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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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Ich hatte mit Natalien keinen Briefwechsel verab¬
redet, ich hatte nicht daran gedacht, sie wahrschein¬
lich auch nicht. Unser Verhältniß erschien mir so hoch,
daß es mir kleiner vorgekommen wäre, wenn wir uns
gegenseitig Briefe geschickt hätten. Wir mußten in
der Festigkeit der Überzeugung der Liebe des Andern
ruhen, durften uns nicht durch Ungeduld vermindern,
und mußten warten, wie sich alles entwickeln werde.
So konnte ich mit dem Gefühle von Seligkeit von
Natalien fern sein, konnte mich freuen, daß alles so
ist, wie es ist, und konnte dessen harren, was meine
Eltern und Nataliens Angehörige beginnen werden.

Klotilden, welche ihren Bergen Lüften Seen und
Wäldern die Farbe geben wollte, die sie gesehen hatte,
suchte ich beizustehen, und zeigte ihr, worin sie fehle,
und wie sie es immer besser machen könne. Wir
wußten es jezt, daß man die zarte Kraft, wie sie uns
in der Wesenheit der Hochgebirge entgegen tritt, nicht
darstellen könne, und die Kunst des großen Meisters
mir in der besten Annäherung bestehe. Auch in ihrem
Bestreben, die Art, wie sie im Gebirge die Zither
spielen gehört hatte, und die eigenthümlichen Töne,
die ihr dort vorgekommen waren, nachzuahmen,
suchte ich ihr zu helfen. Wir konnten wohl beide

Ich hatte mit Natalien keinen Briefwechſel verab¬
redet, ich hatte nicht daran gedacht, ſie wahrſchein¬
lich auch nicht. Unſer Verhältniß erſchien mir ſo hoch,
daß es mir kleiner vorgekommen wäre, wenn wir uns
gegenſeitig Briefe geſchickt hätten. Wir mußten in
der Feſtigkeit der Überzeugung der Liebe des Andern
ruhen, durften uns nicht durch Ungeduld vermindern,
und mußten warten, wie ſich alles entwickeln werde.
So konnte ich mit dem Gefühle von Seligkeit von
Natalien fern ſein, konnte mich freuen, daß alles ſo
iſt, wie es iſt, und konnte deſſen harren, was meine
Eltern und Nataliens Angehörige beginnen werden.

Klotilden, welche ihren Bergen Lüften Seen und
Wäldern die Farbe geben wollte, die ſie geſehen hatte,
ſuchte ich beizuſtehen, und zeigte ihr, worin ſie fehle,
und wie ſie es immer beſſer machen könne. Wir
wußten es jezt, daß man die zarte Kraft, wie ſie uns
in der Weſenheit der Hochgebirge entgegen tritt, nicht
darſtellen könne, und die Kunſt des großen Meiſters
mir in der beſten Annäherung beſtehe. Auch in ihrem
Beſtreben, die Art, wie ſie im Gebirge die Zither
ſpielen gehört hatte, und die eigenthümlichen Töne,
die ihr dort vorgekommen waren, nachzuahmen,
ſuchte ich ihr zu helfen. Wir konnten wohl beide

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[143/0157] Ich hatte mit Natalien keinen Briefwechſel verab¬ redet, ich hatte nicht daran gedacht, ſie wahrſchein¬ lich auch nicht. Unſer Verhältniß erſchien mir ſo hoch, daß es mir kleiner vorgekommen wäre, wenn wir uns gegenſeitig Briefe geſchickt hätten. Wir mußten in der Feſtigkeit der Überzeugung der Liebe des Andern ruhen, durften uns nicht durch Ungeduld vermindern, und mußten warten, wie ſich alles entwickeln werde. So konnte ich mit dem Gefühle von Seligkeit von Natalien fern ſein, konnte mich freuen, daß alles ſo iſt, wie es iſt, und konnte deſſen harren, was meine Eltern und Nataliens Angehörige beginnen werden. Klotilden, welche ihren Bergen Lüften Seen und Wäldern die Farbe geben wollte, die ſie geſehen hatte, ſuchte ich beizuſtehen, und zeigte ihr, worin ſie fehle, und wie ſie es immer beſſer machen könne. Wir wußten es jezt, daß man die zarte Kraft, wie ſie uns in der Weſenheit der Hochgebirge entgegen tritt, nicht darſtellen könne, und die Kunſt des großen Meiſters mir in der beſten Annäherung beſtehe. Auch in ihrem Beſtreben, die Art, wie ſie im Gebirge die Zither ſpielen gehört hatte, und die eigenthümlichen Töne, die ihr dort vorgekommen waren, nachzuahmen, ſuchte ich ihr zu helfen. Wir konnten wohl beide

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/157>, abgerufen am 29.03.2024.