegensatze der Begriffe beruhe; daß diese Wechselbeziehung
zweier entgegengesetzten Begriffe sie an einander binde. Becker
aber sagt §. 11: "Eine Differenz wird aber in dem Gedan-
ken nur dadurch zu einer organischen Einheit verbunden" --

§. 18. Logische Dichotomie.

Wir sehen hiermit, wie nicht bloß durch den Gegensatz
der Organismus unorganisch wird, sondern wie selbst der Ge-
gensatz nicht einmal auf seiner eigentlichen Höhe der Beziehung
festgehalten wird, sondern zur Beziehung überhaupt herabsinkt.
Hieraus folgt aber eine noch nähere Bestimmung. Wenn nämlich
der organische Zusammenhang zerrissen ist, so kann die an des-
sen Stelle tretende Beziehung eben nur dem Gedanken angehö-
ren, dem Urtheile, welches mit Willkür irgend ein Element zum
Ausgangspunkte der Vergleichung wählt und hiernach eine künst-
liche Classification von Begriffen, aber keine Entwickelung, wel-
che der Wirklichkeit entspräche, zu Stande bringt. Die Be-
griffe, hieß es bei Trendelenburg, ordnen sich in Abständen;
denn je nach ihrer Uebereinstimmung und Verschiedenheit zie-
hen sie sich an und stoßen sich ab. So bilden sich“ Ge-
schlechter,“ deren Grenzbegriffe Gegensätze bilden. Hierbei ist
es ganz gleichgültig, ob der eigentliche Ausgangspunkt und Maß-
stab jener Abstände der organische und reale ist, oder ein künst-
lich gewählter, von dem aus aber sehr streng logisch fortge-
schritten wird. Die so hervortretenden Gegensätze werden lo-
gisch unangreifbar sein, aber dennoch werthlos, weil bloß lo-
gisch-künstlich. An die Stelle des realen Gegensatzes tritt lo-
gische Dichotomie.

Als bezeichnendes Merkmal der unorganischen Sprachfor-
schung Beckers erkennen wir also näher die logische Dicho-
tomie der Begriffe
.

§. 19. Die Einheit.

Hiermit ist nun aber auch schon das Wesen der Einheit
bei Becker bestimmt. Die Einheit des Organismus beruht ja
nach ihm lediglich darauf, daß die Elemente desselben organisch
different, einander entgegengesetzt sind (§. 7. Anf.): „Die Ver-
bindung alles Besonderen und Einzelnen in der Sprache zu Ei-
nem organischen Ganzen kömmt durch diejenige Wechselbezie-
hung zu Stande, welche sich, wie alle organische Wechselbe-
ziehung, auf ein organisches Differenzverhältniß gründet.“ Hier-
aus sollte man folgern, daß die begriffliche Einheit auf dem
Gegensatze der Begriffe beruhe; daß diese Wechselbeziehung
zweier entgegengesetzten Begriffe sie an einander binde. Becker
aber sagt §. 11: „Eine Differenz wird aber in dem Gedan-
ken nur dadurch zu einer organischen Einheit verbunden“ —

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[46/0084] §. 18. Logische Dichotomie. Wir sehen hiermit, wie nicht bloß durch den Gegensatz der Organismus unorganisch wird, sondern wie selbst der Ge- gensatz nicht einmal auf seiner eigentlichen Höhe der Beziehung festgehalten wird, sondern zur Beziehung überhaupt herabsinkt. Hieraus folgt aber eine noch nähere Bestimmung. Wenn nämlich der organische Zusammenhang zerrissen ist, so kann die an des- sen Stelle tretende Beziehung eben nur dem Gedanken angehö- ren, dem Urtheile, welches mit Willkür irgend ein Element zum Ausgangspunkte der Vergleichung wählt und hiernach eine künst- liche Classification von Begriffen, aber keine Entwickelung, wel- che der Wirklichkeit entspräche, zu Stande bringt. Die Be- griffe, hieß es bei Trendelenburg, ordnen sich in Abständen; denn je nach ihrer Uebereinstimmung und Verschiedenheit zie- hen sie sich an und stoßen sich ab. So bilden sich“ Ge- schlechter,“ deren Grenzbegriffe Gegensätze bilden. Hierbei ist es ganz gleichgültig, ob der eigentliche Ausgangspunkt und Maß- stab jener Abstände der organische und reale ist, oder ein künst- lich gewählter, von dem aus aber sehr streng logisch fortge- schritten wird. Die so hervortretenden Gegensätze werden lo- gisch unangreifbar sein, aber dennoch werthlos, weil bloß lo- gisch-künstlich. An die Stelle des realen Gegensatzes tritt lo- gische Dichotomie. Als bezeichnendes Merkmal der unorganischen Sprachfor- schung Beckers erkennen wir also näher die logische Dicho- tomie der Begriffe. §. 19. Die Einheit. Hiermit ist nun aber auch schon das Wesen der Einheit bei Becker bestimmt. Die Einheit des Organismus beruht ja nach ihm lediglich darauf, daß die Elemente desselben organisch different, einander entgegengesetzt sind (§. 7. Anf.): „Die Ver- bindung alles Besonderen und Einzelnen in der Sprache zu Ei- nem organischen Ganzen kömmt durch diejenige Wechselbezie- hung zu Stande, welche sich, wie alle organische Wechselbe- ziehung, auf ein organisches Differenzverhältniß gründet.“ Hier- aus sollte man folgern, daß die begriffliche Einheit auf dem Gegensatze der Begriffe beruhe; daß diese Wechselbeziehung zweier entgegengesetzten Begriffe sie an einander binde. Becker aber sagt §. 11: „Eine Differenz wird aber in dem Gedan- ken nur dadurch zu einer organischen Einheit verbunden“ —

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/84>, abgerufen am 25.04.2024.