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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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fortwährendes Fahren nicht gewohnt war, und endete
immer noch lange vor Abend unsere Tagreise. Wir
sahen die Berge schon immer in der Nähe von eini¬
gen Meilen mit unserem Wege gleich laufen; aber
ihre Theile waren hier weniger wichtig. Es war mir
äußerst lieblich, die Gestalt der Schwester neben mir
in dem Wagen zu wissen, ihr schönes Angesicht zu
sehen, und ihren Athem zu empfinden. Ihre schwe¬
sterliche Rede und die frische Weise, alles, was ihr
neu war, in die vollkommen klare Seele aufzuneh¬
men, war mir unaussprechlich wohlthätig.

Am Vormittage des dritten Tages ließ ich sie
ruhen. Für den Nachmittag miethete ich einen Wagen,
und wir fuhren von der Poststraße weg gerade dem
Gebirge zu. Unsere Fahrt war von angenehmer und
heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns
in manigfaltigen Gesprächen. Als die blauen Berge
in der klaren Luft, die einen milchig grünlichen Schim¬
mer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge
immer freundlicher, und ihre Mienen waren theil¬
nehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt.
Gleich wie bei dem Vater rötheten sich nach dieser
dreitägigen Reise auch ihre zarten Wangen, und ihre
Augen wurden glänzender. So kamen wir endlich an

fortwährendes Fahren nicht gewohnt war, und endete
immer noch lange vor Abend unſere Tagreiſe. Wir
ſahen die Berge ſchon immer in der Nähe von eini¬
gen Meilen mit unſerem Wege gleich laufen; aber
ihre Theile waren hier weniger wichtig. Es war mir
äußerſt lieblich, die Geſtalt der Schweſter neben mir
in dem Wagen zu wiſſen, ihr ſchönes Angeſicht zu
ſehen, und ihren Athem zu empfinden. Ihre ſchwe¬
ſterliche Rede und die friſche Weiſe, alles, was ihr
neu war, in die vollkommen klare Seele aufzuneh¬
men, war mir unausſprechlich wohlthätig.

Am Vormittage des dritten Tages ließ ich ſie
ruhen. Für den Nachmittag miethete ich einen Wagen,
und wir fuhren von der Poſtſtraße weg gerade dem
Gebirge zu. Unſere Fahrt war von angenehmer und
heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns
in manigfaltigen Geſprächen. Als die blauen Berge
in der klaren Luft, die einen milchig grünlichen Schim¬
mer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge
immer freundlicher, und ihre Mienen waren theil¬
nehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt.
Gleich wie bei dem Vater rötheten ſich nach dieſer
dreitägigen Reiſe auch ihre zarten Wangen, und ihre
Augen wurden glänzender. So kamen wir endlich an

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[124/0138] fortwährendes Fahren nicht gewohnt war, und endete immer noch lange vor Abend unſere Tagreiſe. Wir ſahen die Berge ſchon immer in der Nähe von eini¬ gen Meilen mit unſerem Wege gleich laufen; aber ihre Theile waren hier weniger wichtig. Es war mir äußerſt lieblich, die Geſtalt der Schweſter neben mir in dem Wagen zu wiſſen, ihr ſchönes Angeſicht zu ſehen, und ihren Athem zu empfinden. Ihre ſchwe¬ ſterliche Rede und die friſche Weiſe, alles, was ihr neu war, in die vollkommen klare Seele aufzuneh¬ men, war mir unausſprechlich wohlthätig. Am Vormittage des dritten Tages ließ ich ſie ruhen. Für den Nachmittag miethete ich einen Wagen, und wir fuhren von der Poſtſtraße weg gerade dem Gebirge zu. Unſere Fahrt war von angenehmer und heiterer Stimmung begleitet, und wir ergingen uns in manigfaltigen Geſprächen. Als die blauen Berge in der klaren Luft, die einen milchig grünlichen Schim¬ mer hatte, uns entgegen traten, leuchtete ihr Auge immer freundlicher, und ihre Mienen waren theil¬ nehmend der Gegend, in die wir fuhren, zugekehrt. Gleich wie bei dem Vater rötheten ſich nach dieſer dreitägigen Reiſe auch ihre zarten Wangen, und ihre Augen wurden glänzender. So kamen wir endlich an

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/138>, abgerufen am 29.03.2024.