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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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dere opfert, kamen wir überhaupt auf Verschiedenes,
an das der Mensch sein Herz hängt, das ihn erfüllt,
und das sein Dasein oder Theile seines Daseins um¬
schreibt. Nachdem wir wirklich eine größere Zahl von
Dingen durchsprochen hatten, die zu dem Menschen
in das von uns angeführte Verhältniß treten können,
als ich je vermuthet hätte, machte mein Gastfreund
folgenden Ausspruch: "Wenn wir hier alle die Dinge
ausschließen, die nur den Körper oder das Thierische
des Menschen betreffen und befriedigen, und deren
andauerndes Begehren mit Hinwegsezung alles An¬
dern wir mit dem Namen Leidenschaft bezeichnen,
weßhalb es denn nichts Falscheres geben kann, als
wenn man von edlen Leidenschaften spricht, und wenn
wir als Gegenstände höchsten Strebens nur das
Edelste des Menschen nennen: so dürfte alles Drängen
nach solchen Gegenständen vielleicht nicht mit Unrecht
nur mit einem Namen zu benennen sein, mit Liebe.
Lieben als unbedingte Werthhaltung mit unbedingter
Hinneigung kann man nur das Göttliche oder eigent¬
lich nur Gott; aber da uns Gott für irdisches Füh¬
len zu unerreichbar ist, kann Liebe zu ihm nur An¬
betung sein, und er gab uns für die Liebe auf Er¬
den Theile des Göttlichen in verschiedenen Gestalten

dere opfert, kamen wir überhaupt auf Verſchiedenes,
an das der Menſch ſein Herz hängt, das ihn erfüllt,
und das ſein Daſein oder Theile ſeines Daſeins um¬
ſchreibt. Nachdem wir wirklich eine größere Zahl von
Dingen durchſprochen hatten, die zu dem Menſchen
in das von uns angeführte Verhältniß treten können,
als ich je vermuthet hätte, machte mein Gaſtfreund
folgenden Ausſpruch: „Wenn wir hier alle die Dinge
ausſchließen, die nur den Körper oder das Thieriſche
des Menſchen betreffen und befriedigen, und deren
andauerndes Begehren mit Hinwegſezung alles An¬
dern wir mit dem Namen Leidenſchaft bezeichnen,
weßhalb es denn nichts Falſcheres geben kann, als
wenn man von edlen Leidenſchaften ſpricht, und wenn
wir als Gegenſtände höchſten Strebens nur das
Edelſte des Menſchen nennen: ſo dürfte alles Drängen
nach ſolchen Gegenſtänden vielleicht nicht mit Unrecht
nur mit einem Namen zu benennen ſein, mit Liebe.
Lieben als unbedingte Werthhaltung mit unbedingter
Hinneigung kann man nur das Göttliche oder eigent¬
lich nur Gott; aber da uns Gott für irdiſches Füh¬
len zu unerreichbar iſt, kann Liebe zu ihm nur An¬
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[88/0102] dere opfert, kamen wir überhaupt auf Verſchiedenes, an das der Menſch ſein Herz hängt, das ihn erfüllt, und das ſein Daſein oder Theile ſeines Daſeins um¬ ſchreibt. Nachdem wir wirklich eine größere Zahl von Dingen durchſprochen hatten, die zu dem Menſchen in das von uns angeführte Verhältniß treten können, als ich je vermuthet hätte, machte mein Gaſtfreund folgenden Ausſpruch: „Wenn wir hier alle die Dinge ausſchließen, die nur den Körper oder das Thieriſche des Menſchen betreffen und befriedigen, und deren andauerndes Begehren mit Hinwegſezung alles An¬ dern wir mit dem Namen Leidenſchaft bezeichnen, weßhalb es denn nichts Falſcheres geben kann, als wenn man von edlen Leidenſchaften ſpricht, und wenn wir als Gegenſtände höchſten Strebens nur das Edelſte des Menſchen nennen: ſo dürfte alles Drängen nach ſolchen Gegenſtänden vielleicht nicht mit Unrecht nur mit einem Namen zu benennen ſein, mit Liebe. Lieben als unbedingte Werthhaltung mit unbedingter Hinneigung kann man nur das Göttliche oder eigent¬ lich nur Gott; aber da uns Gott für irdiſches Füh¬ len zu unerreichbar iſt, kann Liebe zu ihm nur An¬ betung ſein, und er gab uns für die Liebe auf Er¬ den Theile des Göttlichen in verſchiedenen Geſtalten

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/102>, abgerufen am 24.04.2024.