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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857.

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haft. Mathilde hatte ein veilchenblaues Seidenkleid
mit dunkleren Streifen an und um die Schultern war
ein Gewebe von schwarzen Spizen. Sie kleidete sich
jedes Mal, wenn ein Gast da war, zum Speisen neu an,
hatte es bisher meinetwillen auch gethan, und hatte
es an diesem Abende nicht unterlassen. Mit dem fei¬
nen lieben und freundlichen Angesichte, das durch die
dunkle Seide fast noch feiner und schöner wurde,
ließ sie sich in ihren Armstuhl zwischen uns nieder.
Natalie war rechts und ich links. Natalie hatte nicht
Zeit gefunden, ihr Kleid zu wechseln, sie hatte das¬
selbe lichtgraue Seidenkleid an, das sie am Nachmit¬
tage getragen hatte, und das mir so lieb geworden
war. Ich getraute mir fast nicht, sie anzusehen, und
auch sie hatte die großen schönen unbeschreiblich edlen
Augen größtentheils auf die Mutter gerichtet. So
vergingen einige Augenblicke. Es wurde das Gebet
gesprochen, das Mathilde immer in ihrem Armstuhle
sizend stille mit gefalteten Händen verrichtete, und das
daher die Anderen ebenfalls sizend und stille vollbrach¬
ten. Als dieses geschehen war, wurden, wie es der
Gebrauch in diesem Hause eingeführt hatte, die
Flügelthüren geöffnet, ein Diener trat mit einem
Topfe herein, setzte ihn auf den Tisch, der Hausver¬

haft. Mathilde hatte ein veilchenblaues Seidenkleid
mit dunkleren Streifen an und um die Schultern war
ein Gewebe von ſchwarzen Spizen. Sie kleidete ſich
jedes Mal, wenn ein Gaſt da war, zum Speiſen neu an,
hatte es bisher meinetwillen auch gethan, und hatte
es an dieſem Abende nicht unterlaſſen. Mit dem fei¬
nen lieben und freundlichen Angeſichte, das durch die
dunkle Seide faſt noch feiner und ſchöner wurde,
ließ ſie ſich in ihren Armſtuhl zwiſchen uns nieder.
Natalie war rechts und ich links. Natalie hatte nicht
Zeit gefunden, ihr Kleid zu wechſeln, ſie hatte das¬
ſelbe lichtgraue Seidenkleid an, das ſie am Nachmit¬
tage getragen hatte, und das mir ſo lieb geworden
war. Ich getraute mir faſt nicht, ſie anzuſehen, und
auch ſie hatte die großen ſchönen unbeſchreiblich edlen
Augen größtentheils auf die Mutter gerichtet. So
vergingen einige Augenblicke. Es wurde das Gebet
geſprochen, das Mathilde immer in ihrem Armſtuhle
ſizend ſtille mit gefalteten Händen verrichtete, und das
daher die Anderen ebenfalls ſizend und ſtille vollbrach¬
ten. Als dieſes geſchehen war, wurden, wie es der
Gebrauch in dieſem Hauſe eingeführt hatte, die
Flügelthüren geöffnet, ein Diener trat mit einem
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[2/0016] haft. Mathilde hatte ein veilchenblaues Seidenkleid mit dunkleren Streifen an und um die Schultern war ein Gewebe von ſchwarzen Spizen. Sie kleidete ſich jedes Mal, wenn ein Gaſt da war, zum Speiſen neu an, hatte es bisher meinetwillen auch gethan, und hatte es an dieſem Abende nicht unterlaſſen. Mit dem fei¬ nen lieben und freundlichen Angeſichte, das durch die dunkle Seide faſt noch feiner und ſchöner wurde, ließ ſie ſich in ihren Armſtuhl zwiſchen uns nieder. Natalie war rechts und ich links. Natalie hatte nicht Zeit gefunden, ihr Kleid zu wechſeln, ſie hatte das¬ ſelbe lichtgraue Seidenkleid an, das ſie am Nachmit¬ tage getragen hatte, und das mir ſo lieb geworden war. Ich getraute mir faſt nicht, ſie anzuſehen, und auch ſie hatte die großen ſchönen unbeſchreiblich edlen Augen größtentheils auf die Mutter gerichtet. So vergingen einige Augenblicke. Es wurde das Gebet geſprochen, das Mathilde immer in ihrem Armſtuhle ſizend ſtille mit gefalteten Händen verrichtete, und das daher die Anderen ebenfalls ſizend und ſtille vollbrach¬ ten. Als dieſes geſchehen war, wurden, wie es der Gebrauch in dieſem Hauſe eingeführt hatte, die Flügelthüren geöffnet, ein Diener trat mit einem Topfe herein, ſetzte ihn auf den Tiſch, der Hausver¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 3. Pesth, 1857, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer03_1857/16>, abgerufen am 28.03.2024.