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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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der Außenseite des Schlosses besah er. Er stieg selber
auf die Gerüste, untersuchte die Genauigkeit der Hin¬
wegschaffung der aufgetragenen Kruste und die Rein¬
heit der Steine. Er prüfte die Größe der in einer
gewöhnlichen Zeit vollbrachten Arbeit, und gab Auf¬
träge für die Zukunft. Wir waren bei den meisten
dieser Beschäftigungen gemeinschaftlich zugegen. Man
behandelte mich auf eine ausgezeichnete Art. Ma¬
thilde war so sanft, so gelassen und milde wie immer.
Wer nicht genauer geblickt hätte, würde keinen Unter¬
schied zwischen sonst und jezt gewahr geworden sein.
Sie war immer gütig, und konnte daher nicht gütiger
sein. Ich empfand aber doch einen Unterschied. Sie
richtete das Wort so offen an mich wie früher; aber
es war doch jezt anders. Sie fragte mich oft, wenn
es sich um Dinge des Schlosses des Gartens der Fel¬
der der Wirthschaft handelte, um meine Meinung wie
einen, der ein Recht habe, und der fast wie ein Eigen¬
thümer sei. Sie fragte gewiß nicht, um meine Mei¬
nung so gründlich zu wissen; denn mein Gastfreund
gab die besten Urtheile über alle diese Gegenstände
ab, sondern sie fragte so, weil ich einer der ihrigen
war. Sie hob aber diese Fragen nicht hervor und be¬
tonte sie nicht, wie jemand gethan hätte, bei dem sie

der Außenſeite des Schloſſes beſah er. Er ſtieg ſelber
auf die Gerüſte, unterſuchte die Genauigkeit der Hin¬
wegſchaffung der aufgetragenen Kruſte und die Rein¬
heit der Steine. Er prüfte die Größe der in einer
gewöhnlichen Zeit vollbrachten Arbeit, und gab Auf¬
träge für die Zukunft. Wir waren bei den meiſten
dieſer Beſchäftigungen gemeinſchaftlich zugegen. Man
behandelte mich auf eine ausgezeichnete Art. Ma¬
thilde war ſo ſanft, ſo gelaſſen und milde wie immer.
Wer nicht genauer geblickt hätte, würde keinen Unter¬
ſchied zwiſchen ſonſt und jezt gewahr geworden ſein.
Sie war immer gütig, und konnte daher nicht gütiger
ſein. Ich empfand aber doch einen Unterſchied. Sie
richtete das Wort ſo offen an mich wie früher; aber
es war doch jezt anders. Sie fragte mich oft, wenn
es ſich um Dinge des Schloſſes des Gartens der Fel¬
der der Wirthſchaft handelte, um meine Meinung wie
einen, der ein Recht habe, und der faſt wie ein Eigen¬
thümer ſei. Sie fragte gewiß nicht, um meine Mei¬
nung ſo gründlich zu wiſſen; denn mein Gaſtfreund
gab die beſten Urtheile über alle dieſe Gegenſtände
ab, ſondern ſie fragte ſo, weil ich einer der ihrigen
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[100/0114] der Außenſeite des Schloſſes beſah er. Er ſtieg ſelber auf die Gerüſte, unterſuchte die Genauigkeit der Hin¬ wegſchaffung der aufgetragenen Kruſte und die Rein¬ heit der Steine. Er prüfte die Größe der in einer gewöhnlichen Zeit vollbrachten Arbeit, und gab Auf¬ träge für die Zukunft. Wir waren bei den meiſten dieſer Beſchäftigungen gemeinſchaftlich zugegen. Man behandelte mich auf eine ausgezeichnete Art. Ma¬ thilde war ſo ſanft, ſo gelaſſen und milde wie immer. Wer nicht genauer geblickt hätte, würde keinen Unter¬ ſchied zwiſchen ſonſt und jezt gewahr geworden ſein. Sie war immer gütig, und konnte daher nicht gütiger ſein. Ich empfand aber doch einen Unterſchied. Sie richtete das Wort ſo offen an mich wie früher; aber es war doch jezt anders. Sie fragte mich oft, wenn es ſich um Dinge des Schloſſes des Gartens der Fel¬ der der Wirthſchaft handelte, um meine Meinung wie einen, der ein Recht habe, und der faſt wie ein Eigen¬ thümer ſei. Sie fragte gewiß nicht, um meine Mei¬ nung ſo gründlich zu wiſſen; denn mein Gaſtfreund gab die beſten Urtheile über alle dieſe Gegenſtände ab, ſondern ſie fragte ſo, weil ich einer der ihrigen war. Sie hob aber dieſe Fragen nicht hervor und be¬ tonte ſie nicht, wie jemand gethan hätte, bei dem ſie

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/114>, abgerufen am 19.04.2024.