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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Absicht gewesen wären, sondern sie empfand das Zu¬
sammengehörige unseres Wesens, und gab es so. Mir
ging diese Behandlung ungemein lieb in die Seele.
Mein Gastfreund war wohl beinahe gar nicht anders;
denn sein Wesen war immer ein ganzes und geschloße¬
nes; aber auch er schien herzlicher als sonst. Gustav
verlor sein anfängliches schüchternes Wesen. Obwohl
er auch jezt noch kein Wort sagte, welches auf unser
Verhältniß anspielte, -- das thaten auch die anderen
nicht, und er hatte eine zu gute Erziehung erhalten,
um, obgleich er noch so jung war, hierin eine Aus¬
nahme zu machen -- so ging er doch zuweilen plözlich
an meine Seite, nahm mich bei meinem Arme, drückte
ihn, oder nahm mich bei der Hand, und drückte sie
mit der seinen. Nur mit Natalie war es ganz anders.
Wir waren beinahe scheuer und fremder, als wir es
vor jenem Hervorleuchten des Gefühles in der Grotte
der Brunnennimphe gewesen waren. Ich durfte sie am
Arme führen, wir durften mit einander sprechen; aber
wenn dies geschah, so redeten wir von gleichgültigen
Dingen, welche weit entfernt von unseren jezigen Be¬
ziehungen lagen. Und dennoch fühlte ich ein Glück,
wenn ich an ihrer Seite ging, daß ich es kaum mit
Worten hätte sagen können. Alles, die Wolken die

Abſicht geweſen wären, ſondern ſie empfand das Zu¬
ſammengehörige unſeres Weſens, und gab es ſo. Mir
ging dieſe Behandlung ungemein lieb in die Seele.
Mein Gaſtfreund war wohl beinahe gar nicht anders;
denn ſein Weſen war immer ein ganzes und geſchloße¬
nes; aber auch er ſchien herzlicher als ſonſt. Guſtav
verlor ſein anfängliches ſchüchternes Weſen. Obwohl
er auch jezt noch kein Wort ſagte, welches auf unſer
Verhältniß anſpielte, — das thaten auch die anderen
nicht, und er hatte eine zu gute Erziehung erhalten,
um, obgleich er noch ſo jung war, hierin eine Aus¬
nahme zu machen — ſo ging er doch zuweilen plözlich
an meine Seite, nahm mich bei meinem Arme, drückte
ihn, oder nahm mich bei der Hand, und drückte ſie
mit der ſeinen. Nur mit Natalie war es ganz anders.
Wir waren beinahe ſcheuer und fremder, als wir es
vor jenem Hervorleuchten des Gefühles in der Grotte
der Brunnennimphe geweſen waren. Ich durfte ſie am
Arme führen, wir durften mit einander ſprechen; aber
wenn dies geſchah, ſo redeten wir von gleichgültigen
Dingen, welche weit entfernt von unſeren jezigen Be¬
ziehungen lagen. Und dennoch fühlte ich ein Glück,
wenn ich an ihrer Seite ging, daß ich es kaum mit
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[101/0115] Abſicht geweſen wären, ſondern ſie empfand das Zu¬ ſammengehörige unſeres Weſens, und gab es ſo. Mir ging dieſe Behandlung ungemein lieb in die Seele. Mein Gaſtfreund war wohl beinahe gar nicht anders; denn ſein Weſen war immer ein ganzes und geſchloße¬ nes; aber auch er ſchien herzlicher als ſonſt. Guſtav verlor ſein anfängliches ſchüchternes Weſen. Obwohl er auch jezt noch kein Wort ſagte, welches auf unſer Verhältniß anſpielte, — das thaten auch die anderen nicht, und er hatte eine zu gute Erziehung erhalten, um, obgleich er noch ſo jung war, hierin eine Aus¬ nahme zu machen — ſo ging er doch zuweilen plözlich an meine Seite, nahm mich bei meinem Arme, drückte ihn, oder nahm mich bei der Hand, und drückte ſie mit der ſeinen. Nur mit Natalie war es ganz anders. Wir waren beinahe ſcheuer und fremder, als wir es vor jenem Hervorleuchten des Gefühles in der Grotte der Brunnennimphe geweſen waren. Ich durfte ſie am Arme führen, wir durften mit einander ſprechen; aber wenn dies geſchah, ſo redeten wir von gleichgültigen Dingen, welche weit entfernt von unſeren jezigen Be¬ ziehungen lagen. Und dennoch fühlte ich ein Glück, wenn ich an ihrer Seite ging, daß ich es kaum mit Worten hätte ſagen können. Alles, die Wolken die

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/115>, abgerufen am 24.04.2024.