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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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"Es sind aber nicht blos die Äußerlichkeiten an
unserer Kirche sehr schön," fuhr mein Gastfreund fort,
"sondern die Gestalten der Heiligen auf dem Altare
und in den Nischen sind schöner, als man sie sonst
meistens aus dem Zeitalter, aus welchem die Kirche
stammt, zu sehen gewohnt ist. Wenn ich sagte, daß
die griechischen Bildergestalten eine größere sinnliche
Schönheit haben als die aus dem Mittelalter, so ist
dieses nicht ausnahmlos so. Es gibt auch höchst lieb¬
liche Gestalten aus dem Mittelalter, und wo keine
Verzeichnung ist, und wo sich Sinnlichkeit zeigt, sind
sie meistens wärmer als die griechischen. In der klei¬
nen Kirche ist Ähnliches vorhanden, deßhalb habe ich
so gerne ihre Wiederherstellung übernommen, deßhalb
bedaure ich, daß meine Mittel nicht so groß sind, die
gänzliche Vollendung herbeiführen zu können, und de߬
halb habe ich so sehr nach den Gestalten, die in den
Nischen fehlen, suchen lassen, um so viel als möglich
die Kirche zu bevölkern, wenn auch der Gedanke Raum
hatte, daß vielleicht nicht einmal alle Gestalten fertig ge¬
worden und alle Pläze besezt gewesen seien. Vielleicht
steht einmal eine höhere und allgemeinere Kraft auf,
die diese und noch wichtigere Kirchen wieder in ihrer
Reinheit darstellt."

Stifter, Nachsommer. III. 7

„Es ſind aber nicht blos die Äußerlichkeiten an
unſerer Kirche ſehr ſchön,“ fuhr mein Gaſtfreund fort,
„ſondern die Geſtalten der Heiligen auf dem Altare
und in den Niſchen ſind ſchöner, als man ſie ſonſt
meiſtens aus dem Zeitalter, aus welchem die Kirche
ſtammt, zu ſehen gewohnt iſt. Wenn ich ſagte, daß
die griechiſchen Bildergeſtalten eine größere ſinnliche
Schönheit haben als die aus dem Mittelalter, ſo iſt
dieſes nicht ausnahmlos ſo. Es gibt auch höchſt lieb¬
liche Geſtalten aus dem Mittelalter, und wo keine
Verzeichnung iſt, und wo ſich Sinnlichkeit zeigt, ſind
ſie meiſtens wärmer als die griechiſchen. In der klei¬
nen Kirche iſt Ähnliches vorhanden, deßhalb habe ich
ſo gerne ihre Wiederherſtellung übernommen, deßhalb
bedaure ich, daß meine Mittel nicht ſo groß ſind, die
gänzliche Vollendung herbeiführen zu können, und de߬
halb habe ich ſo ſehr nach den Geſtalten, die in den
Niſchen fehlen, ſuchen laſſen, um ſo viel als möglich
die Kirche zu bevölkern, wenn auch der Gedanke Raum
hatte, daß vielleicht nicht einmal alle Geſtalten fertig ge¬
worden und alle Pläze beſezt geweſen ſeien. Vielleicht
ſteht einmal eine höhere und allgemeinere Kraft auf,
die dieſe und noch wichtigere Kirchen wieder in ihrer
Reinheit darſtellt.“

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[97/0111] „Es ſind aber nicht blos die Äußerlichkeiten an unſerer Kirche ſehr ſchön,“ fuhr mein Gaſtfreund fort, „ſondern die Geſtalten der Heiligen auf dem Altare und in den Niſchen ſind ſchöner, als man ſie ſonſt meiſtens aus dem Zeitalter, aus welchem die Kirche ſtammt, zu ſehen gewohnt iſt. Wenn ich ſagte, daß die griechiſchen Bildergeſtalten eine größere ſinnliche Schönheit haben als die aus dem Mittelalter, ſo iſt dieſes nicht ausnahmlos ſo. Es gibt auch höchſt lieb¬ liche Geſtalten aus dem Mittelalter, und wo keine Verzeichnung iſt, und wo ſich Sinnlichkeit zeigt, ſind ſie meiſtens wärmer als die griechiſchen. In der klei¬ nen Kirche iſt Ähnliches vorhanden, deßhalb habe ich ſo gerne ihre Wiederherſtellung übernommen, deßhalb bedaure ich, daß meine Mittel nicht ſo groß ſind, die gänzliche Vollendung herbeiführen zu können, und de߬ halb habe ich ſo ſehr nach den Geſtalten, die in den Niſchen fehlen, ſuchen laſſen, um ſo viel als möglich die Kirche zu bevölkern, wenn auch der Gedanke Raum hatte, daß vielleicht nicht einmal alle Geſtalten fertig ge¬ worden und alle Pläze beſezt geweſen ſeien. Vielleicht ſteht einmal eine höhere und allgemeinere Kraft auf, die dieſe und noch wichtigere Kirchen wieder in ihrer Reinheit darſtellt.“ Stifter, Nachſommer. III. 7

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/111>, abgerufen am 19.04.2024.